Nach dem Frühstück geht es wieder los. Über die Felder wandern wir zu dem Dorf Alisofu, dem Heimatdorf von unserem Rechtsanwalt aus dem Hotel. Leider ist heute Manövertag und schon bald sehen wir ellenlange Konvois mit Militärfahrzeugen und Panzern, die alles verstopfen und an uns vorbeifahren. Ein Gewitter kommt auf und es gibt einen ersten Schauer. Durch den Wind sind wir aber wieder trocken bis wir im Dorf ankommen. Der Manager unseres Hotels hat uns beim Dorfvorsteher, Muhtar, angekündigt, damit wir im Dorf was zu essen bekommen und man die Gäste seines Hotels freundlich empfängt. Das Dorf hat 250 Häuser, 1500 Kühe und viele viele Schafe und Ziegen, ist bewohnt von muslimischen Kurden. Es ist ein ehemals armenisches Dorf, sehr alt. Die zwei armenischen Kirchen wurden abgetragen und aus den Steinen eine Moschee gebaut. Der Muhtar mußte leider weg, aber drei Männer des Dorfes führen uns herum: Wir sehen die Moschee (der Hoca pflanzte gerade kleine Tannen um die Moschee), die Schule, den Friedhof, das Gästehaus, die kleine Molkerei. Das Dorf ist urig, überall wird gearbeitet, Wolle gewaschen, Teppiche gewaschen, in Haus und Hof gesägt, gehämmert und gebaut. Die Häuser sind überwiegend aus Bruchstein, haben Strom und Wasser, aber keine Kanalisation, die Dorfstraßen sind aus Lehm, werden aber im Winter geräumt. Überall laufen junge Küken und Gänse rum. Die Leute sind insofern modern, als daß sie alle Kinder zur Schule schicken, Mädchen und Jungen, sie schätzen Bildung hoch und fördern sie. Nach der Besichtigung gibt es Tee und Kekse im Haus eines unserer Führer. Ein Tisch wird in den Hof gerückt, eine weiße Tischdecke kommt darauf und es gbt Tee und Waffeln. Immer mehr Leute gesellen sich dazu und es geht ganz munter zu. Wir machen Fotos und der Sohn des Hauses zeigt uns die neuen Kälbchen und sein Pferd, das wir mit ihm zusammen fotografieren müssen. Alles in Haus und Hof ist einfach, aber gepflegt. Wir verabschieden uns herzlich wegen heraufziehender scharzer Wolken, um den Nachhauseweg anzutreten. Wegen des nächsten kräftigen Regens kommen wir nur wenige Meter weiter bis zu einem der nächsten Häuser. Dort müssen wir uns unterstellen, werden aber bald hereingebeten. Sitzen in einem tief blau gestrichenen Raum auf dem Sofa und werden wunderbar bewirtet mit selbstgebackenem Lavasbrot, hausgemachtem Käse, Oliven, Tomaten und Gurken, süßem Traubensirup (Pekmez) und Tee. Mine kommt vor lauter Erzählen und Übersetzten kaum zum Essen und ich komme zu kaum etwas anderem als zum Essen, weil ich ja nur loben und lächeln und auf Überstzung warten muß. Viele Fragen aus dem Dorf an uns und unsere Fragen an die Menschen haben eine Antwort gefunden. Mit vielen Themen läßt sich hier schwer in die Tiefe dringen, schon früh scheint alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt und es liegen keine Sätze mehr in der Luft, die erzählt und ausgetauscht sein wollen. Die Menschen sind nicht gewohnt, allzu viel über sich und ihre Welt zu reflektieren, was nicht heißen soll, daß sie es nicht könnten. Ihr Vorgehen ist nahe am wesentlich Alltäglichen. Man meint, ihre Gedanken gingen weniger in Kreisen. Man meint, sie träumten weniger wirr. Bestimmt fühlen sie sich beim Zubettgehen schwerer als beim Aufstehen.
Der eine Mann erzählte, daß sein Sohn künstlerisch begabt sei. Den Lehrern ist das aufgefallen und er soll jetzt auf einem Internat speziell gefördert und dafür auch finanziell unterstützt werden. Alles hier wirkt so verhaftet im Konkreten, daß es uns fast verwundert, daß der Vater hier so viel Stolz für die Gabe seines Sohnes aufbringen konnte.
Daß wir uns so weit in die Fremde begeben haben, so weit von unserem Zuhause sind, um auch sie zu sehen ist äußerst ungewöhnlich für sie und wird mit feinem Respekt uns gegenüber belegt und ist irgendwie rührend.
Ich weiß nicht auf wie vielen Sofas ich schon in anatolischen Dörfern mit Mine gesessen und mindestens Tee getrunken, wenn nicht auch gegessen habe. Dieses Dorf ist mit zwei anderen Dörfern zum Touristenzentrum erklärt worden (wegen der nahen Skianlage). Auf unsere Nachfrage, ist aber noch kein Tourist bis ins Dorf gekommen. Wir sind die ersten. Sie fahren gewöhnlich auf der Asphaltstraße bis zum Dorfeingang, machen Fotos und fahren wieder zurück. Das kann man gut verstehen, da die Dörfer relativ geschlossene Gesellschaften sind, quasi ein kollektiver Privatbesitz, den man nicht kommentarlos betreten kann. Spricht man die Sprache nicht, endet das ganze sicherlich schnell am Unbehagen auf beiden Seiten. Auch wir waren anfangs nicht sicher, ob wir willkommen sind und es brauchte Zeit, warm zu werden. Die Familien kennen sich alle seit Urzeiten, sind fast alle miteinander verwandt. Hier wohnen keine Fremden aus anderen Orten. Hier kann man nicht einfach Grund und Boden erwerben und zuziehen. Es gibt Männer aus der Generation der Großväter, die bis zu vier Frauen haben. Das findet aber in dieser Generation nicht mehr statt. Manch einer unserer Gastgeber hat also mehrere Mütter und 17 Geschwister sind keine Seltenheit. Das Dorf achtet aber darauf, daß der Mann sich weiter gut um alle seine Frauen kümmert. Das Heiraten untereinander von Kindern zweier Geschwister ist ganz normal. Das Heiraten außerhalb des Dorfes ist aber auch möglich, wenn man sich verliebt.
Der Regen hört gar nicht mehr auf. Wir werden mit dem Schirm bis an die Asphaltstraße gebracht und man wartet dort im Regen mit uns bis der Bus kommt. Das letzte Stück laufen wir zum Hotel, genug um weitgehend naß zu werden. Trocknen unter unserem wunderbar warmen Heizstrahler im Hotelzimmer.
Samstag, 20. Juni 2009
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