Samstag, 22. August 2009

12.8.09 Erdemli

Wir verlassen das Haus, nachdem sich die unerfreuliche Atmosphäre nochmals in einigen kleinen Episoden destilliert hat und auf alle herabgetropft ist. Wir gehen, um das Auto abzugeben und geraten kaum außer Haus in eine heftige Meinungsverschiedenheit, wie mit der Situation zu verfahren ist. Nachdem das Auto abgegeben ist, gehen wir zu Vodafon, lassen unsere Sim Karte dort in ein Handy einlegen und versuchen, unser Konto leer zu telefonieren. Während unsere Sim-Karte dort aktiviert ist, kommt keine Nachricht über einen Anruf in Abwesenheit, den wir versäumt hätten. Versuchen Ramazan zu erreichen, der aber nicht abhebt, da er wahrscheinlich auf der Arbeit ist.

Mich irritiert so sehr, daß die Ankömmlinge nicht signalisieren, daß es ein verhandlungswürdiges Problem gibt, sie gehen davon aus, daß man den Status hinnehmen muß, wie er sich ergeben hat. Der Mann scheint der Einzige, der die Form des Einmarsches bedauert und das wortkarge Miteinander ebenfalls belastend findet. Wenn ich bloß wüßte, wie lange diese Menschen zu bleiben gedenken, aber das kann man ja scheinbar nicht fragen. Das macht es so schwer für uns zu planen, ob wir bleiben oder gehen.

Wir gehen in einem Café frühstücken. Zu Hause haben wir nur eine Tasse Kaffee getrunken und Jogurt gegessen neben der schlafenden Sherife und Sude und nun kommt der richtige Hunger. Währenddessen beginnen wir, uns etwas besser zu fühlen und können uns substantieller austauschen über die Situation und was uns daran bedrückt.
Mine beklagt, jeder wolle es sich in ihrer Umgebung nur wohlergehen lassen und sie hätte die Nase voll, das für die verschiedenen Parteien zu gewährleisten. Das genau ist aber auch das, was ich nicht mitansehen will.

Mines wesentliche Botschaft an mich ist, “Mäßige Dich, die Menschen verstehen nicht, warum Du Dich so aufregst und warum Du Dich da einmischst. Die sehen dich als Gast. Ich mache das schon”.
Ich antworte: “Ich kann mit diesen Menschen leider nicht selber sprechen, ich habe nur wenige Möglichkeiten zu signalisieren, daß die Situation so für mich nicht akzeptabel ist und ich mich übergangen fühle. Ich kann dabei nicht berücksichtigen, ob sie das angemessen finden oder nachvollziehbar. Ich fürchte, du arbeitest auf eine Koexistenz mit ihnen hin und das mißfällt mir.
Ich verstehe nicht, warum Du bei diesen Leuten in diesem Fall einen guten Eindruck hinterlassen willst?”
Letztlich geht es für uns beide darum, uns übergangen und unangemessen fremdbestimmt zu fühlen. Immerhin ist das auch Mines Wohnung und mit Recht möchte sie hier die Zügel in der Hand behalten (Sherife ist anfangs ganz fordernd und bestimmend und sagt, das sei die Wohnung ihres Bruders und der habe sie hierhin eingeladen und deshalb sind sie jetzt hier!). Dazu kommt, daß Mine von Sherife (der Schwester von Ramazan) und dem Ehepaar immer wieder auf die Trennung von Ramazan angesprochen wird mit dem Ziel, sie zu einem neuen Versuch mit ihm zu bewegen. Das ist sehr unangenehm für sie.


Wir waren einmal ein bißchen verdutzt, als man uns in einem Hotel, ein Zimmer zeigen wollte. Als der Mann aufschloß, sah man deutlich, daß es belegt ist. Wir traten deshalb nicht ein, obwohl der Bewohner nicht da war. Der Angestellte ging hinein, zog die Vorhänge zurück und sagte auch wir sollten doch reinkommen und gucken, denn ein identisches Zimmer könnten wir haben. Wir haben das Hotel nicht genommen u.a. wegen dieser Distanzlosigkeit. Aber genau die ist tief verwurzelt in diesem Land. An einem Beratungsschalter der Bank stellen sich die anderen im Halbkreis um den, der gerade beraten wird. Leute mieten hier am Meer eine Wohnung und nach und nach kommen 40 Leute, die zusammen Ferien machen wollen. Die Grenze des einzelnen kann sich hier bei den Menschen oft nicht richtig ausbilden und ist nichts Wahrnehmbares, Offensichtliches oder auch nur Annehmbares.
Ich schäme mich ja auch, weil ich so häufig schon gastfreundlich behandelt worden bin und Spontanität erfahren habe hier in der Türkei. Nie habe ich erlebt, daß ich irgendwo überraschend hinkam und jemand sagte, ich muß dieses oder jenes jetzt aber erst zu Ende machen oder ich muß nachher noch das machen oder gar, es paßt gerade ganz schlecht. Bitter wird mir klar, was das heißt, daß Gastfreundschaft eine Pflicht ist, an der es für die Betreffenden kein Vorbei gibt, keine Ausnahme. Alles wird sofort fallen gelassen für den Gast. Gleichzeitig kommt man scheinbar immer in Situationen, die nie gefüllt sind mit etwas anderem, Unaufschiebbarem, Wichtigem. Es ist als hätten die Menschen nur einen ganz schwachen eigenen Handlungsstrang, den sie mit ihrem Willen verfolgen.
Als ich ein Buch lese, fragt die Kleine warum ich heute lese, es sei doch nicht Samstag oder Sonntag. Nun ja.
Bei dieser Gastfreundschaft kann man nur schwer mithalten. Und nun fühlt man sich natürlich kleinlich, aber die Großzügigkeit wäre nicht ehrlich in diesem Fall. Natürlich ist das ein großer innerlicher Spagat und man weiß, egal wie die Sache ausgeht, man wird sich schlecht fühlen, wenn man abreist (weil man sich hat vertreiben lassen aus immerhin auch Mines Wohnung), wenn die anderen gehen und wenn beide bleiben knirscht man auch mit den Zähnen.
Sherife, die mich ja vom letzten Aufenthalt hier kennt, versteht gar nicht, was ich habe, ich sei so anders, was ist passiert? Die Menschen sprechen hier miteinader kaum über ihre Sorgen, ihren Kummer, ihr Fühlen und sie fragen auch einen anderen nicht danach. Und so spricht auch jetzt in der Wohnung keiner richtig mit dem anderen trotz der fühlbaren Mißstimmung, als sei das Sprechen darüber der eigentliche Grenzübertritt, die eigentliche Distanzlosigkeit, die eigentliche Einmischung. Für mich und Mine wäre aber nur das Miteinadersprechen eine Lösung. Man stelle sich das vor: man kann den Gast nicht fragen, wie lange er bleibt. Das tut man nicht. Er bleibt solange er bleibt. Basta.
Bei vielen Gedanken dieses Tages handelt es sich wahrscheinlich um echte Fehleinsprossungen, Antworten auf ungünstige Verknüpfungen von Realem und Geglaubtem die mit selbstgeschneiderten Plänen kollidieren.

Weder für Mine noch für mich geht die Situation und wir beschließen abzureisen. Wir kaufen noch am Vormittag einen Koffer (zwei neue kleine Teppiche!) und sind ein bißchen entlastet, weil wir eine Entscheidung getroffen haben. Sitzen später lange am Strand und überlegen wohin wir gehen können. Beschließen, am nächsten Morgen ohne Gepäck mit dem Dolmus loszufahren und in den größeren Buchten nach einer geeigneten Unterkunft zu gucken.
Zu Hause schleichen alle umeinander rum. Gehen die anderen zum Strand trinken wir Tee, kommen sie wieder, gehen wir, grillen sie, gehen wir spazieren. Wir essen nicht zusammen und kochen nicht zusammen, kaufen unabhängig von einander ein. Bei dieser Art des Zusammenseins tut sowohl die Normalität der anderen weh wie auch der Ausnahmezustand selber. Die scheinbare Normalität (fröhliches Grillen unserer Gäste auf dem Balkon) der einen, ist die Kränkung des anderen.
Kochen abends Bohnen, bieten davon den anderen an, spielen mit Sude, gehen kurz ins Internetcafe, wo ich dreimal den Code für meine Mails falsch eingebe und dann nicht mehr reinkomme in mein “gmx”. Machen danach einen langen Spaziergang und trinken bis spät Tee im Café und verdauen an den Ereignissen. Ramazan hat während unserer Abwesenheit angerufen bei Sherife und läßt Mine um Rückruf bitten. Nach dem Anruf ist Sherife irgendwie ruhiger.

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