Samstag, 1. August 2009

22.7.09 Mersin

Mit Mühe entscheiden wir uns zwischen den beiden Emlaks (Maklern), wählen den alteingesessenen Hasen, der seit 30 Jahren im Geschäft ist und hoffentlich einen Ruf zu verlieren hat, falls er uns übers Ohr haut. Ihn ruft Mine an und vereinbart einen Besichtigungstermin der Wohnung für heute. Dann rufen wir auch Ibrahim, den derzeitigen Mieter, an und kündigen uns an. Er ist freundlich und sagt, daß der Auszug für Sonntag geplant ist. Er hat eine neue Wohnung für seine Familie gefunden. Dann telefoniert Mine mit Ali, weil er das Geld nicht überwiesen hat und die gesetzte Frist ohne Kommentar verstreichen ließ. Er räumt ein, das alle Forderungen von Emine berechtigt sind. Sein Geld sei angelegt, er könne da zur Zeit nicht ran, er warte auf einen Scheck, habe den aber noch nicht... Mine erklärt, daß sie das alles nur interessiert hätte, wenn er von sich aus offen und ehrlich mit ihr gewesen wäre, den Kontakt von sich aus gesucht und gehalten hätte, um sich zu erklären. Jetzt aber, wo er sie so fortgesetzt hintergangen hat, interessieren seine Beteuerungen und Rechtfertigungen nicht mehr, er soll einfach nur bezahlen. Man will sich nochmals sehen.
Fahren Richtung Tarsus. Die Emlaks wollen uns um vier am Bahnhof abholen. Wir stehen an der Ecke und warten, als wir das gelbe Auto von Ibrahim sehen. Der erkennt uns auch und hält sofort. Ob er uns irgendwohin fahren könne? Und er hoffe, daß er bei uns keinen schlechten Eindruck hinterlassen habe. Nein, das hat er wirklich nicht. Wir fahren zur Wohnung, in der schon die gepackten Kisten stehen. Die Frau ist ganz still und traurig und huscht wie ein Schatten durch die Wohnung. Unsere beiden Emlaks wirken versiert, treten sicher auf, sind aber höflich und anständig mit der Frau. Bemerken gleich einen großen Fleck an der Decke, wo mal ein Abflußrohr aus den oberen Wohnungen geleckt hat. Die zentrale Lage in der Stadt finden sie gut, die Wohngegend ist gepflegt, die Wohnung zwar so, daß man ein paar Tausend Lira reinstecken muß, aber nicht schlecht. Eine kleine Terasse könnte man leicht durch einen Mauerdurchbruch ermöglichen. Verabreden uns für den nächsten Tag im Büro zu weiteren Besprechungen.
Gehen danach zur Akbank und fragen wegen Kontoangelegenheiten, Zinsen, Online banking etc, weil Mine ja ein Konto braucht für die Abwicklungen mit dem Verkauf. Danach fahren wir raus zum Otogar und wollen mit Ali sprechen und mal wieder “etwas Druck aufbauen”. Müssen ein bißchen nach der Werkstatt suchen, finden sie aber. Ali (22Jahre) ist da. In der Werkstatt wieder einiges Gewusel aus Mitarbeitern und Kunden. Ali heißt uns willkommen, Hos geldiniz. Gehen in sein Büro, sitzen bald auf krummen Stühlen, die einen nicht ganz freiwillig tragen. Überall ist Kruschel, an der einen Wand ein riesiges Regal mit Zubehörteilen aller Art für Autos. In Alis Büro ist ein unruhiges Kommen und Gehen. Dauernd will einer Geld wechseln, eine Rechnung haben oder was holen oder bringen oder fragen. Der Raum hat einen großen Durchbruch zum Nachbarraum, sodaß man schon deshalb nie ungestört ist. Die Frage nach einem diskreten Vorgehen stellt sich hier nicht. Lange warten wir darauf, daß er fertig wird, aus einem Stapel Automatten irgendeine bestimmte für einen Kunden herauszusuchen. Wir sind geduldig, obwohl sich die Sache mit den Matten für unseren Geschmack etwas zieht. Wir schwitzen. Das Vorspiel dehnt sich weiter, bis Jalousien runtergelassen sind, damit es uns nicht blendet und der Ventilator läuft, um uns zu kühlen. Tee wird nicht angeboten, auf diesen Teil der Zeremonie verzichtet er von sich aus. Endlich die Ouvertüre von Mine, wie er sich das weitere Prozedere vorstelle. Die alte Leier geht wieder los von seinen Problemen, daß er zwar Geld hat, aber zur Zeit nicht daran kommt (erst am 6.8.), Mine es aber bekommt. Mine wirft ihm seine Unehrlichkeit vor und das sie schon im November 08 (Brief) und im März 09 ihre Forderungen geltend gemacht hat ohne eine Reaktion von ihm und das er auch jetzt das Ultimatum hat verstreichen lassen. Ich sehe von meinem Platz aus Mine vor dem wandfüllenden Regal mit Autozubehör und Teilen. Das Nachmittagslicht fällt durch die Jalousette. Alle haben Schweiß auf der Stirn, Mine hat Mathildes (alte Nachbarin aus Bielefeld) rosa umhäkeltes Spitzentaschentuch in der Hand zum Abtupfen und schlägt sich tapfer. Sie hält dagegen: “Ali, du mußt mir das Geld geben, das geht nicht anders. Du mußt Dir das Geld leihen oder mir Gold geben oder sonst was”. Ali: “Ich habe niemanden, der mir etwas geben kann”. In Mines wilde Entschlossenheit fällt ein beträchtliches Loch. Ali beteuert: “Wir sind doch Freunde”. Mine: “Solche Freunde will ich nicht haben. Du mußt in Deinem Leben noch viel lernen über Freundschaft. Du bist ein Ganove. Du hast mich belogen und hintergangen”. Nach und nach wiegt das Gewicht seiner ganzen Naivität und Hilflosigkeit, aber auch Armseeligkeit schwer im Raum. Zwischendurch - ich verstehe ja nur das Nonverbale - informiere ich mich kurz über den Gang der Dinge, der mir noch unbefriedigend scheint. Ich rate, mit der Polizei zu drohen. Er sagt beklommen: “Emine Abla, das kannst du machen.”
Irgendwann sehe ich, wie sich Ali auf den Schreibtisch nahe Emine setzt. Er beugt sich vor zu ihr und man ahnt, daß er sie anfassen wird. Tatsächlich legt er kurz darauf, locker die Hand auf ihren Unterarm, beschwichtigend und gleichzeitig unangemessen weltmännisch und jovial. Sie solle ihr Geld schon bekomme.
Und dann platzt auch mir der Kragen, wir schicken uns an zu gehen, aber ich gehe auf ihn zu, beschimpfe ihn wütend, schubse ihn an beiden Schultern zurück und unsere Nasenspitzen berühren sich unfreundlich. Er zuckt nicht einmal, versteht aber naturgemäß auch nix von meiner Tirade. Als ich mich zum Gehen abwende fragt er Emine “Was hat Sie?”. Das hat natürlich schon wieder etwas Komisches.
Mine und mir ist im Gehen klar, daß wir nicht mehr auf das Geld warten müssen. Dieser Mann ist nicht bei seiner Ehre zu packen, ist nicht zu greifen, der Skupellosere gewinnt. Schweigend und aufgewühlt gehen wir zwischen den aufgeklappten LKWs und den schraubenden Männern über den Hof. Nicht unsere Welt. Aber wir haben uns ganz gut geschlagen.
Dann erzählt mir Mine von der ersten Begegnung von ihrem Bruder Yasar und Ali. Ali war ein pubertierender Junge, mit seinen kurdischen Eltern frisch aus Van gekommen. Er hing herum und war “Boyno bükük” (etwa: trauriger Mensch mit hängendem Kopf). Yasar sprach ihn einfach an und fragte, was er denn für einen Kummer habe. Sie saßen auf der Bank und der Junge erzählte, daß sie gerade aus dem Osten gekommen sind und nichts haben und ganz neu hier sind. Seitdem trafen sich Yasar und der Junge immer mal, wenn Yasar in der Türkei war.

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