Sonntag, 21. Juni 2009

20.6.09 Solhan

Schön, mal wieder in einem Privathaushalt zu erwachen. Nihal ist eine ganz Liebe und läßt uns alle Freiheiten. Trinken alle im Bett Kaffee und erzählen und frühstücken dann gemütlich. Nihal wird viel gefragt über die Schule und das Schulsystem hier im Osten, die Kurden, ihre Heirat und Familie. Ihr zukünftiger Mann Emin ist auch Lehrer und Kurde. Er wurde in den Westen der Türkei nach Canakkale versetzt. In dem Teil der Türkei wohnen viele Türken aus Bulgarien und Jugoslawien, die viel nationalistischer als die normalen Türken sind. Sie wollten Emin, weil er Kurde ist, keine Wohnung vermieten. Ist das nicht peinlich? Mine hat dazu erzählt, daß in ihrem Dorf seit Generationen Musiker für die Hochzeiten im Dorf spielen, die Zigeuner sind. Im Sommer, wenn alle (aus dem Ausland) wieder im Dorf sind, finden täglich mehrere Hochzeiten statt. Dauernd brauchte man diese Truppe, die Zurna (eine Art Oboe) und Davul (Trommel) spielen, daß allen das Blut kocht.. Die Truppe aus Vater und Sohn (später auch Enkel) wohnten in Mersin und beschlossen irgendwann, daß es für sie nicht lohnt, immer zwischen Mersin und dem Dorf zu pendeln. Sie wollten ins Dorf ziehen (das ist mehr als 10 Jahre her). Damals wollte man sie nicht im Dorf und man gab ihnnen nur eine Wohnmöglichkeit am Dorfeingang. So ist das eben. Peinlich.
Natürlich hat Nihal auch Internet und wir hören Musik und gucken in unsere Mails und bringen den Blog mal wieder weiter. Endlich kann man auch mal in Ruhe im Internet über den Iran lesen und sich informieren. Die ganze Entwicklung macht uns große Sorgen und unsere Zeit dort ist noch so nahe und wir fühlen mit und fragen uns, was der ein oder andere macht, den wir kennengelernt haben. Es ist unglaublich, was alles passiert ist in der kurzen Zeit seit unserer Ausreise. Man spürte den Druck vieler Menschen, ihre Hoffnung auf weniger Reglementierung und einen freieren Alltag, auch ihre Sehnsucht nach mehr Achtung für den Iran in der Weltgemeinschaft.
Machen gegen nachmittag einen Spaziergang in den Ort, trinken Kaffee in dem schönen Garten des Ögretmenevi (dem Haus der Lehrenden, das es in jedem Ort gibt). Kaufen danach ein und kochen Kisir mit viel Knoblauch und dazu Kohl. Es ist köstlich. Ich esse das total gern, habe es mir auch gewünscht. Wurschteln danach weiter rum mit Musik und Plaudern und Internet, das alles eingebettet in Teetrinken. Ein schöner Tag.

19.6.09 Solhan/Bingöl

Nach dem schönen Frühstück nehmen wir ein Taxi zum Otogar. Der Taxifahrer hebt unser Gepäck in den Kofferraum mit einem etwas gepressten “Massallah, massallah” zwischen den Lippen, was an dieser Stelle irgendwas zwischen Erstaunen, Ermutigung und Segenswunsch ausdrückt. Ja, es hat sich was angesammelt in den Monaten. Wir nehmen den Bus nach Bingöl. Der besonnene Busfahrer lenkt zwischen Sonnenschein und Wolkenbrüchen den großen Bus durch die nicht endenden Berge auf einer kleinen Straße, die über lange Strecken nur Baustelle ist (Straße wird ausgebaut). Besonders der letzte Teil der Reise ist landschaftlich wunderbar, wir fahren entlang eines tiefen Tals, in dem der Göynük fließt. Das schöne an osttürkischen Landschaften ist, daß sie so leer sind, über lange Strecken sieht man eine belassene, sich überlassene, wenig bebaute und umgebaute Landschaft. Die Flüsse mäandern in breiten Kiesflächen durch ihre immer neuen Betten, viele kleine Feuchtgebiete, mit nie trocknenden, immer matschigen Wiesen, viele Seen sind ohne Boote, ohne Steege, ohne Badende, ohne Strandcafes, ohne Häuser. Die Berge sind die Berge. Man kann in ihnen in die Dörfer fahren und dann losgehen und trifft nur ein paar Hirten, sonst niemanden, keine markierten Wege, keine Zäune, kaum Nutzung, außer ein bißchen mühsamer Landwirtschaft und ab und zu einem Steinbruch. Man sieht auch kaum Plantagen, kaum Monokulturen mit Bäumen einer Sorte bis zum Horizont, viele Mischgärten für den eigenen Bedarf. Das Auge geht über die Linien und Flächen und Konturen der Gegend, ohne viel unterbrochen zu werden, es gibt wenig menschengemachte und die Landschaft bestimmende Linien, nur die Straßen und Strommasten gibt es in dieser Hinsicht. Keine Lagerhalle hier und Fabrik da. Die Flecken in der Landschaft sind die Dörfer, sie sind ohne ein einziges mehr als zweigeschossiges Haus. All das findet sich unter einem sehr belebten Himmel, nicht dem wolkenlosen Azurblau der Meeresregion. Hier ist mehr Wetter, schattenwerfende Wolken und Regen und Sonne gemischt. In dieser ärmlichen Gegend hatte niemand die Möglichkeit, nicht das Geld, nicht die Maschienen, nicht die Infrastruktur, sich die Landschaft zu formen, sich die Erde Untertan zu machen. Das wird nicht ewig so bleiben, wenn die EU kommt, wenn die Grenze nach Armenien aufgeht, wird es hier anders werden, man spürt schon jetzt viel Veränderung in wenigen Jahren. Die Menschen hier sind sehr gastfreundlich, sehr großzügig, sehr menschlich, neugierig auch.
Vor Bingöl sehen wir eine ganze Gruppe von Störchen in der Wiese stehen und Storchennester auf den Masten mit meist zwei Jungen. Als wir über die Berge kommen liegt Bingöl glänzend in einer sonnenbeschienen Ebene. Wir nehmen einen Dolmus von Bingöl nach Solhan. Hier wollen wir eine liebe Verwandte von Mine besuchen. Nihal ist die 25jährige Tochter der Schwester von Ramazan (Mines Exmann). Ihr Vater kommt hier aus einem entlegenen kurdischen Dorf und sie hat hier ihre erste Stelle als Lehrerin angenommen. Die Schule hat 700 Kinder und ist ein Internat. Hierhin kommen die Kinder, die keine Eltern haben und Kinder, die in ihren entlegenen Dörfern nicht beschult werden können und Kinder, deren Eltern wirtschaftlich so schlecht dastehen, daß die Kinder anders keine schulische Grundausbildung erhalten würden. Die alte Schule wurde vor wenigen Jahren im Rahmen eines EU-Projektes renoviert und sieht ganz gut aus. Zur Zeit sehen wir ganz überwiegend Kühe und Ziegen auf dem Gelände, da zur Zeit Schulferien sind und die normale Durchmischung dieses Bildes mit Kindern fehlt. Nihal wohnt auf dem Gelände in einer sehr schönen großen Lehrerwohnung. In wenigen Wochen wird sie heiraten. Mit dem Bruder ihres zukünftigen Mannes fährt sie uns in Solhan entgegen und bringt uns in ihre Wohnung. Nach unserer Ankündigung hat sie uns mit “dört gözle beklemek”, mit vier Augen erwartet, die in alle Richtungen nach uns Ausschau halten. Der Empfang ist sehr sehr herzlich. Wir trinken erstmal Tee und essen Brot, Käse und Oliven und Tomaten und Gurken und Brombeermarmelade. Die Unterhaltung ist angeregt, man hat sich seit 14 Jahren nicht gesehen. Servet, der Schwager, läd uns zum Abendessen zu seiner Familie ein. Als er uns später dazu mit dem Auto abholt, gehen wir erstmal zu einem Hennaabend in der Nachbarschaft. Wie sich herausstellt ist es der Bruder von Servets Frau, der heiratet. Auf einem erleuchteten Platz vor einer Schule ist Musik aufgebaut und es wird Halay getanzt. Die Kurden tanzen wirklich wunderschön, auch die Männer tanzen ganz viel und ausgelassen. Überall sind Kinder. Wir werden ganz offen und selbstverständlich aufgenommen, ein Gast ist eine Ehre (auch die mit Bergschuhen). Ein lebhafter junger Mann versucht ein paar Worte Englisch mit mir zu sprechen. Unser Gastgeber (Servet) kommt über den Platz, sagt ein kanppes Wort, der junge Mann erschrickt, verstummt und dreht sich sofort weg von mir. Hier quatscht man Frauen nicht einfach an, die eigenen nicht und die fremden auch nicht. Lange beobachten wir das muntere Treiben, gehen dann zum Haus von Servet und seiner Familie. Wir kriegen lecker Essen (Reis, weiße Bohnen in Soße, Auberginengemüse, Tandir-Brot, Ayran). Nach und nach kommen immer mehr Leute, die essen, die Kinder zu Bett bringen, Tee trinken oder nur sitzen. Alles geht ruhig und trotz der vielen Leute gut organisiert ab. Da sind die vier kinder unseres Gastgebers, eine Schwester und ein Bruder der Frau des Hauses mit ihren nicht kleinen Familien und einige, die ich auch im Laufe des Abends nicht zuordnen konnte. Es ist ein Kommen und Gehen. Sehr interessiert unterhält man sich mit uns, Mine übersetzt in alle Richtungen und man fühlt sich als Gast ausgezeichnet vor lauter würdiger Aufmerksamkeit, die einem zu Teil wird. Wir sollen dann auch dort schlafen (Pyjama ist schon rausgelegt) und morgen mit nach Diyarbakir zur Hochzeit fahren. Bitte!

18.6.09 Erzurum

Fahren mit dem Zug von Sarikamis bis Erzurum. Am Bahnhof von sarikamis verblüht gerade der Flieder (im Juni), die Natur ist hier wirklich spät wegen des Klimas und der Höhenlage (ca 2000m). Das Zugfahren ist wieder wie Reiten durch die Landschaft. Die modernen Züge fahren scheinbar auf einem Schienennetz, dem nur noch wenig zuzumuten ist. Daher geht die Fahrt recht langsam von statten. Wir fahren lange entlang des herrlichen Kiefernwaldes und entdecken erst jetzt wie groß das Gebiet dieses paradisischen Waldes ist. Für die 150km brauchen wir gut drei Stunden. In Erzurum laufen wir in die Stadt und gehen in das schöne Hotel Dilaver. Trinken einen Kaffee und jetzt verraten wir Euch auch den Grund unseres Zwischenstopps in dieser Stadt. Vor Jahren haben wir hier erfolgreich einige Schmuckkäufe tätigen können in einem wunderbaren Laden namens Osmanli in einer alten Karawanserei (Tashan). Nachdem Kars uns nichts hinterlassen hat, versuchen wir unser Glück heute hier. Wir finden den Laden wieder, den aber jetzt der Bruder führt. Mmh. Nix dagegen. Das Sortiment alten Schmucks ist erlesen, der Schmuck gut erhalten und aparter als das meiste, was man noch findet. Dazu gibt es alte Textilien, Geschnitzes, Kupferarbeiten etc. Dem Auge geht es gut hier. Die Preise sind sicher verdoppelt seit unserem Aufenthalt vor wenigen Jahren und wir üben uns wieder in dieser kleinmütigen, bescheidenen, vernünftigen, abwartenden, zögerlichen Art, die immer dazu führt, daß man später bereut, daß die schöne kleine Lust so ungestillt geblieben ist. Nach langem Augenweiden beginnen wir den Ablösungsprozeß. Wir warten im Laden den Wolkenbruch ab und gehen dann mit leeren Tasche von dannen. Essen, organisieren die Busreise für morgen, machen kleine Besorgungen. Heute haben wir eine tolle Freude, denn Erol hat seine Ausbildung mit super Erfolg beendet und ich habe diese wahnsinnig stolze Mutter bei mir, die in Lächeln getaucht ist und lange mit ihrem Schatz telefoniert. Ganz süß. Gehen in das Panoramarestaurant in unserem Hotel und stoßen über den Lichtern der abendlichen Stadt mit einem Raki auf Erol an. Essen dazu Obst.

17.6.09 Sarıkamıs

Gott sei Dank haben wir heute Regen und trübes Wetter schon beim Aufstehen. Wir verbringen daher einen ruhiger Vormittag in unserem schönen Hotel, waschen Wäsche, schreiben ein bißchen, trinken Kaffee, lesen. Als es aufklart laufen wir durch den Wald in die Stadt, gehen essen, heben Geld ab, gucken die Moschee der Stadt an, die aus einer alten armenischen Kirche durch das Anheften eines Minarettes erstand. Laufen dann rüber zum Ögretmenevi, dem Haus der Lehrenden, wo wir die erste Nacht in Sarikamis verbracht haben und so sehr nett aufgenommen wurden. Wollen dort ein bißchen Tee trinken, ins Internet gehen und uns verabschieden, da wir Sarikamis am nächsten Morgen verlassen werden. Man erkennt uns gleich wieder und der Empfang ist wieder herzlich. Heute abend ist im Haus Hennaabend mit Tanz, eine Lehrerin heiratet und wir sollen doch bitte dazukommen. Gerne. Der Hennaabend ist der Abend vor der eigentlichen Hochzeit, es ist ein Abend für die Braut und wird überwiegend von und mit Frauen gefeiert. Die Braut nimmt Abschied von den Eltern und ihrer alten Lebensform. Es darf gefeiert und geweint werden (eine klassische türkische Kombination)! Henna als heiliges Färbemittel kennzeichnet diesen Übergang der Frau in die Ehe. Es wir überwiegend kurdische und Azerimusik gespielt und Mine tanzt wie ein Teufel in ihren Bergschuhen. Es ist proppenvoll und die Musik wunderbar, aber akustisch an der Schmerzgrenze. Ich gucke mir das ganze an und schütze meine Ohren. Überwiegend wird Halay getanzt, die Schritte scheinen mir kompliziert und ich entscheide mich zu Betrachtung und Genuß vom Rand der Tanzfläche aus. Nachdem Mine halbwegs trocken ist nach dem Tanzen, machen wir uns an den Gedanken des Rückwegs zum Hotel. Ein netter Skilehrer fährt uns nach Hause. Wir sollen unbedingt im Winter wiederkommen, da sei es wunderschön hier. In zwei Tagen könnten wir unter seiner Anleitung Skifahren lernen.

Samstag, 20. Juni 2009

16.6.09 Sarıkamıs

Fahren mit den Mitarbeitern vom Hotel nach Kars. Wir denken, daß wir vor vier Jahren in Kars waren und alles hat sich sehr verändert. Kars ist eine junge lebendige Stadt geworden mit Cafes, Bowlingcentern und Supermärktes. Wie rasant sich die Türkei, selbst im Osten, verändert! Wir recherchieren prinzipiell wegen Autoverleih und jetzt auch hier wegen einer Busfahrt von Kars nach Armenien. Man meint, daß es so etwas hier (in altem armenischem Gebiet) geben müßte. Fragen bei allen Reiseanbietern und Busgesellschaften nach. Fehlanzeige, keine Busse nach Armenien via Georgien. Natürlich kann man sich in das grenznahe türkische Posof und dann an die georgisch-türkische Grenze bringen lassen und dann irgendwie (über Tiflis?) nach Armenien kommen. Auf “irgendwie” haben wir aber keine Lust. Der Gedanke wird vorerst wieder begraben.
Nicht begraben wollten wir den Gedanken an den Kauf eines silbernen Karsgürtels. Leider haben wir das nicht während des Vorbesuchs hier erledigt, als man noch Gürtel in vielen Geschäften zu guten Preisen gesehen hat, wie man rückblickend versteht. Jetzt finden wir nur noch ein Geschäft mit wenigen alten Silbergürteln aus der Region und die sind doch recht teuer. Beerdigen daher für heute auch diesen sonst so aufmunternden Gedanken.
Fahren nach einigen Einkäufen und Kaffeetrinken zurück nach Sarikamis. Die Fahrt zurück mit dem Dolmus in dem Tal entlang der Eisenbahnlinie und entlang einem kleinen Fluß ist wunderschön von Seiten der Landschaft. Natürlich fahren wir im Regen. In den überfüllten Dolmus steigt eine Familie mit zwei kleinen Kindern ein. Sie finden nicht sofort einen Sitzplatz und eine Oma ruft der Mutter zu “Gib mir das Kind”. Die Mutter reicht der Oma den quengelnden Säugling, was die sichtlich freut. Sie küßt und drückt und tätschelt das Kind mit fester und sicherer Hand, läßt es aus dem Fenster gucken und ihr Schuckeln läßt das Kind in ihren Armen hüpfen. Das ihr die Arme nicht lahm werden? Immer wenn das Kind anfängt, loszuweinen, ruft sie “Du kannst mich nicht belügen, was hast Du denn, Dir gehts doch gut”. Das sieht das Kind immer wieder für kurze Zeit ein. Das Ganze ist schön anzugucken. Die Oma hat 13 Kinder geboren, erzählt ungefragt, daß sie immer Mitleid hatte mit den Säuglingen, die sich zu nichts äußern können auch nicht zu ihrem Unbehagen. Ihre Behandlung des Kindes ist liebevoll und ein bißchen deftig und traumwandlerisch sicher. Drei Zähne hat sie noch im Mund, nur ein Auge scheint noch zu sehen, sie lacht. Sie erzählt, daß ihr Sohn, der eine gute leitende Stellung in Sarikamis hatte im Streit einen Mann erschossen hat und nun seine Haftstrafe verbüßt hat und wieder frei ist. Das alles erzählt sie ganz selbstverständlich und natürlich. Das Kind quengelt jetzt doch wieder und sie reicht es hinter sich zu der Mutter mit den knappen Worten “Gib ihm mal die Brust!, was diese kommentarlos macht. Wieviel Lebenskraft manche Menschen ausstrahlen und wieviel Selbstverständlichkeit gegenüber dem Leben.

15.6.09 Sarıkamıs

Nach dem Frühstück geht es wieder los. Über die Felder wandern wir zu dem Dorf Alisofu, dem Heimatdorf von unserem Rechtsanwalt aus dem Hotel. Leider ist heute Manövertag und schon bald sehen wir ellenlange Konvois mit Militärfahrzeugen und Panzern, die alles verstopfen und an uns vorbeifahren. Ein Gewitter kommt auf und es gibt einen ersten Schauer. Durch den Wind sind wir aber wieder trocken bis wir im Dorf ankommen. Der Manager unseres Hotels hat uns beim Dorfvorsteher, Muhtar, angekündigt, damit wir im Dorf was zu essen bekommen und man die Gäste seines Hotels freundlich empfängt. Das Dorf hat 250 Häuser, 1500 Kühe und viele viele Schafe und Ziegen, ist bewohnt von muslimischen Kurden. Es ist ein ehemals armenisches Dorf, sehr alt. Die zwei armenischen Kirchen wurden abgetragen und aus den Steinen eine Moschee gebaut. Der Muhtar mußte leider weg, aber drei Männer des Dorfes führen uns herum: Wir sehen die Moschee (der Hoca pflanzte gerade kleine Tannen um die Moschee), die Schule, den Friedhof, das Gästehaus, die kleine Molkerei. Das Dorf ist urig, überall wird gearbeitet, Wolle gewaschen, Teppiche gewaschen, in Haus und Hof gesägt, gehämmert und gebaut. Die Häuser sind überwiegend aus Bruchstein, haben Strom und Wasser, aber keine Kanalisation, die Dorfstraßen sind aus Lehm, werden aber im Winter geräumt. Überall laufen junge Küken und Gänse rum. Die Leute sind insofern modern, als daß sie alle Kinder zur Schule schicken, Mädchen und Jungen, sie schätzen Bildung hoch und fördern sie. Nach der Besichtigung gibt es Tee und Kekse im Haus eines unserer Führer. Ein Tisch wird in den Hof gerückt, eine weiße Tischdecke kommt darauf und es gbt Tee und Waffeln. Immer mehr Leute gesellen sich dazu und es geht ganz munter zu. Wir machen Fotos und der Sohn des Hauses zeigt uns die neuen Kälbchen und sein Pferd, das wir mit ihm zusammen fotografieren müssen. Alles in Haus und Hof ist einfach, aber gepflegt. Wir verabschieden uns herzlich wegen heraufziehender scharzer Wolken, um den Nachhauseweg anzutreten. Wegen des nächsten kräftigen Regens kommen wir nur wenige Meter weiter bis zu einem der nächsten Häuser. Dort müssen wir uns unterstellen, werden aber bald hereingebeten. Sitzen in einem tief blau gestrichenen Raum auf dem Sofa und werden wunderbar bewirtet mit selbstgebackenem Lavasbrot, hausgemachtem Käse, Oliven, Tomaten und Gurken, süßem Traubensirup (Pekmez) und Tee. Mine kommt vor lauter Erzählen und Übersetzten kaum zum Essen und ich komme zu kaum etwas anderem als zum Essen, weil ich ja nur loben und lächeln und auf Überstzung warten muß. Viele Fragen aus dem Dorf an uns und unsere Fragen an die Menschen haben eine Antwort gefunden. Mit vielen Themen läßt sich hier schwer in die Tiefe dringen, schon früh scheint alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt und es liegen keine Sätze mehr in der Luft, die erzählt und ausgetauscht sein wollen. Die Menschen sind nicht gewohnt, allzu viel über sich und ihre Welt zu reflektieren, was nicht heißen soll, daß sie es nicht könnten. Ihr Vorgehen ist nahe am wesentlich Alltäglichen. Man meint, ihre Gedanken gingen weniger in Kreisen. Man meint, sie träumten weniger wirr. Bestimmt fühlen sie sich beim Zubettgehen schwerer als beim Aufstehen.
Der eine Mann erzählte, daß sein Sohn künstlerisch begabt sei. Den Lehrern ist das aufgefallen und er soll jetzt auf einem Internat speziell gefördert und dafür auch finanziell unterstützt werden. Alles hier wirkt so verhaftet im Konkreten, daß es uns fast verwundert, daß der Vater hier so viel Stolz für die Gabe seines Sohnes aufbringen konnte.
Daß wir uns so weit in die Fremde begeben haben, so weit von unserem Zuhause sind, um auch sie zu sehen ist äußerst ungewöhnlich für sie und wird mit feinem Respekt uns gegenüber belegt und ist irgendwie rührend.
Ich weiß nicht auf wie vielen Sofas ich schon in anatolischen Dörfern mit Mine gesessen und mindestens Tee getrunken, wenn nicht auch gegessen habe. Dieses Dorf ist mit zwei anderen Dörfern zum Touristenzentrum erklärt worden (wegen der nahen Skianlage). Auf unsere Nachfrage, ist aber noch kein Tourist bis ins Dorf gekommen. Wir sind die ersten. Sie fahren gewöhnlich auf der Asphaltstraße bis zum Dorfeingang, machen Fotos und fahren wieder zurück. Das kann man gut verstehen, da die Dörfer relativ geschlossene Gesellschaften sind, quasi ein kollektiver Privatbesitz, den man nicht kommentarlos betreten kann. Spricht man die Sprache nicht, endet das ganze sicherlich schnell am Unbehagen auf beiden Seiten. Auch wir waren anfangs nicht sicher, ob wir willkommen sind und es brauchte Zeit, warm zu werden. Die Familien kennen sich alle seit Urzeiten, sind fast alle miteinander verwandt. Hier wohnen keine Fremden aus anderen Orten. Hier kann man nicht einfach Grund und Boden erwerben und zuziehen. Es gibt Männer aus der Generation der Großväter, die bis zu vier Frauen haben. Das findet aber in dieser Generation nicht mehr statt. Manch einer unserer Gastgeber hat also mehrere Mütter und 17 Geschwister sind keine Seltenheit. Das Dorf achtet aber darauf, daß der Mann sich weiter gut um alle seine Frauen kümmert. Das Heiraten untereinander von Kindern zweier Geschwister ist ganz normal. Das Heiraten außerhalb des Dorfes ist aber auch möglich, wenn man sich verliebt.
Der Regen hört gar nicht mehr auf. Wir werden mit dem Schirm bis an die Asphaltstraße gebracht und man wartet dort im Regen mit uns bis der Bus kommt. Das letzte Stück laufen wir zum Hotel, genug um weitgehend naß zu werden. Trocknen unter unserem wunderbar warmen Heizstrahler im Hotelzimmer.

14.6.09 Sarıkamıs

Hocken wieder in unserem sonnenreichen Wintergarten zum Frühstück. An den Nachbartischen sitzen mehrere türkische Ehepaare mittleren Alters, die Männer Zypernveteranen aus dem Krieg 1974, die hier von irgendeiner kümmernden Organisation zu einem Wochenende eingeladen wurden. Sahen gestern schon die Männer plaudernd vor dem Hotel und die Frauen in der nahegelegenen Wiese kniend, um Mademack zu pflücken, ein wildes bodennahes Kraut, was sehr lecker sein soll in z.B. Börek. Wir haben bei der Rückkehr aus dem Wald mit ihnen ein bißchen geplaudert, wollen ja immer wissen, was die Leute sammeln und suchen: Sie kommen aus Tokat, haben uns gleich dorthin eingeladen und von ihrer Heimat geschwärmt. Sie sind glücklich wegen des Mademacks und das Sammeln liegt ihnen irgendwie im Blut und will da raus und so gesellen sie sich auch am Wochenende bereitwillig um ihre fleißigen Hände. Ein kleiner, untersetzter, lebhafter Mann kommt später an unseren Frühstückstisch und stellt sich als türkischer Offizier vor. Während seine Veteraner ohne ihn vor dem Hotel warten, setzt er sich zu uns und wir plaudern über die EU, die Türkei und ihre Entwicklung. Wir haben ja immer viel Gutes auf der Zunge über die Menschen und das Land und der Offizier ist so glücklich und munter, daß er wiederholt “bravo” ruft und seine von unten winkenden Mannen vergißt, an die wir ihn erinnern müssen, da man in den Bus steigen will. Danach kommen der Rechtsanwalt, dem das Hotel gehört und der Manager des Hotels und sie wollen auch ein bißchen plaudern. Der Rechtsanwalt ist guter Dinge, da er in seinem nahe gelegenen Heimatdorf, um das er sich immer noch viel kümmert (spendend) in der Schule die Zeugnisse überreichen durfte und das muß rührend und schön gewesen sein. Jetzt fährt er wieder zurück nach Ankara und will sich von uns verabschieden. Wir beschließen, sein Dorf in den kommenden Tagen noch anzugucken. Gehen danach wieder in den Wald, an einer anderen Stelle als am Vortag. Es ist wieder wunderbar. Wir sehen irgendwann von weitem Rauch aufsteigen und ahnen gleich einen Hirten, der Tee kocht, der uns jetzt auch schmecken würde. Auf einer Lichtung steht seine Herde Kühe, die er zusammen mit seinem Sohn hütet. Man kommt rasch ins Gespräch und wir sollen Tee trinken. Wenig später bringt der Sohn zwei vom Ruß geschwärzte Alufeldflaschen (noch aus der Militärzeit) mit Tee. Er legt die Flaschen scheinbar direkt in die Glut und der Tee schmeckt auch etwas rauchig. Der Hirte packt auch gleich Brot und Käse aus und sagt, daß dieses Brot und dieser Käse unser Kismet waren, beides war für uns bestimmt, für keinen anderen und wir sollen es uns schmecken lassen. Er erzählt von seinem Reitersport, den er im Winter betreibt: Cirit. Je sechs Reiter in zwei Manschaften spielen, sie werfen sich einen Speer zu und die Reiter der gegnerischen Manschaft versuchen den Speer abzufangen. Man muß ein fantastischer Reiter sein, um da mitzuhalten. Er erzählt von der herrlichen Natur und seiner Verbundenheit, zeigt ein paar Kräuter, erzählt von den Tieren und seiner Familie. Sein Sohn bemüht sich nach Kräften, die vielen Tiere unter Kontrolle zu halten. Das gelingt nicht lange und der Vater packt schnell zusammen und geht den Tieren hinterher. Er verabschiedet sich mit den Worte: “Gerne hätte ich euch besser bewirtet, verzeiht, daß meine Möglichkeiten nicht anders waren.” Wir gehen weiter, aber schon bald ziehen dunkle Wolken auf. Wir treten den Heimweg an. Wir gehen gerade über die riesige Wiese auf unser Hotel zu als es beginnt, zu blitzen und zu donnern. Das ist ein blödes Gefühl, wenn man auf freiem Feld ist und es um einen herum blitzt. Wir eilen mit großen Schritten weiter und es beginnt zu hageln, Die Körner werden immer dicker und sind unangenehm auf Armen und Kopf. Wir stellen uns nicht weit vom Hotel unter einem Vordach unter. Es ist das Haus der Liftarbeiter und wir werden hereingebeten. Wir kriegen natürlich Tee und unterhalten uns aus dem Fenster blickend. Ich frage wegen der Bienenstöcke im Flur, wie es mit dem Honig ist. Oh, da gab es ein Malheur. Vor wenigen Tagen waren drei große Braunbären da und haben sich über den Honig hergemacht. Sie kommen sonst nicht so nah an die Häuser, aber die Versuchung muß groß gewesen sein. Irgendjemand hat sie mit Schüssen in die Luft vertrieben. Wir schlucken etwas. Als sich das Unwetter legt gehen wir rüber zu unserem Heim. Trampen wenig später in die Stadt, gehen ins Internetcafe, essen lecker und laufen dann in der Dämmerung heim.

13.6.09 Sarıkamıs

Unser Hotel ist eine wunderbare Oase, in der man morgens gerne aufwacht. Nach dem Frühstück im Wintergarten stapfen wir los in den unmittelbar angrenzenden Wald. Alter überwiegend Kiefernbaumbestand. Die Bäume stehen nicht zu eng, konnten sich in alle Richtungen entwickeln, haben breite Kronen, der Waldboden zwischen und unter den Bäumen ist grün und oftmals voller blühemder Frühlingsblumen in blau und lila, gelb und weiß. Wie in der Senne stehen immer wieder Blaubeeren am Boden. Gehen aufatmend durch die Natur, die uns so gut tut nach den vielen Städten und Baudenkmälern. Gucken unten am Boden nach den Blumen und am Himmel nach den Vögeln und Wolken, drehen Blätter um und heben Steine auf, sehen Füchse umherstreifen und Eichhörnchen sich an den Bäumen haltend. Bären nicht gesehen, aber gewußt, daß es sie hier gibt. Machen Rast mit Gurken und Keksen auf einer blühenden Waldwiese und genießen im Halbschatten liegend die Sonne. Gehen im Wald bis auf die Spitze des Hausberges auf 2700m. Hier ist eine weitere Liftstation für die Wintersportler zu finden und man hat eine herrliche Rundumsicht auf noch mehr Wald und Hügel mit Schneeresten und Wiesen und sonst nichts. Kehren zurück ins Hotel, trinken Kaffee in der Sonne vor dem Haus. Gegen vier oder halb fünf regnet es meist, so auch heute. Wir lassen uns von den Liftarbeitern, die alles für die Saison ab November präparieren, von unserem Waldrand mitnehmen in die Stadt, wo sie uns eine gute Lokanta empfehlen. Essen sehr lecker und gemütlich und fahren mit dem Service vom Hotel um sieben wieder in unser Hotel. So einen Tag wünscht man sich wieder.

Dienstag, 16. Juni 2009

12.6.09 Sarıkamış

Nach dem Frühstück erfahren wir, daß wir wegen eines Seminares nicht länger im Haus der Lehrenden bleiben können. Das Haus ist ausgebucht. Wir sind enttäuscht, daß wir schon wieder was Neues suchen müssen. Gehen erstmal die Stadt angucken, die im Licht der Vormittagssonne recht freundlich wirkt, aber wenig Nenneswertes bietet, nur zwei ältere armenische Kirchen, die jetzt Moscheen sind. Gehen zum Bahnhof, werden dabei geführt von zwei Jungen, die sich offensichtlich ein bißchen Geld verdienen wollen. Wir schicken sie irgendwann weg, um wieder unsere Ruhe zu haben. Fragen am Bahnhof wegen der Verbindungen von hier, um vielleicht irgendwann mit dem Zug weiter zureisen. Machen von dort einen Spaziergang zu Katarinas Villa, einem Sommerhaus, das leider recht verfallen ist, aber schön gelegen in altem Kiefernwald. Welche Katarina hier ihre Zeit verbrachte, wissen wir nicht. Auf dem Weg sehen wir wieder recht ärmlich wirkende dörfliche Teile von Sarikamis. Sitzen bei Katarinas Köşkü und essen dort Kürbiskerne in der Sonne. Treffen auf dem Weg zurück in die Stadt einen Offizier, mit dem wir uns nett unterhalten. Er erzählt von den langen, nicht enden wollenden Wintern hier mit meterhohem Schnee. Er hat das ganze satt und freut sich, in wenigen Jahren pensioniert zu werden und sich von der Abfindung ein kleines Häuschen in Aydin in der Westtürkei zu kaufen. Von sich aus äußert er sein Unverständnis darüber, daß man so bitter gekämpft hat, um diesen Zipfel Erde zu erringen. Essen in der Stadt Eis und sitzen dabei auf zwei für uns auf die Straße gerückten Stühlen auf dem Bürgersteig. Nehmen dann die Suche nach unserer weiteren Unterkunft in Angriff. Mit dem Taxi fahren wir zu den zwei Hotels, die etwas außerhalb der Stadt am Waldrand und Skilift liegen. Vergleichen die Angebote in den fast leeren Hotels, die auf die Wintergäste warten und das pulsierende Leben, das mit ihnen kommt. Es reisen wohl in der Hauptsache Ukrainer und Aserbaidschaner zum Wintersport an. Der Wald mit altem Kiefernbaumbestand ist wunderschön. Es gibt hier noch Braunbären, viele Füchse und Wildschweine. Finden eine schönes Zimmer im Camkar Hotel. Trinken erstmal Tee und Kaffee in der Sonne. Wegen der abgelegenen Lage wollen wir einen Laden suchen, um Obst und Wasser und Kekse zu holen, Proviant für die Waldtage. In einiger Entfernung liegt eine kleine Universität und ein kleines Wohngebiet mit häßlichen Blocks auf freiem Feld. Wir ziehen los, laufen bald schon im Regen und finden auf Nachfrage in dem dunklen, feuchten Kellerraum eines Wohnblock eine Art Laden. Betritt man den improvisierten Laden steht man sofort zwischen einer Vielzahl von Körben mit Brot, die in dem scheußlichen Keller mit Schimmel an den Wänden wenig einladend wirken. Kaufen das Nötigste und gehen im Regen rüber zur Uni. Mal sehen, ob sie eine Cafetria haben? Haben sie. Wir trinken einen Tee, Essen gibt es nicht und erfahren, daß man hier Tourismus, Sport und Einzelpersonenschutz (!) studieren kann. Eine unschöne Vorstellung hier zu studieren. Müssen wohl doch wieder in die Stadt zurück, um etwas zu essen. Es regnet unaufhörlich. Die Uni ist an diesem Tag schon ziemlich verlassen, aber ein Auto fährt vor und wir können mitfahren in die Stadt. Essen in einer schönen Lokanta sehr lecker. Wieder zu Hause in unserem Zimmer (hat einen kleinen Balkon und ist damit ideal zum Wäschetrocknen) fangen wir das Projekt Wäschewaschen am Morgen und Abend (im Waschbecken) gleich an. Immer zwei Teile.

Sonntag, 14. Juni 2009

11.6.09 Sarıkamış

Wir fahren von Ağrı mit dem Bus bis Horasan, nehmen dann einen Dolmus bis Sarıkamış. Die Fahrt zeigt eine wunderbare abwechslungsreiche Landschaft.
Wir sehen: Schnee auf den Bergen. Mehrere Pferdefuhrwerke, die versuchen eınen Fluß zu durchfahren, die Pferde mühen sich bis zum Bauch im Wasser. Ein anderer Fluß ist so angeschwollen, daß er von der roten Erde, durch die er fließt, unglaublich viel mitreißt, er selber ist schon ganz rot und sieht aus wie fließende feuchte Erde, reißt die Böschungen mit, Dorfbewohner versammeln sich an einer kleinen Brücke, überlegen vielleicht, ob sie dem Wasser standhalten wird.
Auf dem Weg zweimal Militärkontrolle. Ein Soldat sammelt die Pässe der Mitreisenden ein, will nur meinen und Mines nicht haben. Im Bus lernen wir einen jungen Lehrer kennen. Seine erste Pflichtstelle war in Sarıkamış und er fährt zu der Abschlußfeier der Schüler, die er die ersten vier Jahre unterrichtet hat. Er erzählt, er habe geweint als er die Stelle antrat und als er sie nach vier Jahren wieder verließ. Ersteres konnten wir bald verstehen, letzteres mal sehen.

Mıne zu Sarıkamış beım ersten Gang durch dıe Strassen: “Mein Gott, es gibt so viele Lieder aus/über dieser Region.” und dann “Wer singt denn hier?” Eine berechtigte Frage, wenn man das Auge schweifen läßt.
Alles ist grün oder grau, der Baumbestand uralt. Die Region wurde dreimal von den Russen besetzt und 1914 nach großen Kämpfen den Russen das letzte Mal durch die Türken abgetrotzt. Man fragt sich, was sie hier unbedingt wollten. Der russische Charme ist mancherorts geblieben, man sieht ihn manchen Straßen und Häusern an.
Als wir kommen hat es gerade gehagelt, überall liegen noch die dicken Körner und machen keine Anstalten zu schmelzen. Große Teile der Umgebung sind umzäuntes Armeegelände, was neben dem Matsch auf den Straßen das Spazierengehen behindert. Der erste Gang in der Dämmerung nach dem Abendbrot: Kopfsteinpflaster auf den Straßen, an den Häusern viel rostiges Wellblech und Improvisiertes, aus den Schornsteinen dichter Qualm (was sie wohl verbrennen? Müll?!), alles wirkt in der Hauptsache grau, dazwischen ein paar farbige Neubauten (Haus des roten Halbmondes, Krankenhaus etc.) und halb verfallene Häuser aus schwärzlichem Stein. Die Straßen stellt man sich so auch in Bulgarien oder Rumänien oder halt Rußland vor. Die Wäsche hier auf den Leinen scheint nie ganz trocken zu werden, riesige Pfützen, durch die die Kinder mit dem Fahrrad fahren. In den Silberpappeln sitzen auffallend viele Krähen, hocken in Gruppen, ihr Krächzen klingt fast wie das Quaken der Frösche. In geringer Entfernung dichte Kiefernwälder. Die Läden sind klein und dunkel und verkaufen wenig (Zigaretten, Kekse, Getränke, Kaugummi, Taschentücher), Repertoir wie ein Kiosk nur ohne Zeitungen und Zeitschriften.
Mines Kommentar zu unserer Ankunft in Sarıkamış: “Das wir aber auch immer erstmal in einer Bruchbude landen.” Wir sınd untergekommen ım Haus der Lehrenden, dem Ögretmen evi, was eine vergleichsweise gute Unterkunft ist (Empfehlung des Lehrers im Bus). Wır fragen nach dem ersten irritierenden Erkundungsgang, ob es denn organisierte Touren in dıe Umgebung gibt, was nicht der Fall ist, jeder darf wandern wie er will (dıe Türken laufen nicht so gerne, ım Wald erst recht nicht)...

10.6.09 Ağrı

Als wir aufwachen ist uns immer noch wohlig warm. In dieser Nacht war es wieder kalt,aber wir hatten unsere Betten und uns selber gut präpariert (Kopftuch, mehrere Oberteile übereinander im Zwiebelschalenprinzip, lange Unterhose plus Schlafanzughose, Socken, Halstuch). Die Wäsche, die wir gewaschen hatten, ist immer noch genauso feucht wie am Abend und die Fenster sind von innen beschlagen. Wir treten aus unserer Kammer und die Morgensonne scheint einem auf den Rücken und man kann erstmal einfach dastehen und das genießen. Wir packen und frühstücken dann mit dem Dorfbrot und den besorgten Gurken und Tomaten, Aprikosen und unseren Oliven und Schokocreme. Unsere beiden deutschtürkischen Rentner sind auch wieder zum Plaudern aufgelegt und sitzen in der Sonne und gucken, was passiert. Mine läd sie zu einem syrischen Kaffee ein, den wir immer noch aus Aleppo bei uns tragen. Wir zahlen und finden ein Auto, das uns mitnimmt nach Ağrı.
Ağrı ist eine lebendige Kleinstadt, die das Auge nicht verwöhnt. Man findet eine kleine Fußgängerzone, aber keinerlei alte Bauten, kein Museum, keine alte armensiche Kirche (Ağrı ist eine alte armenische Stadt), keine nennenswerte Moschee. Das Umland mit den Bergen ist wunderschön, Man weiß aber nicht, wie man es erreichen kann, wie man dort irgendwo unterkommen kann. Es gibt einfach scheinbar nichts. Wir recherchieren in allen Quellen: beim Kaffee im Hotel, beim Börek im Börekhaus, in der Stadtbücherei. Es scheint keine kleinen Hotels oder Pensionen im Umland zu geben. Trinken Tee mit den zwei Bibliothekaren in der Bücherei. Sie erzählen, daß der örtliche Richter ihnen immer wieder junge Delinquenten schickt. Ihre Strafe ist, dort zu lesen. Die Bibliothekare überwachen das Abbüßen der Strafe, haben einen Ordner, in dem sie alles nachhalten. Das fanden wir eine gute Idee von dem jungen Richter. Ansonsten bietet die Stadt wenig. Wir gehen essen und planen für den morgigen Tag die Abreise.

9.6.09 Diyadin

Die Nacht war unangenehm kalt und wir mußten zudem dreimal auf Toilette wegen des abendlichen Tees, was ja immer bedeutet, sich fast komplett anzukleiden und über den Hof rüber zu den Toiletten zu gehen. Wir sind etwas zerknittert beim Aufstehen und genießen doppelt das Frühstück in der Morgensonne. Danach starten wir zu einem Spaziergang. Der Himmel ist wieder schwer von Wolken und zu zwei Seiten donnert und blitzt es schon kurz nach dem Aufbruch. Zu unserer Freude sehen wir viele Frühlingsblumen und sind begeistert, eine Wiese mit zahllosen lila blühenden wilden Orchideen zu sehen, die wir dank unserer Tour mit den Orchideenkennern in Ermenek jetzt nicht mehr übersehen.
Treffen später eine junge Dorffrau mit ihrem Kleinkind auf dem Rücken. Dem Kind fehlt ein Strumpf, das Haar ist stumpf und wirr und aus der Nase läuft der Schnupfen. Mit dem Händen krallt es sich in den Pullover der Mutter und dreht scheu den Kopf weg als man es streicheln will. Die Frau bringt Mittagessen zu dem Hirten (meist kleine oder pubertierende Jungen), der für das Dorf die Tiere hütet. Mine beginnt wie immer ein Gespräch und wir stehen ein paar Minuten und unterhalten uns. Die Frau spricht ein bißchen Türkisch und Mine ein bißchen Kurdisch und es reicht für eine Verständigung. Sie sagt im Laufe des Gespräches: “Ihr seid so schöne Menschen und wir sind so kaputt.” Mine sagt ihr: “Dein Dorf ist schön und Du bist auch schön.” Sie verweist auf die vielen Kinder, die sie geboren hat (die Frauen haben hier oft 6-9 Kinder), freut sich aber dennoch über das Lob. Wir verabschieden uns und sie sagt “Geht mal in mein Dorf, ich komme gleich nach und koche Euch Tee.” Noch lange unterhalten wir uns über ihre Worte. Wir gehen über Wiesen und Felder und kommen gerade noch trockenen Fußes in das nächste Dorf ehe der Regen beginnt..
Dort stehen ein paar Lehrer und Schüler an einem Dolmusch. Als sie die Fremden sehen, kommen sie uns entgegen. Heute wurde eine Ausstellung in der Schule eröffnet und wir sollen sie angucken. Mehrer Räume sind üppig dekoriert mit den Ergebnissen der handwerklichen Arbeit der letzten Monate: Genähtes, Gesticktes, Gestricktes, Gehäckeltes. Wir werden herumgeführt und fotografiert für die Dorfseite im Internet und bewundern alles. Danach bekommen wir Almsuppe mit Brot und dabei unterhalten wir uns mit einem Lehrer und einigen Frauen des Dorfes und die Kinder drängen sich in der Tür und gucken und hören zu. Alle sind festlich gekleidet. Der Lehrer erzählt, daß die Arbeit schön und schwierig ist. Die Dörfler sind oft arm und können es sich nicht leisten, die Kinder alle und immer in die Schule zu schicken. Bald, wenn das Wetter besser wird, müssen die Tiere wieder gehütet werden und viele der Jujngen werden der Schule fern bleiben, um diese Arbeit zu tun. Es gibt zwar eine Schulpflicht, aber die Lehrer melden die Kinder nicht, weil sie wissen, daß die Familien nicht anders können. In anderen Dörfern werden oftmals besonders die Mädchen nicht zur Schule geschickt, sie müssen zu Hause helfen und man fördert wenn eher die Jungen. Wie fragen, ob die Lehrer Kurse anbieten für die Erwachsenen, denen es nicht möglich war, im Kindesalter Lesen und Schreiben zu lernen. Die Frauen sind sofort begeistert und wollen mitmachen und wissen andere, die bestimmt auch wollen. Der Lehrer sagt, sie wollten das bald wieder anbieten. Die Frauen werfen gleich ein, daß so etwas ja noch nie angeboten wurde und sind Feuer und Flamme für die Sache. Die meisten Lehrer meiden das Dorfleben und kommen oftmals nur für den Unterricht angefahren, wohnen sonst in der Stadt. Dabei scheint uns ihre Gegenwart für die Dörfer recht wichtig. Hier im Osten der Türkei herrscht Lehrermangel, die Lehrer bekommen doppeltes Gehalt, wenn sie dorthin gehen und junge Lehrer werden für die erste Stelle (Pflichtjahre als Beamte) oftmals dorthin versetzt. Manchmal nimmt man auch einfach Absolventen der Lisesi (Gymnasien), die nicht als Lehrer ausgebildet sind, weil der Mangel so groß ist. Das Gebiet ist halt strukturschwach und vernachlässigt, die Dörfer haben oft Stromausfälle, nicht immer fließend und genug Wasser, kein Internet, keine Ablenkung und einen Großteil des Jahres hat man Schlamm an den Schuhen und im Winter schneit man nicht selten ein und heizt mühsam mit getrockneten Kuhfladen und Kohle (Holz gibt es fast nicht). Manche machen das zu ihrer Sache und bleiben hochgeschätzt und verehrt bei diesen anhänglichen und liebenswürdigen Menschen und bewegen, was zu bewegen ist, manche wollen das aber eben nicht für sich. Die Dörfer sind konservativ und religiös und die Welt und das Denken sind eng. Alle möglichen Warnungen bekommen wir z.B. von den Menschen, wenn wir in die Dörfer und durch sie hindurch gehen und wenn wir jenseits der Dorfgrenzen noch weiter gehen, scheinbar reale Ängste (“da sind Hunde”), scheinbar irreale Befürchtungen, die dazu führen, daß manche Bewohner selber fast ein Leben lang das eigene Dorf nicht verlassen.
In einem Dorf wurde ein Krankenhaus gebaut, es gibt aber keinen Arzt/Ärztin, die bereit ist dort zu leben.
Die Dörfer haben meist eine kleine Schule, vielleicht einen kleinen Laden, sonst nur einzelne Häuser mit vielen Kindern, deren Hege und Pflege für niemanden im Vordergrund steht, streunenden Hunden, umherlaufenden Hühnern, trocknenden Fladen, gefegten Höfen, Rinnsalen, um die herum die Erde weich ist, kleinen Wasserstellen, an denen man Wasser holt, wenn man Glück hat in kräftigem und nicht allzu zögerlichem Strahl.

Wir verabschieden uns freundlich. Man bedankt sich herzlich, daß wir gekommen sind und sie geehrt haben durch unseren Besuch. Der Boden ist aufgeweicht nach dem kräftigen Regen und wir gehen über die Felder und Wiesen und Wege mit immer dicker werdenen Blocken aus Lehm unter den Sohlen, wie auf Stelzen, wie Astronauten auf dem Mond. Als wir unser Heim erreichen, beginnt es wieder zu regnen. Wir trinken Tee, baden nachdem wir zu frieren begannen wieder in der heißen Quelle im Separee während es weiter kräftig regnet. Danach in Decken eingehüllt Abendessen im Zimmer bis auch das zu kalt wird. Gehen früh zu Bett, eingemummelt.

8.6.09 Diyadin

Am nächsten Morgen Frühstück wieder mit Brot, Weißkäse, Oliven, Nutella. Inzwischen leben noch zwei ältere türkische Herren auf dem Platz, die auch lange in Deutschland gelebt haben. Abdulla hat 35 Jahre in Bielefeld Brakwede in der Gießerei bei Tyssen gearbeitet, der andere war eigentlich hier in der Region Hirte in den Bergen und ist mit 20 nach Deutschland gekommen, hat dort immer fleißig gearbeitet und wirkt jetzt recht depressiv. Seine acht Kinder, von denen vier mit Autos handeln, machen in seinen Augen überwiegend Blödsinn und ein 47-jähriger Sohn hat eine schwere Behinderung nach einem Sturz vom Gerüst als Schweißer erlitten. Rauchend versinkt er immer wieder in seine trübsinnigen Betrachtungen. Zwei junge Ingenieure kommen vorbei, sie machen Erkundungen vor Ort zur Planung von Schulbauten. Sie machen einen netten Eindruck und bieten uns an, uns in ihrem Auto mitzunehmen, damit wir ein bißchen rumkommen. Wir sind sicher, daß Bedenken nicht von Nöten sind, aber unsere beiden Alten raten ungefragt ab, weil das Fremde aus der Stadt sind, für die man nicht die Hand ins Feuer legen kann.
Wir gehen alleine los, erkunden die heiße Quelle in der Nähe. Aus der Tiefe quillt unaufhörlich heißes Wasser (knapp über 50°C) und zudem werden immer wieder Schwefeldünstungen ausgestoßen, die alles nach faulen Eiern riechen lassen. Die Quelle ergießt sich in einen Bach, der dampfend durch die Wiesen zieht. Entlang des Bachbettes bilden sich Kalkablagerungen (wie in Pamukkale) und scheinbar wächst und vermehrt sich eine bestimmte Alge unter diesen Bedingungen gut, die in sattem Grün in und auf dem sonst klaren Wasser schwimmt. Wir machen viele Fotos in dieser besonderen Landschaft. Wandern danach auf die andere Seite des Flusses Murat über eine natürliche Brücke und wandern zu einem der kurdischen Dörfer. Eine junge Frau bietet uns Tee an und wir willigen gerne ein. Die junge Frau bringt uns zu ihrem Mann, der in einem kleinen Bruch Steine bricht, um eine Küche an sein Haus anzubauen. Die junge Frau kocht Tee und man bringt Mine und mir zwei Stühle auf die Wiese. Dort trinken wir mit wunderbarer Aussicht in die Ebene Tee, beäugt von den Kindern und Frauen des Dorfes. Machen Fotos, verbrennen langsam in der Sonne und brechen dann benommen von der vielen Sonne wieder auf. Haben auf dem Rückweg wieder einen Gewitterkopf im Rücken. Es blitzt und donnert vor dem Regen. Das wird uns so unheimlich, daß wir ein Auto anhalten, das vorbeikommt. Es sind zwei Veterinäre, die vom Impfen des Viehs kommen. Sie sagen: “Ihr seid doch vorgestern gekommen”, sie haben uns in Diyadin gesehen. Sie fahren uns bis vor unsere Tür. Wir gehen wieder eine Stunde in unser Separee zum Baden. Währenddessen regnet es in Strömen. Danach gehen wir wieder essen in unserem Imbiß, wozu es ja keine Alternative gibt. Vier Deutsche leisten uns Gesellschaft, die es ebenfalls hierhin zum Baden verschlagen hat. Trinken Tee im Bett, weil der Abend wieder kalt ist.

7.6.09 Diyadin

Wir kaufen zum Frühstück alles was möglich ist in dem kleinen Laden: Brot, Oliven, Nutella. Das war es. Dazu bekommen wir eine Kanne Tee. Danach gehen wir raus in die wunderbare Natur. Ab und zu fallen ein paar Tropfen Regen, aber richtig naß wird man nicht. Der Fluß Murat mäandert durch die Landschaft und glitzert in der Sonne. In der Ferne sind schneebedeckte Berge und davor eine grüne Hügellandschaft, auf die die schweren Wolken dunkle Schatten werfen. Wir genießen es, fernab der Stadt draußen zu sein und die Natur vor der Tür zu haben. Wir treffen zwei Hirtenjungen, zwei Brüder 7 und 13 Jahre alt mit ihrer Herde Kühe. Sie sind zu Hause sieben Kinder, der Vater hat Tuberkulose und kann nicht arbeiten. Er arbeitet sonst in Izmir auf dem Bau, ist aber dort krank geworden. Die Jungen hüten jetzt das Vieh für das Dorf als Broterwerb für die Familie. Wenig später treffen wir zwei Mädchen, die Schwestern der beiden jungen Hirten, die Tee und Essen für die Brüder bringen. Wir bekommen Tee angeboten, sitzen mit wunderbarer Aussicht auf den Fluß Tee.trinkend da und plaudern mit den Mädchen. Sie ruhen nicht, bis wir fast die ganze Kanne ausgetrunken haben. Sie sagen, sie würden neuen Tee für die Brüder holen können. Der Vater kommt angeritten, wollte nach den Kindern gucken und setzt sich auch noch dazu und trinkt Tee. Das größere Mädchen erzählt bereitwillig, das kleine schweigt und guckt sich alles an. Der Vater reitet mit dem Essen los zu den Jungen, die Mädchen gehen ins Dorf, um neuen Tee zu holen. Wir verabschieden uns. Treffen wenig später die Badestelle des Dorfes am Fluß, wo sich eine weitere heiße Quelle befindet. Wir wollen die Frauen nicht stören, machen einen Bogen um sie, werden aber später doch von ihnen eingeholt und begrüßt und sehen die frisch gebadeten und eingemummelten Kinder und Frauen. Kurz vor dem Dorf kommen uns die beiden Mädchen mit neuem Tee und ihrer 20-jährigen Tante entgegen. Die junge aufgeweckte Frau ist noch nie zur Schule gegangen, hat noch nie das Dorf verlassen. Unbedingt will sie uns zum Tee einladen und wenigstens auf unserem Rückweg, wenn wir wieder durchs Dorf kommen, sollen wir sie nicht vergessen. In Begleitung mehrerer neugieriger Kinder gehen wir durch das kleine Dorf. Wir machen eine kleine Rast und schlechtes Wetter kommt auf, Wind und Donner und erste Regentropfen. Wir gehen zurück zu unserem “Kurort” mit dem Gewitter im Rücken. In den Bergen fällt Schnee. Essen Lammkotletts in unserem Imbiß und gehen dann eine Stunde zum Baden in einem der Separees. Das warme Wasser ist wunderbar und macht die Haut sehr schön. Wir waschen ein bißchen Wäsche am Beckenrand. Nach dem Bad ist alles Frieren verschwunden und die Nachruhe nach dem Bad geht nahtlos in den Nachtschlaf über.

6.6.09 Diyadin/Türkei

Karges Frühstück. Es folgen eneute Telefonate mit den Busgesellschaften wegen Fahrten nach Jerewan. In den Katalog von Fragen nehmen wir jetzt schon die nach Fahrten in die Türkei auf. Wir fragen im Hotel, was ein Taxi zur türkischen Grenze Bazargan kostet, die 300km entfernt ist. Der genannte Preis ist günstig (45.000 Toman) und wir entschließen uns kurzerhand dafür. Wir starten gegen 11 Uhr Richtung Bazargan. Die Stimmung ist traurig, weil wir es nicht möglich machen konnten für uns und unter uns mit der Armenienreise. Traurig auch, daß alles plötzlich so hindernisreich und mehr beschwerlich als erfreulich klang. Der Mechanismus, der einen plötzlich nur an alte Steine und alte, entlegene Kirchen denken läßt, ist irgendwie armseelig und deprimierend, Wenn man nicht gezogen ist von Neugier und Freude am Entdecken und der Lust, für eine Weile in einem fremden Teich mitzuschwimmen ohne unterzugehen, wenn man all das nicht mehr in sich spürt, wird alles arm, man selber auch. Man erlebt sich ängstlich, verzagt, mißtrauisch und immer ist das elendig, sich so zu sehen. Es ist schöner sich in dem Licht des Möglichen als dem des Unmöglichen zu sehen.


Gehen in Bazargan quasi zu Fuß über die iranisch/türkische Grenze. Können endlich das Kopftuch ablegen. Das ist der erste Griff. Die letzten 100km vor der Grenze wurden landschaftlich immer schöner, der große und kleine Ararat sahen fantastisch aus, trugen noch viel Schnee, waren aber komplett zu sehen und nicht wolkenverhangen. Über der übrigen Landschaft hingen schwere Wolken, was alles noch lebendiger macht. Es ist kaum zu glauben, aber spätestens ab Dogubayazit ist es unübersehbar: der Himmel ist klar und blau zwischen den Wolken, nicht mehr so diesig und verwaschen wie im Iran. Mit dem Herzen umarmen wir unsere schöne, grüne Türkei.
Wir fahren mit dem Dolmusch nach Dogubayazit, essen dort erstmal ganz frisch gebackenen Lamacun gleich neben der Bushaltestelle. Die Bäcker heizen den Ofen mit Wallnusschalen aus dem Iran, da es kaum Holz gibt. Backen tun hier zwei nette Brüder, die hören woher wir kommen und uns raten zur Erholung nach Diyadin auf dem Weg nach Agri zu fahren. Dort sei ein kleiner Kurort mit heißen Quellen und das sei bestimmt das Richtige. Wir ziehen Geld am Automaten und nehmen den nächsten Dolmusch nach Diyadin. Von dort aus geht es mit dem Taxi nach Kaplicalari, dem kleinen Kurort. Jaja. An einem Schotterparkplatz voll mit Autos stehen zwei Badehäuser, eines für Frauen und eines für Männer. In den Badehäusern gibt es jeweils ein ca. 3,5 x3,5m Becken mit heißem Quellwasser, drum herum ein paar Bänke und Kleiderhaken, im Vorraum zwei Toiletten in mangelhaftem Zustand und Dämmerlicht, keine Dusche und kein Waschbecken, dafür aber auf dem Parkplatz eine Wasserstelle mit starkem Strahl. Hinter den Badehäusern für alle gibt es noch zwei Separees mit kleineren Becken, in denen man sich einschließen kann und die man dann für sich hat (20 YTL pro Stunde). Über dem ganzen Platz hängt der Geruch von schwefelhaltigem Wasser. Um den Platz herum stehen kleine Tümpel mit brodelndem heißen Wasser und Rinnsalen, in denen diese Fülle an Wasser versickert oder steht und vor sich hin dampft. Drei große rostige mehrere Meter hohe Kessel und ihre schlecht isolierten und undichten Zu- und Ableitungen verschönen den Anblick weiter, sie dienen offensichtlich der Wasserversorgung in dem nahegelegenen Diyadin (Fernwärme?). Ein paar große Hunde streunen über und um den Platz. Sie gehören niemandem und tun niemandem etwas. Dann gibt es noch einen winzigen Laden mit im wesentlichen Getränken und Knabberzeug und Shampoo und Taschentüchern, eine kleine überdachte Veranda, wo man Tee trinken und Gegrilltes essen kann, eine Wiese für die picknickenden Familien und ein paar schlichte Zimmer direkt am Parkplatz für die Kurgäste, die länger bleiben. In den Zimmern je drei Betten und drei Plastikstühle und ein Tisch auf dem nackten Betonboden. Als wir kommen ist viel los, da Wochenende ist. Viele picknickende und grillende türkische Familien, angereist mit ihren Kleinbussen, sind da. Wir entschließen uns, zu bleiben trotz der spartanischen Umstände. Gehen erstmals Baden in dem Badehäuschen. Jung und Alt sitzt hier am Beckenrand und begießt sich mit dem wunderbar warmen Wasser, wäscht sich oder taucht unter in dem Becken. Omas mit dünnen Zöpfen werden hier gerubbelt und begossen und dann wieder in unzähligen Hüllen versteckt, kleine krebsrote Kinder hängen in ihren Schwimmringen, großbusige Frauen genießen die Wärme im unaufhörlich fließenden Wasser. Werden beim Baden eingeladen zum Tee danach und kommen dem gerne nach. Essen danach Adanakebab im Imbiß. Schon wird es kalt und wir holen die lange Unterhose raus, die wir mit klammen, kalten Händen anziehen. Schauer und Stromausfälle im Wechsel begleiten den Abend. Tee hilft wie immer. Es folgt eine kühle Nacht mit langem Regen auf unser Blechdach.

5.6.09 Taebriz

Flug von Teheran nach Täbriz. Vom Flughafen fahren wir gleich zum Busbahnhof, um zu gucken, ob wir noch heute weiterreisen können nach Armenien. Wir finden eine Busgesellschaft (Sairo safer), die nach Jerewan fährt von Täbriz aus (der Bus kommt aber aus Teheran). Gegen 22 Uhr kann man in Täbriz diesem Bus zusteigen (pro Person 45.000 Toman). Angeblich geht die Fahrt über Nakhichevan, was ja zu Aserbaidschan gehört. Wir bräuchten daher ein Visum für Aserbaidschan, was man nicht einfach an der Grenze bekommt, soweit wir wissen. Die Leute vom Busunternehmen meinen, daß es kein Problem sei, aber wir sind nicht sicher (was für türkische Staatsbürger kein Problem ist, könnte aber für deutsche eins sein). Die Busleute sagen auch, der Bus würde warten bis wir an der Grenze zu Armenien unser Visum erworben haben. Unser Führer schreibt aber, daß das Prozedere manchmal länger dauern kann und der Bus, wenn man Pech hat, schon weiterfährt. Auf die nächtliche Busfahrt haben wir auch keine Lust. Wir ziehen uns zurück zur Beratung. Ein Polizist sieht uns sinnieren, will erstmal unseren Paß sehen, behält ihn in der Hand und geht wortlos über den Platz in das Polizeibüro. Wir folgen. Was sollen wir auch machen? Dort fragt man nach unserem Vorhaben, findet unsere Bedenken und Überlegungen berechtigt und steigt in unsere Beratung ein. Wie können wir es am besten machen?. Der Polizist telefoniert für uns überall rum, verschiedene Busgesellschaften und Taxiunternehmen. Er findet raus, daß es aus der Stadt einen Bus morgens gibt (von der Gesellschaft Aram safer), außerdem sollen wir unbedingt noch den berühmten Basar von Täbriz angucken, der wäre einmalig. Wir finden die Idee mit dem morgendlichen Bus gut, fahren mit dem Taxi in die Stadt und zum Hotel Aserbaischan.
Mine kann sich in Täbris fast überall türkisch unterhalten (25% der Bevölkerung des Irans sind Azeritürken und die leben natürlich überwiegend im Norden in den Provinzen Ost-Azarbeijan und West-Azarbeijan). Wir hören hier und da türkische Musik, auf dem Basar sehen wir wieder Berge von losem Tee (und nicht nur Beuteltee), es gibt wieder Bulgur (den wir sonst nirgends gefunden haben). Mine lebt sichtbar auf, wittert die türkische Heimat und die damit verbundene Entkrampfung und Erleichterung
Wir gehen im Hotel essen. Es ist auch diesmal der iranische Klassiker: Hähnchenspieß mit Reis. Kommen beim Essen ins Gespräch mit einem älteren Mann, der uns von den Armeniern und der Reise in ihr Land abrät, da sie die azerbaidschanischen Brüder töten (Berg Karabach) und nicht gut seien. Mmh. Wir haben Einwände.
Dann geht die Suche nach Information und den verschiedenen Busgesellschaften los. Mühsames Geschäft. Die meisten Busgesellschaften haben zu bis zum Spätnachmittag (Hitzefrei) und wir gehen erstmal auf den berühmten Basar, der auch geschlossen hat, weil Freitag ist. Essen zwei fade zuckerlose Melone zum Erfrischen am Wegesrand. Trinken dann Tee in einem ehemaligen Hamam. Gehen dann wieder zur endlich offenen Busgesellschft Aram safer, die entgegen der Info von unserem Polizisten, überhaupt nicht nach Jerewan fährt. Uns reicht es, genervt kehren wir heim in unser einigermaßen schäbiges Hotel und beraten uns müde und wortkarg zum weiteren Prozedere.
Die Einreise nach Armenien scheint schon mal mühsam. Würden wir uns mit einem Taxi an die Grenze fahren lassen, müßten wir uns auf dem Landweg weiter durchwurschteln bis Jerewan. Die Fahrt mit dem Nachtbus wirkt auch irgendwie nervtötend. Die Ausreise aus Armenien geht wegen der geschlossenen Grenze zur Türkei nur über Georgien (wir können nicht mehr in den Iran einreisen, da wir kein Visum für Mehrfacheinreisen haben). Unser Führer über Armenien erweist sich als unpraktisch. Alles klingt mühsam und langwierig.
Ich merke, daß ich keine Freude haben werde an dem Armenienprojekt, wenn ich Mine überrede und dränge und das müßte ich. Mine wird es in Armenien zur Zeit nicht mehr gut finden können und ich vielleicht auch nicht,
Mit unserem Handtuch über dem zweifelhaften Kopfkissen schlafen wir schweren Herzens in unserem knarrenden Bett ein neben einem wahrscheinlich nach dem letzten und vorletzten Erbeben schief verbliebenen Heizkörper.

4.6.09 Teheran

4.6.09 Todestag von Khomeini, Feiertag
Die Straßen sind heute auffallend leer, die Geschäfte fast alle zu, im Fernsehen besonders viele alte Bilder von Khomeini und ihn feiernden Menschenmassen. Später hört man selbst in den U-Bahnhöfen die Reden Khomeini’s durch die Lautsprecherboxen. Vieles ist kostenlos an diesem Tag, z.B. das U-Bahnfahren. Heute ist der Todestag von Khomeini, ein ganz hoher Feiertag. Wir wollen in das Sa’d Abad Museum, erfahren aber schon im Hotel, daß es heute zu hat. Fahren dennoch in den wohlhabenden, klimatisch begünstigten (Nähe der Berge) Norden Teherans, erst mit der U-Bahn bis zur Endhaltestelle und dann, weil uns jemand am Taxistand sagt, daß das Museum doch auf hat, mit dem Taxi raus zum Sa’d Abad Museum (hat zu!).
Machen einen Spaziergang entlang am Fuß der Berge mit Blick auf die Stadt. In diesem Stadtteil leben viele Azeri-Türken. Auf die Frage von Mine, warum ausgerechnet so viele Azeris hier leben, erzählt der Taxifahrer, dass kurz vor der Revolution viele (wohlhabende) Teheraner aus dem Norden der Stadt fluchtartig ihr Hab und Gut verlassen haben und ins Ausland geflüchtet sind, somit standen viele der noblen Wohnungen leer und wurden dann von nachziehenden Azeris übernommen und heute noch bewohnt. Nach langem Laufen kommen wir an den belebten Tajrish Platz und gehen ins Ghaem Teahouse, trinken Tee und essen Forelle. Sehen dabei das Treiben auf dem Platz, die aus den Bergen kommenden Teheraner, die hier an diesem Verkehrsknotenpunkt wieder die Heimreise antreten. Fahren mit Taxi und Metro wieder in die Stadt. Unser schönes Cafehaus im Park vom Vortag hat leider zu und wir gehen zurück zum Hotel. Sehen mehr und mehr Wahlkampf in den Straßen angesichts der nahen Wahlen, viele Anhänger von Ahmadinejad sehen wir.

3.6.09 Teheran

Um 8:50 Uhr geht unser Flug mit Iran Air von Shiraz nach Teheran. Wir nehmen ein Taxi zu unserem bekannten Hotel, trinken einen kurzen Kaffee und machen uns dann auf ins Ebratmuseum zu einer Führung.

Wir sind die einzigen Ausländer bei der Führung, die um 14 Uhr beginnt, viele Frauen im schwarzen Chador, einige junge Männer und sogar mehrere Paare, die ihre kleinen Kinder mitbringen. Die Führung durch das berüchtigte Gefängnis der Geheimpolizei des Schahs SAVAK und des Anti Sabotage Joint Committee übernimmt ein ehemaliger Insasse des Gefängnisses. In den 70er Jahren wurden hier viele politische Gefangene inhaftiert. Den langen Gang unmittelbar hinter dem Eingang säumen rechts und links des Weges unzählige, an den Backsteinen befestigte, kleine Tafeln mit Namen von Inhaftierten (wir können nix lesen, alles in Farsi). Auf dem Hof stehen zwei riesige Cadillacs mit Überlänge und getönten Scheiben und Ledersitzen sowie iranischem Stander vorne am Wagen. Im Fond sitzen jeweils Militärs, die chauffierten Täter. Zu Beginn der Führung wird ein Film gezeigt. Auch ohne die Worte zu verstehen, erklärt sich der Inhalt: eine weinende Frau in scharzem Chador erzählt von ihrem Schicksal als Inhaftierte oder Angehörige, kurze Szenen gequälter Menschen, Blicke auf das Gefängsnis unterlegt mit der Musik aus Spiel mir das Lied vom Tod, dann Khomeini vor einer aufgehenden Sonne im ersten Tageslicht und mit auffliegenden Tauben (der Retter), Bilder von einem umstürzenden Reiterstandbild des Schahs und einer in Scherben zerspringenden Krone (der/die Täter), irgendwann fällt auch das Wort Abu Ghraib. Beim anschließenden Rundgang werden die Räume gezeigt, in denen die Personalien registriert, die persönlichen Sachen abgegeben und aufbewahrt, die Gefängniskleidung ausgeteilt wurde, auch Toiletten und Duschen der Gefangenen sind zu sehen. Dann gehen wir durch das gespenstische Gebäude (im Zentrum kreisförmiges Gebäude um einen Innenhof und davon sternförmig abgehende “Abteilungen”). In einzelnen Räumen werden die verschiedenen Foltermethoden anschaulich szenarisch dargestellt. Brutale Schergen (kleiner Kopf, breite Schultern, Krawatte) und Inhaftierte sind als Wachsfiguren gezeigt. Über den brutalen Szenen hängen oftmals Bilder der Schahfamilie (die einem die ganze Sache einbrocken konnten). Eine Foltermethode, bei der ein Gefangener auf einem Stuhl festgeschnallt und mit Elektroschocks und Peitsche malträtiert wird und dabei eine Art Helm in Eimerform über den Kopf gestülpt bekommt, heißt ausgerechnet “Apollo.” Die Zellen sind furchtbar eng und dunkel, in ihnen konnten die Menschen teilweise nur in Schichten schlafen wegen der Enge (nicht alle konnten gleichzeitig auf dem Boden nebeneinander liegen) und durften nur einmal täglich zum Toilettengang heraus. Inhaftiert waren hier auch viele berühmte Kleriker wie Khamenei (8 Monate) und Rafsanjani, die auch als Wachsfiguren in den Zellen hocken. Aufgehängt sind viele viele Dokumente und Fotos der Inhaftierten. Rührend ist eine von einer Frau (man sieht ihr Foto) aus Brot geformte kleine Vase mit kleinen aufgesetzten Rosenblüten. Das Bedürfnis nach den Schönheiten des Lebens ist schwer zu zerstören. Nach fast zwei Stunden Führung hat man den Einblick in diese Tragödie verinnerlicht und tritt benommen ans Tageslicht. Alle bekommen einen Saft und ein Stuck Kuchen, um sich ein bißchen zu regenerieren. Wir danken dem Führer, der mit wenigem Englisch dennoch versucht hatte, uns den Weg durch die Ausstellung zu erklären. Wir fragen ihn, wie lange er in diesem Gefängnis war: 3 Monate in diesem und 9 Monate in jenem und 2 Monate in jenem. Wir drücken unser Bedauern aus und er kommt hinter uns her und schenkt uns eine Broschüre über das Gefängnis, die man im Shop des Museums erwerben konnte. Man hat in diesem Museum viel Propaganda der derzeit Herrschenden gegen die vorrevolutionären Machthaber gesehen. Auch gesehen hat man aber einen ernstzunehmenden Versuch, ein Unrecht anschaubar zu machen und den vielen Geschädigten ein Gesicht und einen Ort des Erinnerns zu geben. Bleibt zu hoffen, daß es den politisch Gefangenen des jetzigen Regimes weniger schlimm ergeht.
Danach ist uns nicht nach mehr Museen und wir fahren mit der Metro in den Tehran Garden und Essen in dem schönen Restaurant des “Iranian Artists’ Forum”. Sitzen gepflegt auf einer Veranda im Schatten und schauen in den Park. Gehen danach in mehrere kleine Ausstellungen von zeitgenössischen Künstlern in dem Gebäude, kaufen zwei CDs mit iranischer Musik und einen hübschen Ring für mich. Gehen danach durch den lebendigen Teheran Garden mit seinen schönen Skulpturen.

2.6.09 Shiraz

Mit dem Taxi raus zum Korantor oder Darvazeh-y Quran. Leider kann man nicht hochgehen zum Aussichtspunkt. Zurück in die Stadt mit dem Taxi. Dort schauen wir die Nasir-ol-Molk Moschee an, die wirklich wunderbar ist mit ihren fantastischen Kacheln und dem herrlichen Wintergebetssaal. Bei den Erdbeben der Stadt ist sie nie zerstört worden. Sie ist insofern erdbebensicher gebaut als in die Backsteinwände Holzkörper eingefügt wurden, die das ganze verhältnismäßig elastsich machen. Gehen danach in die Madraseh-ye Kahn und schauen diese alte theologische Fakultät auch von innen an. Die Geistlichen sitzen in Gruppen im Hof zusammen, machen offensichtlich gerade Pause. Sie haben nichts dagegen, daß wir rumgucken, man grüßt sich kopfnickend. Gehen nochmals auf den Basar und vergnügen uns mit einem neuerlichen Schmuckkauf. Super. Gucken alles wieder im Teehaus an. Motiviere Mine, mit mir noch einen Versuch zu unternehmen die (Moschee) Masjed-e Jameh-ye Atigh zu finden. Sie scheint in einer riesigen Baustelle, einem religiösen Großprojekt verschollen gegangen, in das sie baulich integriert werden soll. Wir laufen in der Hitze rum und ich muß von Mine wieder Worte hören wie “Wenn sie das jetzt nicht ist, gehe ich keinen Schritt mehr.” Wir landen vor einem neuerlichen Heiligtum (finden die Moschee nicht) und gehen hinein, wozu wir wieder einen Chador anlegen müssen. Wahrscheinlich handelte es sich bei dem Heiligtum um das Imamzadeh-Ye Ali Ebn-e Hamze, genau konnten wir das allerdings nie klären. In der Moschee werden wir rasch von drei jungen, schwarz verhüllten Frauen überfallen und vereinnahmt. Alle reden zusammen auf uns ein, Englisch sprechen sie nur wenige Worte, wollen trotzdem mit uns essen gehen, wollen uns dieses und andere Heiligtümer zeigen, ziehen uns hierhin und dahin in diesem funkelnden und prächtigen Mausoleum, fordern uns auf die Tür des Heiligtums zu küssen. Die Girlies geben keine Ruhe vor lauter Begeisterung zwei Touristen für sich zu haben. Uns ist schon lange der Schweiß ausgebrochen. Wir setzten uns, die Girlies hocken sich um unsere Stühle. Mine platzt der Kragen, sie rafft ihren Chador zusammen und flieht aus dem Mausoleum. Mir fällt auch keine elegantere Art des Rückzugs ein und ich folge, die Girlies hinter uns. Wir kaufen eine Melone und fahren mit dem Taxi zum sogenannten Paradiesgarten, dem Bagh-e Eram. Machen in der schönen Anlage mit dem alten Baumbestand (fast ein botanischer Garten) erstmal ein Nickerchen und essen die Melone. Nach der Ruhe im Grünen fahren wir wieder in die Stadt, tauschen Geld, essen in einem Imbiß ein Falaffelsandwich. Die Restaurants bieten alle nur das gleiche schlecht gewürzte Repertoir, das wir nicht mehr haben wollen.

1.6.09 Shiraz

Um unsere Weiterreise ein bißchen mit Leben füllen zu können, brauchen wir etwas mehr Information, was uns in Armenien außer Klöstern und Bergen erwartet. Wir überlegen immer noch, wie es weiter geht und ob wir noch nach Armenien fahren sollen. Wir setzen uns nach dem Frühstück ans Internet im Hotel und klicken uns durch alles, was wir über Unterkünfte in Armenien finden können. Leider gibt unser Führer (Buch) nicht so viel praktische Informationen her wie die geschätzte Lonely planet Reihe und wir sehen wenig Möglichkeiten, hier im Iran dieses Buch zu bekommen. Wir haben es in Shiraz versucht, aber nur einen englischen Harry Potter Band gefunden, den wir gleich gekauft haben. Endlich ein Buch für mich, das man lesen kann. Was wir im Internet über Unterkünfte in Armenien finden ist ganz vielversprechend und unsere Laune steigt. Nach einigen Stunden machen wir Mittagspause. Gehen danach raus und zu unserer Überraschung ist es zwar warm, aber nicht heiß und es weht ein angenehmer Wind. Wir kümmern uns um unseren Flug. Wie sich nach Recherche in drei Reisebüros herausstellt, stehen wir nicht wie angenommen auf einer Warteliste für einen Flug von Teheran nach Jerewan. Um endlich weiterzukommen und planen zu können, buchen wir einen Flug von Shiraz nach Teheran für den Mittwoch und einen Flug von Teheran nach Täbriz für den Freitag mit Iran Air. Von Täbriz wollen wir mit dem Bus über die Grenze nach Armenien. Klingt alles ganz logisch Wir tauschen Geld und gehen Pizza essen. Das einfallslose und fade iransiche Essen (zumindest das in Restaurants) läßt uns jetzt manchmal auf Imbisse zurückgreifen. Bummeln durch die Stadt und über den Basar und kaufen wieder Schmuck, was uns ungemein freut und gehen dann ins Teehaus nebenan.

Am Rande:
Unser Abendritual ist das Handbad für die Wäsche in dem mal blauen, mal rosa-, mal grünfarbenen Shampoo des Hotels. Danach das Aufhängen der Wäsche an Schranktüren, Fenstergriffen etc., Haken und Bügel sind Glückssache.

Wir wollen ein Hemd mit einer Aufschrift, die die wichtigsten Fragen der Iraner über uns beantwortet und uns die tausendfache Antwort erspart: “we are german” und darunter “we like iran”. Das deckt fast alle Bedürfnisse unserer Mitmenschen auf der Straße ab. Leider stellen wir auch bei uns selber fest, daß, wenn wir jemanden sehen, der eine ungewöhnliche Kleidung trägt oder für unser Auge fremdländisch aussieht, auch wir im Wesentlichen erstmal wissen wollen: “Come from?” , dazu gehört eine fragende Geste mit der Hand.

Unser Kaffee im Hotel, in dem es alles gibt:vom Capuccino bis zum Milchkaffee laut Karte: man kann die eine Tasse mühelos verlängern mit einer Kanne Wasser und einer kanne Milch. Nie in unserem Leben haben wir einen so vernichtend schwarzen und starken Kaffee getrunken. Habe schon vorgeschlagen Mine soll dem jungen Mann mal einen Tag hinter dem Tresen zur Seite stehen

Wir dachten schon, daß unsere Kauflust, selbst in Bezug auf Schmuck, erloschen sei. Angesichts des Problems, das Gepäck zu bewältigen und der Länge der noch vor uns liegenden Reise, haben wir weitgehende Disziplin bewahrt und fast nix gekauft (bis auf ein paar CDs). Mit dem Abklingen unserer aktuellen depressiven Phase und dem Nachklang in der leichten Manie (und natürlich der Gelegenheit hier im Basar) haben wir aber wieder Freude am Kauf entwickelt und seit vorgestern täglich zugeschlagen. Das weckt die Lebensgeister. Die Gedanken kreisen zunehmend um das Thema, was man noch kaufen könnte und die Schritte werden immer wieder in die gleiche Basargasse gezogen. Jetzt macht das Laufen im Basar erst richtig Spaß. Einen alten Dolch für Marc, einen alten Ledersattel für mich (fürs Wohnzimmer), ein paar alte Kupfertöpfe in verschiedenen Größen für Mine... Wenn wir könnten wie wir jetzt wollten... nicht auszudenken. Es macht eben nicht viel Spaß über die Basare zu bummeln, wenn man so gar nichts kauft. Wir genesen zusehens.

31.5.09 Shıraz

Fahren morgens um acht mit einem Kleinbus nach Persepolis, der alten Palastanlage der Achämeniden (Beginn des Baus um 515 v. Chr. unter Darius dem Großen, Fortführung unter Xerxes und Artaxerxes, 332 v. Chr. von Alexander dem Großen besetzt). Zu sehen sind u.a.: Tor aller Länder, Halle der 100 Säulen, Reste des Schatzhauses, der Apadana-Palast, der Palast von Artaxerxes I und Palast von Xerxes und die alte Tribüne, die der Schah Mohammad Reza Pahlavi errichten ließ anläßlich der Feier zum 2500-jährigen Bestehen der persischen Monarchie 1971. Die Anlage insgesamt ist toll. Man könnte ohne Ende fotografieren. Danach fahren wir noch zu der Nekropolis Naqsh-e Rostam. Man sieht die beeindruckenden Felsgräber des Darius, Xerxes, Artaxerxes, Darius II. und den quadratischen Bau der Kabeh-ye Zartosht, deren Funktion nicht ganz geklärt werden konnte.

Nach einer Mittagspause fahren wir in den Garten Bagh-e Naranjestan und das dazugehörige prächtige Haus Khan-e Zinat Ol-Molk. Dann schlendern wir durch den Basar. Ich kaufe mir eine grüne Kette aus unregelmäßig geschliffenen Steinen, die mir sehr gut gefällt. Endlich finden wir auch das Teehaus Seray-e Mehr, das wir schon einmal ergebnislos im Basar gesucht haben. Wir sehen dort die beiden Franzosen von unserer Persepolistour wieder und die zwei Norweger, die wir schon in Kerman getroffen haben. Es ist erstaunlich, aber man trifft immer wieder bekannte Touristen. Das liegt u.a. daran, daß wir alle mit dem gleichen Führer aus der Lonely planet-Reihe reisen. Das ist irgendwie eine komische Geschichte. Die Reihe ist fantastisch strukturiert, lebensnah und praktisch. Sie lenkt uns alle auf ähnlichen Pfaden durchs Land, führt uns durch eine mehr oder minder große Auswahl von Restaurants, Teehäusern, Hotels, Internetcafes, Museen, Paläste, Moscheen. Die Erwähnung im Lonely Planet ist unter Umständen eine echte Lebensgrundlage für einen Fahrer oder ein abseitiges Gästehaus. In Ländern wie dem Iran, dessen Sprache die wenigsten sprechen, dessen Schrift sie nicht lesen können, ist es schwer, ganz eigene Wege zu finden und zu gehen. Der Guide ist wie ein Rezept, eine Anleitung in der Hand, mit der geht, was sonst sehr schwer wäre. Man meint irgendwann, fast jedes Land bereisen zu können mit solch einer Krücke und ein bißchen Verstand und Unternehmungslust und strammen Waden. Hoffentlich macht der Verlag seine Sache in verschiedener Hinsicht gut und lenkt die Pfade der Neugierigen auch an den ein oder anderen Schönheiten und Unberührtheiten vorbei, damit sie bleiben, was sie sind.
Im Teehaus debattieren Mine und ich im Wind der Klimaanlage bei Tee und Dizze mit Duq, über unsere Reisemotivation und unsere Lust und Unlust, uns weiter anzustrengen und unsere Fähigkeit, noch neugierig zu sein auf ein weiteres Land. Hinter allem steht die Frage, ob wir noch nach Armenien fahren oder uns lieber in die Türkei und in die Ruhe eines zypriotischen Strandes zurückziehen, Wir können beide an diesem und jenem Gefallen finden und besprechen alles ganz ehrlich und kontrovers. Wer zieht wen und wohin? Wie ist es, gezogen zu werden? Was will der eine, was der andere? Was ist schön? Wie gehen wir mit unserem Ermüden an unterschiedlichen Dingen um?

Donnerstag, 4. Juni 2009

30.5.09 Shiraz

Visumverlängerung. Machen wir es kurz. Unser 30-Tage Visum machte unsere Ausreise aus dem Iran morgen eigentlich erforderlich und wir mußten daher das Visum verlängern. Fuhren mit dem Taxi zum entsprechenden Office. Dort spricht uns vor dem Komplex ein netter Soldat an und will uns mitnehmen zum richtigen Eingang. Ich gehe rasch hinter dem jungen Mann her, gucke mich nach Mine um, trete dabei in ein Loch, wozu ich leider neige, und knicke mit dem schon lädierten Fuß wieder um, der gerade auf dem Wege der Besserung war. Der Grad an Kaputtheit meines Fußes ist mir erstmal unklar, ich bin fassungslos über das neuerliche Mißgeschick und ratlos und habe Angst, in absehbarer Zeit nicht mehr unbehindert laufen zu können. Auftreten mit dem Fuß scheint ein Abenteuer zu sein, ich bleibe erstmal hocken. Der Soldat bietet Hilfe an. Mir bricht der kalte Schweiß aus und das Blut versackt sonstwo, mir wird ganz schlecht. Nach einigem Abwarten humpele ich mit Mine in das Gebäude, muß mich aber gleich wieder setzen. Nach einigem Sitzen gehen wir irgendwann hoch in die für uns zuständige Abteilung im dritten Stock und treffen den netten Soldat wieder, der uns sofort auf das schönste und einzige Sofa hier schickt. Da sitzen wir dann beim Chef im Büro und es wird Tee für uns geholt. Ich finde die Situation irgendwie grotesk und bin noch so betroffen, daß ich erstmal weinen muß. Mine aus Gesellschaft gleich mit. Die Beamten warten ab, was mir aus ihrer Sicht als das Beste erscheint. Irgendwann beruhigt sich mein Kreislauf und die gesamte Situation und der freundliche Beamte fragt, nach unserem Anliegen und was eigentlich passiert ist. Wir erzählen kurz. Er ist ganz verständnisvoll. Wahrscheinlich hat noch nie jemand so schnell seine Visumverlängerung bekommen. Die Formulare werden ausgefüllt und in Farsi übertragen. Paßfotos (mit Kopftuch) und eine Paßkopie haben wir dabei. Wir mußten nicht wie üblich nochmals in die Innenstadt zur Bank, um dort die Gebühr einzuzahlen (und dann mit dem Einzahlungsbeleg wieder raus zum Office). Ein Taxifahrer wurde organisiert, für uns die Einzahlung zu machen und zack hatten wir den richtigen Stempel im Paß. Wir konnten alles vom Sofa aus regeln und sind dann unter Bedanken und mit guten Wünschen weggehumpelt.
Fuhren auf dem Rückweg bei der Pars Travel Agency vorbei und buchten für morgen unsere Tour nach Persepolis und ließen uns nach einigen Erkundigungen für den Flug von Teheran nach Jerevan auf die Warteliste setzten (Flug war ausgebucht).
Tranken dann Kaffee im Hotel, guckten den geschwollenen Fuß an. Ich konnte einigermaßen laufen und war unendlich froh darum.

Nach einer Mittagspause fahren wir zum Mausoleum des Shah Cheraq, dem Aramgah-e Shah-e Cheragh (Grab eines der 17 Brüder des 8. Imam Reza). Zum Besuch dieses Heiligengrabes ist das Tragen eines Chador unbedingt erforderlich. Ich habe zu allem Überfluß noch meine Bergstiefel an wegen des Knöchels. Wir mühen uns nach Kräften alles auszubalanzieren: das Kopftuch, den Chador, den Rucksack darunter. Mines langes Gewand bleibt immer wieder an den Klettverschlüssen ihrer Schuhe hängen mit absehbaren Konsequenzen.
Die gesamte Anlage ist riesengroß mit prächtigem Eingangsportal, dem eigentlichen Grabbau mit großer kachelverzierter Kuppel und flankierenden Minaretten und einem riesigen, geschäftigen Innenhof, in dem immer viele Menschen sind. Das Innere der Anlage mit dem Grab ist ungemein prächtig, alles blinkt und glitzert und reflektiert und spiegelt. Wegen der berühmten Spiegelarbeiten wird das Grab auch als “Schah des Lichts” bezeichnet. In der Frauenabteilung geht es fromm und menschlich zu , neben betenden Frauen und den Koran studierenden Frauen und das Grab küssenden Frauen, sieht man schlafende, essende, erzählende, stillende, Schularbeiten machende und Kinder beruhigende Frauen. Wir gucken alles erfürchtig, aber nicht ergriffen an. Schweißnaß und mit immer neu verrutschendem Chador entschließen wir uns zum Rückzug. Nachdem wir draußen ein bißchen getrocknet sind und gesessen haben, wollen wir noch die alte Jameh-ye Atigh Moschee besuchen. Auch in Shiraz kommt das Leben zwischen eins und fünf weitgehend zum Erliegen wegen der Hitze. Gegen Abend öffnen dann die Geschäfte wieder und das Leben brandet los und alles kommen raus auf die Straße, um zu erledigen, zu kaufen, unterhalten zu sein - ein einziges Getümmel. Mine wird im Gedränge zweimal in den Po gekniffen und verliert entgültig die Lust an der schweißtreibenden Suche der Moschee. Wir streiten wegen des weiteren Vorgehens und entschließen uns, das empfohlene Sharzeh Traditional Restaurant aufzusuchen. Durch Unnachgiebigkeit und Findigkeit entdecken wir es endlich (Beschriftung nur in Farsi), mögen es aber nicht besonders. Sitzen danach diskutierend, müde und immer wieder auch schweigend lange vor der Vakil Moschee und überlegen wie wir mit unserer Müdigkeit, dem permanenten Suchen und den Mühen umgehen sollen, trotteln dann ohne Lösung durch das abendliche Shiraz nach Hause.