Samstag, 22. August 2009

11.8.09 Erdemli

Am Morgen fahren wir kurz vor Mut rechts in einen unbeschilderten Weg und finden damit zufällig in die Ebene zwischen den Bergen durch die der Göksu fließt. Zwischen Feldern und Gärten folgen wir dem geschlängelten Flußlauf mit seinen breiten Sandbänken. Wir sehen einen Bauern, der sein Feld bewässert. Mine hält, um mir Auberginen- und Paprikapflanzen zu zeigen. Der Bauer kommt gleich auf uns zu und begrüßt uns. Wir wollen sein Feld angucken. Schnell ist eine Gurke zu unserer Erfrischung geschält. Wir gucken seine ganzen Pflanzen an, Okra, Auberginen und Paprika, machen Fotos. Er gräbt auch eine Pflanze extra für uns auf und zum ersten mal sehe ich Erdnüsse, die ja wirklich in der Erde wachsen und in ihren Schalen an den dünnen Wurzeln hängen. Machen Fotos von mir und Mine mit den Erdnußpflanzen auf dem Feld im Wind. Von allem schenkt er uns und mit vollen Händen fahren wir winkend weiter. Halten, um Feigen zu pflücken und zu essen. Sehen einige riesige alte Bäume, die wir nicht kennen. Fragen jemanden der vorbeikommt. Es handelt sich um Sakiz. Wir müssen das nachschauen. Lange sehen wir kein einziges Haus und nur wenige Menschen. Schließlich kommen wir in ein Dorf kurz hinter einer sehr alten Brücke über den Göksu. In dem von Männern besiedelten Dorfteehaus werden wir freundlich aufgenommen, gleich setzt sich der Muhtar (Dorfvorsteher) zu uns und beantwortet alle Fragen, die wir haben. Hier plätschert es wasserreich überall und auch eine Forellenzucht ist in der Nähe. Die Männer weisen uns auf die weiter oben gelegene Quelle des vielen Wassers hin und wir machen uns auf. Finden einen wunderschönen (von einer Mauer und einem Zaun geschützten) großen Quelltopf mit kristallklarem grün-blauem Wasser, in das wir lange gucken. Jedes Blatt sieht man am Grund. Die Farbe ist berauschend. Queren bei dem Dorf später den Göksu über ein Stauwehr und fahren dann auf der anderen Flußseite bis wir auf die Straße Mut - Ermenek treffen. Fahren darauf zurück nach Mut und nehmen auf der Straße nach Silifke rechts einen Abzweig nach Gülnar. Bergauf und immer weiter bergauf fahren wir durch die Berge. Hinter Gülnar beginnen wir die Suche nach Eßbarem. Wir finden am Weg eine Kasap (Metzgerei/Schlachterei), die Fleisch verkauft und anbietet, daß man es in ihrem Garten grillt. Die meisten Leute bringen den Grill mit, aber wir bekommen auch einen geliehen und grillen am Tisch unter den Bäumen Lamm und essen dazu Salat und Brot. Sind begeistert. In einem Laster warten zwei Ziegen im Schatten. Sie sind Bestandteil eines Adak, wissen das aber vielleicht noch nicht. Man macht ein Adak für den Fall, daß einem ein sehnlicher Wunsch erfüllt wird. Aus Dankbarkeit und Freude löst man dann dieses Versprechen ein und schlachtet ein Tier und verschenkt das Fleisch an weniger wohlhabende Menschen. Schon bald liegen nur noch die leeren Felle auf der Ladefläche des Lkws. Wir fahren weiter Richtung Silifke und treffen kurz vor Silifke nach langer Abwärtsfahrt auf das dort wunderschöne Göksutal. In einer tiefen, steilen, bewaldeten Schlucht schlängelt sich der Fluß, um dann bei Silifke ins Meer zu münden. Dort hat sich im Delta viel Sand angelagert, der in einer weiten geschwungenen Sandbank ins Meer ragt. In dem Delta brüten viele Vögel und Schildkröten vergraben ihre Eier im Sand der Strände. Wir halten an dem Aussichtspunkt auf der Strecke Mut - Silifke, wo ein Gedenkstein an Kaiser Barbarossa erinnert, der an dieser Stelle im Göksu ertrunken ist als er auf dem Weg nach Palästina den Fluß mit seinen Truppen querte. Ich möchte diese Strecke noch ein bißchen zurück Richtung Mut fahren, weil sie so schön ist, aber Mine drängt nach Hause.

Dort erwartet uns noch eine Überraschung, die sich als schwere Überdosis an türkischer Unkompliziertheit erweist. Gastfreundschaft wird in diesem Fall ungefragt von uns erwartet und ich erweise mich in jeder Hinsicht als unwillig und ungelenk in dieser Übung. Ich möchte Gift und Galle sprucken.
Ramazan hat scheinbar versucht, Mine unter ihrer türkischen Handynummer zu erreichen (, was nicht klappte, da es Probleme mit der Sim-Karte gab) um zu erfahren, ob wir wieder in der Wohnung in Erdemli sind. Als er Mine nicht erreichte, ließ er im Haus in Erdemli nachfragen, ob wir da sind. Hier bestätigte man, daß wir wieder gekommen sind, aber sagte, wir seien in den letzten Tagen nicht mehr gesehen worden. Daraufhin motivierte Ramazan seine Schwester Sherife (s.o.), seine kleine Nichte Sude (s.o.), den Dorfvorsteher seines kurdischen Dorfes und dessen Frau zu einem Urlaub in seiner Wohnung. Die waren jetzt 700km mit dem Bus angereist und am Vorabend angekommen während wir in Mut waren. Die Tatsache, daß die Wohnung keineswegs frei war, sondern überall die Spuren unserer Anwesenheit zeigte, irritierte, verhinderte aber nicht den Einzug der Gäste.
Der Hausmeister bereitet uns vage bei der abendlichen Ankunft mit dem Auto vor: “Ihr habt Besuch”. Wer es ist, weiß er nicht: zwei Frauen, ein Mann, ein Kind. Wir wissen es auch nicht. Das Ärgern bereitet sich wenig sorgfältig in uns vor, während wir die Treppe zur Wohnung hochsteigen. Wir waren wahrscheinlich schon aus allen Wolken gefallen, bevor wir die Wohnungstür aufschlossen, merkten aber erst danach richtig unser Trudeln. Die erste Begegnung nach dem Aufschließen der Tür, führe ich mir nur ungern nochmals vor Augen. Ich war fassungslos und wütend und hatte keine Gelegenheit mehr das umzuschminken, da drängte es schon barsch und abweisend heraus. Ich spürte keine Möglichkeit zu einem Handschlag, einem offenen Blick oder gar einem Willkommensgruß. Mine ist auch völlig schockiert, verhalten und reserviert fragt sie: wo kommt ihr denn her? Die drei Erwachsenen stehen lächelnd und ein bißchen ahnungslos da, vor allem aber überhaupt nicht zerknirscht und ohne die Frage auf der Stirn, die mir auf der Stirn geschrieben steht, wie es denn hier weiter gehen soll. Sinngemäß: “Sie sind hier auf Einladung von Ramazan und dem gehört schließlich die Wohnung, zum Glück ist sie ja groß genung und alle haben Platz”, so erklärt Sherife. Sie wollen sich vor der Fastenzeit, die bald beginnt, noch ein bißchen erholen und wir entnehmen daraus, daß sie für ca. 10 Tage gekommen sind. Mine und auch meine zarten persönlichen Grenzen sind durch die Invasion im Argen und wir sehen uns bereits die Rucksäcke packen, gehen und ihnen das Feld überlassen, wozu wir überhaupt keine Lust haben. Mittlerweile sind die Leute auch ein bißchen beleidigt, weil sie nicht willkommen sind, was ich deutlicher zeige als Mine. Deutsche sind eben nicht richtig gastfreundlich, sagen sie. Ich bin unbeeindruckt. Wenn diese Menschen mich nur hätten verstehen können. Leider verstehen sie aber nicht nur meine Sprache nicht, sondern scheinbar auch mein Problem nicht. Gegen die Menschen habe ich natürlich nichts, aber allein die Tatsache in einem Haushalt zu sein, in dem ich mich nur über Mine mit den anderen verständigen kann und wo ich für längere Zeit wieder in dem Pulk an Gemeinsinn aufgehen soll, ist unerträglich. Den Ausklang und Rückblick auf unser halbes freies Jahr habe ich mir anders vorgestellt und Mine auch.
Der Kühlschrank ist voll mit ihren Einkäufen und nichts deutet an, daß man sich bis zum Eintreffen der anderen Bewohner der Wohnung zurückgehalten hat, um dann zu besprechen wie es weitergeht. Das Bad dampft von der letzten ausgiebigen Handwäsche. In den Kleiderschränken wurde kurzerhand Platz geschaffen für die eigenen Sachen. Alles ist besiedelt. Sude haben sie nicht ein einziges Spielzeug mitgebracht, von einem Buch zum Vorlesen ganz zu schweigen, dafür aber Reis, Zucker, Nudeln, Gurken, Tomaten, Augerginen (aus dem eigenen Garten) etc. Die zwei Frauen halten alles immer sauber und ordentlich, fast nichts liegt zusätzlich zu unserem Kram rum, nur zwei kleine Koffer (Handwäsche!) weisen auf vier hinzugekommene Leute hin.
Der Abend ist scheußlich und peinlich und irgendwie grotesk. Für unsere Gäste ist die friedliche Koexistenz das Angestrebte und Normale. Da falle ich zur Zeit mit der Akzeptanz dieser Aussicht leider aus dem Rahmen. Mine fordert mich immer wieder auf, mich zu mäßigen. Ich fürchte, daß Mine sich verpflichtet und aufgerufen fühlen könnte, der mißlungenen Planung ihres Exmannes zum Erfolg zu verhelfen. Bloß, daß sie mir nicht von der Rolle der Hausherrin in die Rolle der Hausfrau rutscht. Argwöhnisch sehe ich, wie sie mit den anderen Kerne auf der Terrasse knabbert und sich unterhält (verstehe ja nicht, was sie sagt). Besorgt sehe ich wie sie Bettwäsche verteilt (alle haben ja schon eine Nacht hier verbracht). Ich bin wie ein Tiger, der belauert, wie sich die Dinge entwickeln und dünste Mißfallen aus. Ab und zu übersetzt Mine mich. Sherife versteht nicht, warum ich hier überhaupt was zu sagen habe. Ramazan und die Seinen haben uns aber schon einmal überrumpelt. Damals haben wir mit einem Kloß im Hals das Beste daraus gemacht und nun sehe ich keine Veranlassung das nochmals zu dulden. Zudem sind wir nicht sicher, ob Ramazan uns das hier aus Versehen eingebrockt hat oder mit Absicht. Zumindest diktiert er zum zweiten Mal unser Setting. Wir erfahren, daß die erste Überrumpelung durchaus beabsichtigt war in dem Versuch, Mine zu treffen und sie mit Sherife zusammen zu einer Neuauflage der Ehe zu motivieren.
Irgendwann male ich mit Sude, die mit dem ganzen Ärger ja nichts zu tun hat, während Mine mit den Neulingen Tee trinkt und sich ihrer Verkupplungsversuche mit Ramazan erwehrt. Der Dorfvorsteher hat schon vier zerstrittene Paare wieder zusammengebracht und Mine und Ramazan sollen vielleicht sein Meisterstück werden. Ich weiß nicht. Was geht diese Menschen das an.
Im Bett liegend, sind wir noch lange wach, überlegen, was wir tun können. Denken traurig an unsere schöne, jetzt okkupierte Oase, die uns so lieb ist. Gerade jetzt am Ende unserer Auszeit, wo man nichts verschieben kann, hätten wir sie so gern behalten als ruhigen Pol. Gegen halb zwei in der Nacht fällt Mine ein, daß Teile unseres Gepäcks noch vor der Haustür stehen. Wir holen sie rein.

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