Freitag, 27. März 2009
27.3.09 Aleppo
Haben uns das Nationalmuseum einverleibt, was uns gut gefallen hat. Danach waren wir im christlichen Viertel Djudaide. Haben dort auf engem Raume die syrisch orthodoxe Kirche und das ethnographische Museum, die griechisch orthodoxe Kirche (besonders schön mit vielen alten Ikonen!) und die Armenische Kathedrale der 40 Märtyrer angeschaut. Hier leben wirklich viele Konfessionen und Religionen friedlich nebeneinander.
Zwischendurch haben wir in einem feinen italienischen Restaurant Pasta und Rucolasalat gegessen und dabei A. Bocelli gehört. Hier verkehren Syrer und Ausländer. Das Ambientein der Stadt ist insgesamt recht offen gegenüber den westlichen Errungenschaften, das merkt man an vielem den Kinoprogrammen, der Musik auf den Straßen etc.
Morgen geht es nach Hama.
26.3.09 Aleppo
Die Menschen sind insgesamt sehr freundlich und wir können uns völlig frei und ohne Angst bewegen, auch nach Einbruch der Dunkelheit. Alles ist hier bevölkert und lebendig und pulsierend. Sehen immer wieder auch allein reisende Frauen, die das sehr unbeschwert genießen und keine Probleme berichten
24.3.09, Aleppo
Ein denkwürdiger Tag, der uns sehr viel Kraft gekostet hat. Doch der Ausgang scheint glücklich. Wir sitzen in den tiefen Sesseln der Bar des berühmten Hotel Baron, haben schon einen großen Berg in Salzwasser eingelegter Möhren gegessen zum Bier und Tee getrunken. Machen weiter so und erzählen ein bisschen Euch daheim. Nettes Gespräch mit einem belgischen Paar (er ursprünglich Russe und Kernphysiker und sie Neuropsychologin) und einer allein reisenden Australierin, die etwas später kam. So Langsam finden wir beide wieder unsere Worte und unsere Reiselust, nachdem wir noch wenige Stunden zuvor erst einmal schweigend auf dem Bett lagen und an die Decke geguckt haben.
Die Anreise nach Aleppo und die Grenzformalitäten am Übergang Bab al-Hauwa waren problemlos. Bei der Ankunft in Aleppo begannen dicke Tropfen zu fallen, ein Schauer. Einmal aus dem Bus gesetzt, wußten wir weder wo wir waren noch wohin wir wollten, alles ist natürlich arabisch beschriftet, wir hatten kein Geld getauscht (wie viel syrische Lira sind eigentlich ein Euro?) und es herrschte ein Wahnsinnsverkehr mit überwiegend Taxis und Nutzfahrzeugen. Die Polizisten regeln an jeder Kreuzung den Verkehr, sonst geht es auch nicht. Sind tapfer losmarschiert mit einem Rucksack vorne und einem hinten, wobei der hintere schwer ist und der vordere einem die Sicht auf die Füße versperrt, was wegen der hohen Bordsteine und unvorhergesehenen Unebenheiten des Geländes seine Tücke hat. Man reist in diesem Outfit auch nicht wirklich unauffällig und muß fürchten, damit eine großzügige Einladung für Kundschaftssucher auszusprechen. Waren ein wenig sprachlos und ratlos in diesem Chaos. Die Frage, was um Gottes Willen wir hier eigentlich wollten,
mußte zunächst hintenan gestellt werden, was nicht leicht war, da sie sich beharrlich aufdrängte. Man ist anfangs ziemlich verloren, wittert überall Betrug und die Vorteilsnahme der anderen. Suchten dann das Spring flower Hotel. Schwer zu sagen, warum wir uns ausgerechnet das aus dem Führer ausgesucht haben. Nach einem Zickzackkurs (ohne Arabischkenntnisse versteht man die Wegbeschreibungen nur ungefähr - wenn sie denn richtig sind) haben wir es dann erschöpft gefunden. Es liegt in einem belebten Viertel der Altstadt, in dem überwiegend Händler von Autoreifen, Bremsklötzen, Kugellagern etc. und kleine Mechaniker ihre Werkstätten haben. Es entsprach insgesamt nicht unserer Vorstellung einer gemütlichen Unterkunft (Kabuff, höchstens sechs Quadratmetern mit Nasszelle, zugegeben ein Fenster, was nicht selbstverständlich ist, dafür keine Klobrille, zweifelhafte Sauberkeit). Wir nahmen es dennoch, um endlich den Rucksack los zu werden. Vorzugspreis von 700 syrischen Lira (umgerechnet ca. 11 Euro pro Zimmer und Nacht). Unsere Wahl versetzte uns aber im weiteren Lauf des Tages zunehmend in Depression angesichts der Frage, wie wir den Abend und die Nacht dort verbringen wollten. Sind dann in der Stadt umhergeirrt, um die Frage der Ernährung und des Geldtauschens zu lösen, was unter zähem Bemühen und nach unsäglichem Zögern unsererseits schließlich gelang. Dann fiel schon bald die Entscheidung, auf jeden Fall das Hotel zu wechseln, um die Gesamtverfassung zu verbessern. Erneute Suche und schließlich Landung im ehrwürdigen Hotel Baron, in dem schon Zaza Gabor und Agatha Christie und Atatürk (Berühmtheit scheint sich nicht immer auszuzahlen) untergekommen waren. Im Vorzug zu ihnen haben wir mittlerweile aber warmes Wasser, was nachträglich doch noch installiert wurde. Im Nachteil zu ihnen ist aber sonst nach ihrem Verlassen nur noch berlebenswichtiges renoviert worden. Wir genießen aber die alte Pracht und den Charme und sind wieder guter Dinge.
Was einen ein bisschen aus den Angeln hebt an so einem Tag, ist die Unsicherheit und das Mißtrauen, das man bei sich selber spürt. Die Orientierungslosigkeit läßt einen sich ausgeliefert fühlen und das macht natürlich ängstlich. Dazu trägt bei: die eigene Müdigkeit, das Unbeweglichsein unter dem Gepäck, das Auffälligsein, die mangelnden Verständigungsmöglichkeiten, die vorübergehende Mittellosigkeit, weil man noch keine Landeswährung hat (man konnte ja nicht einmal ein Taxi nehmen). Und dann streitet man zu allem Überfluß nocht, weil man gereizt ist und dabei muß man sich noch voll konzentrieren, um sich nicht beklauen zu lassen, sich nicht vom Auto anfahren zu lassen, sich nicht zu verlieren, den Weg zu finden. Man ist irritiert und beeindruckt und hat keine Muße, sich erstmal seinem Staunen zu überlassen.
Wir haben das Zimmer 202 im Baron. Hörten gerade, dass dies das Zimmer ist, in dem auch Lawrence of Arabia einst nächtigte. Werten das als außerordentlich günstiges Zeichen.
Montag, 23. März 2009
Immer noch Antakya
Heute sollte es eigentlich losgehen nach Aleppo. Sind nicht früh, aber auch nicht spät erwacht. Wetter trübe, immer wieder fallen auch ein paar Tropfen. Wir gehen zunächst Brot holen und dann, weil wir schon unterwegs sind, zur Akbank. Hier lassen wir uns den Stand des Kontos nennen, auf das Ali die Miete für die Wohnung in Tarsus, die er von Mine mietet, zahlen sollte. Er hatte damals geholfen, die bis dahin jahrelang säumigen Mieter aus der Wohnung zu komplementieren. Da er sich durch Zuverlässigkeit bewährt hatte, ist er dann unter Treueschwüren in die Wohnung als neuer Mieter gezogen. Der Kontostand heute zeigte leider keinen Bestand. Der gute Ali hatte die Miete nicht bezahlt (seit fast drei Jahren), lebt vielleicht auch nicht mehr in der Wohnung, hat aber auch nie Info gegeben über den Stand der Dinge. Mine war traurig, so wie man halt traurig ist, wenn einen jemand betrügt oder hintergeht. Eine Frage der Ehre - logisch.
Danach haben wir gefrühstückt. Nicky kam dazu mit einer Tüte Orangen und Brot. Hat uns in ihrem wunderbaren Deutsch mit englischem Akzent unterhalten mit ihren unendlichen Geschichten aus Albanien. Heute hat sie von den beißenden und streunenden Hunden erzählt. Sie war übel in den Oberschenkel gebissen worden, hatte an dem Tag nur zwei Steine dabei (sonst wohl mehr), die aber ihr Ziel verfehlten und daher keine abschreckende Wirkung entfalteten, ihren Stock hatte sie an dem Tag vergessen. Als der
Hund zubiss, hat sie sich gleich auf den Bauch geworfen, so wie man ihr das empfohlen hatte, was aber nicht den gewünschten Effekt zeigte. Weil es so weh tat, hat sie sich aufgesetzt und dann haben sich Hund und Mensch, der eine lauernd, der andere erschrocken, angeschaut und es folgte kein weiterer Biss. Unsere verständnisvolle und warmherzige Nicky betonte aber, dass der Hund seinen Grund hatte, zu beißen (eine neue lange Geschichte). Dann hat sie noch erzählt von ihrem Garten, in dem die Erde entweder schlammig, gefroren oder hart und ausgedörrt ist, was zusammen mit ihrer Erschöpfung dazu führt, dass er bisher keinen nennenswerten Ertrag bringt. Albanien muß wirklich ein ganz hartes Pflaster sein, um dort zu leben, aber sie gibt nicht auf. Mine und ich wollen sie vielleicht auf dem Rückweg in ihrem Dorf Korca besuchen. Sie hat versprochen, uns mit dem Auto vom Bus abzuholen u.a. wegen der Hunde. Nicky ist heute dann abgereist mit ihrem Wahnsinnsgepäck. Hatte eine Weste an mit ganz vielen prall gefüllten aufgenähten Taschen, um die Hüfte rechts ein Regencapeknäuel und links eine mittelgroße Hüfttasche für die Dokumente, über die sie aus Gründen der Sicherheit den Bund der Jogginghose hochzog. Zudem ein blauer Trolly-Wagen mit Rollen als würde man kurz auf den Markt gehen, bleischwer. Ein kleiner Rucksack auf dem Rücken, auch ganz voll. Vorher hatte sie schon eine riesige rote Tasche auf dem Rücken zum Busbahnhof geschleppt, die sie dort wieder in Empfang nehmen würde. Mit dem ganzen Gepäck will sie aber unbedingt noch in Thessaloniki bei Lidl einkaufen (Mozarella, andere leckere Käse etc.), was man in Albanien nicht bekommt. Sie freut sich sehr über die Gelegenheit. Von dort muß sie aber noch weitere 6 Stunden mit dem Bus nach Korca fahren, ihrem Dorf. Sie ist wirklich beeindruckend und in allem irgendwie souverän mit den Widrigkeiten des Lebens. Ganz tolle Frau.
Wollten eigentlich heute nach Aleppo. Gestern haben wir nach Lektüre des Führers ein nettes Hotel in der Altstadt von Aleppo rausgesucht. Wir wollten den Beginn im Land für uns angenehm und leicht gestalten, um uns einzustimmen auf die Fremde, denn die Türkei ist noch ein bißchen wie zu Hause für uns. Haben uns dann im Internet ein paar Bilder vom Haus angeschaut, die uns auch gut gefielen. Lasen dann leider eine Beurteilung von Touristen besonders aufmerksam. Fluch des Internets. Eine aufgebrachte Engländerin schimpfte über eine schlimme Nacht wegen der bed bugs (Wanzen!!), die aus der Matratze gekommen waren und sie bissen. Leider war zum Beweis auch noch ein Foto des Bettes mit den Bewohnern dabei, das sich mir unrettbar ins Hirn gebrannt hat und fortan dort seine ganz eigene Dynamik entwickelte. Lästige Fragen schlossen sich an: würde man selber lieber die Nacht auf einem Stuhl sitzend verbringen oder dann doch irgendwann das Bett wählen. Das alles schien unlösbar und es fiel daher aus ganz verschiedenen Gründen leicht, die Abreise heute nochmals zu verschieben, bis auch dieser Eindruck sich wieder abschwächt. Man ist schwach, sehr schwach.
Sonntag, 22. März 2009
Blumenfest. Antakya.
Heute noch vor dem Frühstück beim Brot Holen in den Gottesdienst der orthodoxen Kirche gestolpert. Wir lassen nachweislich keine Gelegenheit aus, doch noch den Innenraum dieser Kirche zu sehen. Heute sollte es endlich klappen. Haben erst etwas verloren zwischen den auffallend chicen, gut gekleideten, im Outfit sehr westlichen Menschen gestanden. Die Kirche mit den alten, vielgeküssten Ikonen sehr schön. Weihrauch geschwängerte Luft. Wunderbarer Gesang auf arabisch und dann Segnung der Blumen und Umzug durch die Kirche mit den Priestern und den Kerzen tragenden Kindern. Zuletzt haben wir uns hoch auf die Empore gestohlen mit einigen türkischen Fotografen und konnten dann endlich auch einen guten Überblick bekommen über das Kirchenschiff und die Vorgänge am Altar: Abendmahl, bei dem der Priester mit einem Löffel aus dem weingefüllten Kelch das Brot fischt und es den Menschen gibt, die vor ihn treten. Frauen müssen dabei den Kopf bedecken. Unter dem Kelch spannen zwei Menschen ein rotes Tuch aus, damit kein Krümmel oder Tropfen zu Boden geht. Das war heute das sogenannte Blumenfest in der Fastenzeit vor Ostern. Die gesegneten Blumen wurden in einem großen Gewimmel unter den zum Altar eilenden Menschen verteilt. Ratzeputz.
Danach Frühstück und dann Spaziergang im sonntäglichen Anatakya. Das städtische Bild der Türkei nähert sich immer mehr dem in Europa an. Sehen mehr als früher Kinderwagen und kleine Kinder tragende Väter, junge Paare auf Spielplätzen, die geduldig auf ihre rutschenden und schaukelnden Kinder warten, Straßenfeger auch am Sonntag, chice Boutiquen. Immer mehr Lebensmittelsupermärkte auch mit EC-Kartenzahlung. In den Apotheken dieselben Zusatzverdienstmöglichkeiten aus (wahrscheinlich) hochwertigen Kosmetika und Nahrungsergänzungsstoffen und Kräutermedizin. Sitzen mit Jacke leicht fröstelnd beim Tee im Park und Mine liest Zeitung während ich ein bißchen auf dem Laptop tippe (sind sehr stolz auf den kleinen Begleiter).
Gözlüce
Hier drei der schönen Taize-Lieder, die uns besonders gut gefallen haben. Die direkte Übersetzung aus dem Türkischen ist nicht leicht, da es sich zum Teil um Alttürkisch handelt. Sie zu singen macht aber viel Spaß und klingt wunderschön. Vielleicht versuchen wir es nochmals mit Schwester Barbara, die mit der Übersetzung solch religiöser Texte Erfahrung hat.
Gerdaniye ilahi von Yunus Emre
Severim ben seni candan iceru,
severim ben seni candan iceru.
Yolum vardir bu erkandan iceru,
Yolum vardir bu erkandan iceru
Askin aldi benden beni von Yunus Emre
Askin aldi benden beni bana seni gerek seni,
Askin aldi benden beni bana seni gerek seni.
Ben aglarim dünü günü bana seni gerek seni,
Ben aglarim dünü günü bana seni gerek seni.
Hayat bayram olsa
Su dünyadaki en mutlu kisi
mutluluk verendir
Su dünyadaki sevilen kisi
sevmeyi bilendir
Su dünyadaki en güclü kisi
güclükten gelendir
Su dünyadaki en bilgin kisi
kendini bilendir
Bütün dünya buna inansa
bir inansa
Hayat bayram olsa
insanlar el ele tutussa
birlik olsa
uzansak sonsuza
Su dünyadaki en olgun kisi
Aciya gülendir
Su dünyadaki en soylu kisi
insafa gelendir
Su dünyadaki en zengin kisi
gönül fethedendir
su dünyadaki en üstün kisi
insani sevendir
Heute nach der Andacht und dem Mittagessen bei Barbara mit Christopher und Nicky Richtung Samandag und dann weiter mit dem Dolmus nach Meydan. Dort am Strand durch den Müll gewatet. Entsetzlich. Ohne Übertreibung ein breites Band aus überwiegend Plastikmüll den Strand entlang soweit das Auge reicht. Gleich dahinter eine große Ferienanlage aus kleinen Häusern. Es gruselt einen, weil der Müll ein so verbreitetes katastrophales Phänomen ist. In der Ferne dafür aber auch ein paar Windkraftanlagen. Nur ein kleiner Trost. Wir sind dann alle ein bißchen bergan gestiegen, wollten von oben nach weniger versehrten Nachbarbuchten gucken. Ein Dolmus wird von seinem Fahrer den Berg hochgequält, vorbei an uns. Wir Vier verständigen uns kurz und halten ihn dann an, steigen ein. Eine Frau: “Wo wollt ihr hin?”, Mine: “Wo wollt ihr denn hin?” Die Frau: “Ganz oben ist unser Dorf, da wollen wir hin”. Mine: “Dann wollen wir da auch hin.” Die Frau: “Ja, kommt doch mit, ihr könnt da übernachten, wir haben genug Platz, wir können Tee trinken.” Zu dem Kind auf ihrem Schoß sagt sie zu uns gewandt: “Guck, diese schönen Menschen.” Peinlich. Wenigstens gelächelt haben wir. Sind mitgefahren ins Dorf Gözlüce, wirklich hoch oben in den Bergen. Dort Einkehr bei den Dorfleuten zu Wallnüssen, Mandeln und Tee. Werden herumgereicht von Haus zu Haus. Während wir in dem einen Haus Tee trinken, sammeln sich immer mehr Menschen in dem kleinen Wohnzimmer, an der Haustür stehen weitere Interessierte und die Kinder gucken zum Fenster ins Wohnzimmer rein und kichern. Alle haben gehört das Touristen gekommen sind. Viele Fotos und Unterhaltung, gedolmetscht von Mine. Schnell kommt man auf türkischer Seite zu Sache. Das Familienoberhaupt: “Wie kann ich nach Deutschland kommen?” Mine wortreich, aber in der Essenz: “Keine Chance. Sie haben den Zug schon verpasst (er hat vier Kinder und ist verheiratet), bleiben sie hier an ihrem Ofen und genießen sie das Leben hier”. Der Mann will aber von seiner Armut und dem harten Leben hier loskommen. Begeistert erzählt der Mann von einem Türken aus dem Nachbardorf, der nach wenigen Jahren in Deutschland mit großem Reichtum in die Türkei zurückgekehrt sei. Wie das denn ginge? Er möchte das auch. Dann wird noch mehr erzählt über das Leben im Dorf, in dem jeder jeden kennt und auch mit jedem verwandt ist (!!, ungelogen), das Leben vom Tabakanbau, der Sohn soll was auf Englisch sagen, wo er doch auf das Lisesi (Gymnasium) geht, er guckt erschrocken. Der Mann fährt uns nach herzlicher Verabschiedung von allen den Berg runter bis an die Hauptstraße, zeigt uns dabei seine Felder rechts und links des Weges (so viel zu der gefühlten Armut). Das Geld das wir ihm am Ziel für die Fahrt anbieten, reicht ihm nicht. Wir geben mehr. Lange Debatte hinterher unter uns über Angemessenheit des Preises oder Bereicherung an uns. Wir bekommen den letzten Dolmus zurück nach Antakya. Dort gemeinsam essen gegangen (pürierte Paprika mit Wallnüssen sowie frittiertes Schafshirn mit Zitrone von der mutigen Nicky, Auberginensalat von mir, Adana Kebap von Mine, Pommes und Olivensalat und Käse mit Tomaten und Gurken von Christopher, haufenweise Brot, Teller mit Rettich und Kresse und Rucola) und dann hier Tee in der Küche bei Barbara.
Antakya/Türkei
Es ist wunderbar hier diese kleine Gemeinschaft zu erleben bei Schwester Barbara, einer Franziskanerin. Jeder läßt den anderen in Ruhe seiner Wege ziehen und keiner ist auch zu allein. Die Menschen wachsen einem ans Herz, ohne daß sich einer dazu besonders anstrengen muß. Man ist neugierig, wenn ein neues Gesicht dazukommt. Gerne möchte man erfahren, woher der Mensch kommt, wohin er geht, wie er bei Tisch die Gabel führt, wie eng er dabei die Ellenbogen beieinader hält, was es braucht, ihn zum Lächeln zu bringen, wie sein Appetit ist, wann er schlafen geht, wie erschöpft er ist und wovon, was das Werk seiner Tage ist. Man wird angeregt durch das Anderssein, das an einem vorbeistreift, das nicht wichtig sein will, aber doch von erreichbarem Belang ist. Ich liebe dieses in der Gemeinschaft sein, diesseits der Verbindlichkeiten von Freundschaft. Es ist ein großes Feld des Probierens und Umherstreifens, man probiert seine erste Wirkung auf andere Menschen noch ehe man mit einem Inhalt, einem Thema auftritt. Das ist die Welt des Smalltalks im besten Sinne, die Welt des kleinen Gesprächs, des Annäherns, des sich Interessierens und Zuwendens, quasi das erste sich Umdrehen nach und später erst zu jemandem, das erste den Blick Suchen. Spannend. Unverbindlich, aber eben nicht bedeutungslos. Mit allen Chancen zu Sympathie, Faszination, Kopfschütteln, Schulterzucken, Rätseln. Es hat auch etwas sehr Brüderliches und Schwesterliches, sich so zu begegnen und ein paar Dinge des Alltags miteinander zu teilen. Das macht alles so viel bunter und man erwartet den Tag mehr als das man meint, ihn selber und aus sich heraus gestalten zu müssen. Toller Ort.
Aus der Welt der türkischen Sprichwörter:
Einer trinkt ein Glas Wasser. Keiner soll ihn dabei stören, damit er sich nicht verschluckt. “Su icerken yilan bile sokmaz”, “Während man Wasser trinkt, würde selbst eine Schlange nicht zubeißen”.
“Bir fincan kahvenin kirk yil hateri var”. Eine Tasse Kaffee, vierzig Jahre Erinnerung.
Was für unterschiedliche Lebensentwürfe es gibt. Heute kam ein französisches Paar zu Barbara. Mittelalt. Sie sind seit drei Jahren mit dem Fahrrad unterwegs, bisher bereits 34.000km. Bis zu dieser Reise seien sie kein Fahrrad gefahren, zwar gewandert, aber eben nicht Fahrrad gefahren. Sehr nette, bescheidene, stille Leute, mit braunen breiten Füßen und gepflegten Händen. Sie hatten in Frankreich eine kleine Druckerei oder ähnliches. Sie leben in den Jahren der Reise von der Miete, die sie für ihr Haus in Frankreich bekommen. In den Orten, in die sie auf der Reise kommen, fragen sie an Tankstellen, in Stadtverwaltungen, Kirchen etc., ob man ihnen einen Platz zum Schlafen geben könnte. Warten dann was passiert, ob man sie herumreicht bis ein Ort für die Nacht für sie gefunden ist? Auch so lernen sie Land und Leute kennen. Sie wollen vielleicht weitere 10 Jahre so unterwegs sein. Ist das nicht Wahnsinn? Ich bin beeindruckt. Sie fahren im Zickzack über diesen Globus, in langen Schleifen. Jeden Tag fahren sie ca. 60-70km. Sie erzählen, dass wann immer sie in einer Grenzregion im Begriff sind ein anderes Land zu betreten, die Menschen des Landes, in dem sie sich gerade noch befinden, warnen, drüben müsse man aber ein bißchen aufpassen auf sich, da sei es alles schwieriger und halt bedenklicher als im gerade noch Hier. Und sie stellen immer wieder fest, dass die Menschen hier wie da gut sind, gut sein wollen.
Freitag, 20. März 2009
19.03.2009
Heute morgen noch auf dem Weg zum Bäcker Versuch vier und fünf zum Besuch der orthodoxen Kirche. Gestern war ein Politiker zu Besuch, so dass man nicht rein durfte. Heute war auch zu Öffnungszeiten nichts zu erreichen. Kein Kommentar.
Am Nachmittag Besuch der Höhlenkirche St. Pierre kilisesi am Hang, wo sich die ersten Christen Antiochiens trafen. Das ganze unspektakulär und ein wenig trostlos für nur 8 YTL pro Person. Dafür ein paar bettelnde Kinder, die sich als Führer anbieten und ein Blick über die Stadt zwischen den Hügeln in gedämpftem gelb und orange und zahllose umherfliegende Plastiktüten, die den Wind versinnbildlichen, der einem sowieso um die Ohren weht.
Den ganzen Tag kreisten die großen Busse der türkischen Wahlkämpfer unter ohrenbetäubend lauter Musik durch die Straßen, überall Fahnen und eben auch Politiker. Es stehen Kommunalwahlen im Land an. Zur Auswahl stehen die AKP, die MHP und die CHP. Kann man laut Mine alle nicht wählen. Besonders viele Fahnen der nationalistischen MHP, was bedenklich erscheint.
Kommen gerade von der Chorprobe. Schwester Barbara hat uns mitgenommen nach einem wunderbaren Abendessen von Melek (Manti mit Jogurtknoblauchsoße, Grünkern mit Kichererbsen und Bulgur und überbacken mit Käse, Chorba mit Huhn und Gemüse, Reis, Salat, Humus, Jogurt und Brot - köstlich) und einer heute nur kurzen Abendandacht bei bullerndem Ofen (Mines Werk). Der Chor heißt bezeichnenderweise “Medeniyetler korosu”, was sich mit “Zivilisation” übersetzen läßt und ist mittlerweile sehr berühmt und die Stadt Antakya schmückt sich gerne mit ihm. In ihm singen Menschen aus sechs Religionen: Juden, katholische Christen, muslimische Sunniten, muslimische Aleviten, Armenisch-orthodoxe und Griechisch-orthodoxe. Das türkische Fernsehen war da und hat Aufzeichnungen gemacht. Das war eine muntere Gruppe, die sich da traf, um aus Leibeskräften Stücke aus den verschiedenen vertretenen religiösen Traditionen zu singen. Nachdem die vielen Zigaretten ausgedrückt und Tee und Kaffee getrunken war, verebbte das Schnattern und die Probe begann. Die Teilnehmer saßen während sie sangen, was für uns ungewöhnlich ist. Die Chorleiterin wurde heute vertreten durch einen freundlichen und lockeren Mann, der eigentlich Tänzer ist und der in wunderbaren Gebärden den Chor führte, nachdem er uns eingangs herzlich begrüßt hatte. Dieser Chor singt seit zwei Jahren zusammen und sie hatten schon Konzerte in New York, Istanbul, Ankara und demnächst im Libanon. Reihum wird der ganze Chor von den verschiedenen Religionsgemeinschaften eingeladen und dabei bekocht, mal in der Synagoge, mal in einem armenischen Dorf etc. Wem würde das nicht gefallen?
Mittwoch, 18. März 2009
Mittwoch 18.3.09
Gestern wollten wir dann trotz des Luxus in unserem schönen Hotel das quirlige Adana verlassen. Vorher wieder einer dieser sinnlosen Versuche das Ethnographische Museum von Adana zu besuchen, vor dem wir auch schon bei Voraufenthalten mehrfach ergebnislos gestanden haben. Diesmal scheiterte es an Renovierungsarbeiten, von denen aber nix zu sehen war. Auch den kleinen Garten um das Museum durften wir nicht angucken, wegen eventuell herabfallender Steine oder umfallender seldschukischer Grabsteine und sonstiger “Sicherheitsgründe” (worauf sonst nicht so viel Wert gelegt wird).
Dann sollte es weitergehen nach Antakya. Der Mann in der Kent-Agentur, mit der wir reisen wollten, hat uns von dem Stühlchen, auf dem wir schon einige Zeit im Schatten auf unseren Einsatz warteten, zu spät zu dem Treffpunkt für den Servicedolmus geschickt, der uns hätte zum Otogar bringen sollen. Trotz Hetzens mit dem ganzen Gepäck entlang vierspuriger staubiger Straßen kamen wir dort zu spät an. Servicedolmus weg. Wir wurden kurzerhand in einen anderen Dolmus buggsiert und nach wenigen Metern wieder rausgeschubbst. Dann in den nächsten Dolmus rein, unter lautem Schimpfen des Fahreres, der wie wir nicht verstand, was wir in seinem Kleinbus wollten, den wir mit unserem Gepäck zudem noch erbarmungslos verstopften. Am Otogar wurden wir von einem Mitarbeiter von Kent in Empfang genommen, der uns zum Reisebus bringen wollte. Ehe ich Näheres verstand, hat sich Mine den Mann erstmal vorgeknöpft, wegen der Unannehmlichkeiten für uns mit dem Geschubbse von Dolmus zu Dolmus. Mines Adern am Hals ganz geschwollen und der Mann händeringend, versuchte sich im Namen der Busgesellschaft zu entschuldigen. Mine war nicht zu besänftigen. Ich hatte prinzipiell nicht verstanden, worum es ging, war wie immer einfach zufrieden, dass wir angekommen waren, wohin wir gewollt hatten. Aber Mine war wie ein Inferno. Ich lächelte dem Mann ermutigend zu: das wird wieder. Er meinte irgendwann besänftigend, ich (der Gast) sollte mich auf die Bank setzen und er würde mit Mine zum Chef gehen, damit sie sich da weiter beschweren könnte. Mine fragte: “Warum soll Sie denn alleine hier auf der Bank sitzen?” Der Mann: “Weil es hier sonnig ist”. Mine entschied, mich nicht allein auf der Bank (zugegeben in der Sonne) zu belassen und bat den Mann, die Beschwerde weiterzugeben, “damit sie wenigstens wissen, warum ihnen die Kunden wegbleiben”. Alle 6 Fahrgäste stiegen mit den zwei Busfahreren in den großen Reisebus, der kommentarlos nach einigem Rangieren 100m weiter in die Werkstatt
fuhr, um kleinere Reparaturen vorzunehmen. Keiner fragte was, keiner sagte was dazu. Da Mine leider schon verausgabt war, konnten wir diesen Mißstand leider nicht vor Ort mit dem Busfahrer aufbereiten. Man kommt halt in die Jahre. Irgendwann ging es weiter.
Wir kamen in Antakya an als es bereits dunkel war. Alleine hätten wir Schwester Barbara und ihre Gästhaus nicht gefunden in der verschachtelten Altstadt, die noch dazu von den in den Gassen auf Augenhöhe endenden Ofenrohren vernebelt und verräuchert war. Es war kalt und die Menschen heizen noch des abends. Eine junge Frau aus dem Bus und zwei kleinen Jungen aus dem Viertel haben uns schließlich an den Ort gebracht, der uns freundlich empfing. Abendessen mit Schwester Barbara, Pater Francoise, Niki (eine Engländerin, die in Albanien lebt und versucht dort zu missionieren), Secil und Melek (die Köchin). Mine und ich gleich mittendrin und es geht über den Tisch in Türkisch und Deutsch und Englisch. Danach Taize-Lieder in der kleinen katholischen Kirche um die Ecke und dann gemeinsames Teetrinken im Gästehaus. Es folgte tiefer Schlaf nach den Eindrücken des Tages.
Heute morgen schönes Frühstück in der Sonne im Innenhof des Gästehauses nach gelungenem Einkauf (Kabak tatlisi (eingelegter süßer Kürbis), gesalzener Jogurt, Baharatli peynir (sehr scharfer kleiner kugelrunder Käse), türkischer Tee aus Rize, arabisches Brot und selbstgemachte “Dorfbutter” aus gekochter Milch, die erst zu Jogurt und dann zu Butter gemacht wird) auf dem Basar durch Mine. Mal sehen, was der Tag noch bringt, wir gehen es ruhig an.