Freitag, 31. Juli 2009

19.7.09 Mersin

Ramazan macht wie immer das Frühstück. Keine weitere Hand findet dabei ihren Platz. Das ist sein Hoheitsgebiet. Wir sprechen davon, ins Dorf zu Mines Mutter zu fahren. Ramazan, der dort ja ein Zwischenstopp eingelegt hat, rät eher ab angesichts der Stimmung, die er antraf und den Kommentaren zu unserer Reise. Das alte Ränkespiel der Eifersüchtigen und Empörten, die sich zurückgesetzt fühlen, ohne mehr spüren zu können, wie wichtig sie sind und wir destruktiv.
Wir packen unsere Monster während Ramazan nachdenklich an der Balkonbrüstung lehnt. Seine Fürsorge siegt und ohne uns zu fragen bestellt er jemanden, der uns die 300m bis hoch zur Hauptstraße fährt, wo wir einen Dolmus nehmen können. Ramazan begleitet uns. Der Abschied ist traurig und herzlich zugleich. Ein Zusammen von Mine und Ramazan ist unmöglich und wenn einer nicht aufhört zu warten, bleibt allen ein Kloß im Hals. So fahren wir beklommen in Richtung von Mines Dorf. Entscheiden auf dem Weg, in Mersin auszusteigen. Schleppen unsere Säcke ins Ögretmen evi (Haus der Lehrer) und sitzen dort lange im Teegarten und denken beeindruckt und aufgewühlt an die Begegnungen der letzten Tage. Sprechen von Ramazan, der Tragik des sich Trennens, dem Warten und Hoffen und der Schwierigkeit der Einsicht. Mine fragt im Ögretmen evi, ob sie Zimmer frei haben. Ich warte im Teegarten. Sie kommt wieder und beschreibt mir das Zimmer als einach, aber sauber und akzeptabel. Ohne selber einen Blick darauf zu werfen, stimme ich zu zu bleiben. Als ich das Zimmer betrete, muß ich zugeben, daß das Bettzeug sauber ist, es neue Fenster gibt (mit Fliegengittern) und eine Klimaanlage, alles andere gehört aber weggesprengt. Nicht auszudenken, wenn ich Mine diese Unterkunft vorgeschlagen hätte. Kategorische Ablehnung. Ich ahne, wie zerüttet Mine von den letzten Tagen ist, angesichts ihrer Zustimmung zu diesem Loch. Sie denkt vielleicht: Lieber mit sich selber im Frieden in dieser Bruchbude als in dem goldenen Käfig in der Wohnung Erdemli. Wir halten eine Mittagsruhe auf unseren Betten, den einzig berührbaren Gegenständen im Zimmer. Gehen dann essen, was uns meist hilft. Schlendern dann runter zur Promenade und zum Hafen, sitzen dort an der Mole. Auf dem Rückweg kommen wir am Hotel Nobel vorbei, Mine schlägt vor, mal reinzugucken. ??? Wunderbar im Vergleich zu unserem Ögretmen evi. Wir sitzen in der Lobby, um nachzudenken. Unaufgefordert bekommen wir Tee und Wasser gebracht, der Kellner merkt an, wir sähen so erschöpft aus. Entscheiden uns zum Umzug ins Hotel Nobel, ungeachtet der Tatsache, daß wir die andere Unterkunft schon bezahlt haben. Holen unsere Rucksäcke und trinken danach Cappucino. Trotz unseres schönen Hotels verbringt Mine einen Teil der Nacht wegen schwerer Mückenverletzungen wieder auf der Bettkante.

Montag, 27. Juli 2009

18.7.09 Erdeml

Wir fahren gemeinsam mit Namik und Ramazan morgens nach Tarsus. Nach einigem Suchen in der sich rasch verändernden Stadt finden wir das Haus und die Wohnung. Kurzentschlossen kllingeln wir und siehe da, jemand drückt den Türöffner. Wir treten ins Haus und gehen im Dämmerlicht zur Wohnungstür, die von einer netten jungen Frau geöffnet wird. Die fragt freundlich, wer wir sind, wirkt aber ganz offen und rückt schon Hausschuhe richtigrum vor die Türöffnung, damit man gleich reinschlüpfen kann. Für diplomatische Eröffnungen und planende Strategiegespräche ist es in unserer Truppe aber jetzt zu spät. Ramazan poltert los mit: “Geh mal zur Seite, wir sind die Eigentümer”. Wir sitzen schon bald auf den Sofas im Wohnzimmer. Zwei kleine Jungen spielen, alles macht einen geordneten und gepflegten Eindruck. Dennoch sieht man auf den ersten Blick, daß die Wohnung kein Prachtstück ist und Investition dringend bräuchte. Die Frau ist konsterniert und erschrocken und weiß nicht so richtig, was ihr gerade passiert. Ramazan präsentiert laut und verärgert seine Version des Geschehenen, die nicht ganz richtig ist (er war ja bei den Gesprächen mit Ali nie dabei). Mine versucht immer wieder, ihn zu bremsen und die Zügel des Gesprächs in der Hand zu behalten. Namik gibt sich weltmännisch, versucht immer mal zusammenzufassen, plant die Reparaturen, die man in die Wege leiten muß, um den Verkaufswert der Wohnung zu erhöhen. Ich sitze neben Ramazan und versuche von ihm zu erfahren, was passiert und gesprochen wird. Ramazan ist zu sachlichen Berichten heute aber nicht in Stimmung, ist gespannt und verärgert über Emine, die ihn ausbremst und die Sache natürlich nicht richtig angeht. Die Essenz aber schwimmt im Gewirr der Stimmen und Emotionen schnell nach oben: Ali ist ein Verwandter der jungen Familie, hat sich als Eigentümer der Wohnung ausgegeben und von den Leuten, die dort seit über zwei Jahren wohnen, die Miete selber kassiert und einbehalten. Die Familie hat scheinbar treu immer gezahlt und ihr kommt eigentlich keine Schuld zu. Die Frau wird zunehmend blasser, ihr Mund trockener. Sie versucht immer wieder, ihren Mann anzurufen, damit er dazukommt. Der Mann ist gerade nicht erreichbar und sie weiß leider nicht Alis Nummer und Adresse. Der angestrebte der Wohnung wird von Mine schon angesprochen. Die Frau bittet, sie möge die Familie doch hier wohnen lassen. Leider, weiß man nicht mehr, wem man trauen kann und mißtraut lieber allen und das ist ein großer Schaden und ein Verlust. Wir rücken erstmal ab und besichtigen ein Heiligtum in der Nähe: Eshaf -i Keyf (Höhle der versteinerten Heiligen), das uns angesichts der Überraschungen des Tages nicht in seinen Bann zu ziehen vermag. Die Frau erreicht in der Zwischenzeit ihren Mann und wir treffen uns erneut in der Wohnung der Mieter. Auch der Ehemann macht einen guten und seriösen, vor allem ruhigen Eindruck. Sie verstehen Mines Entrüstung und Enttäuschung über ihr Hintergangensein durch Ali. Der Mann hat auch die richtige Telefonnummer von Ali und ruft ihn an, sagt, daß “Frau Emine”, die Besitzerin der Wohnung, da ist und es hier einiges zu klären gebe. Mine übernimmt den Hörer und sagt, er solle sofort hier erscheinen, um alles zu besprechen. Er beteuert, daß er nicht aus der Werkstatt weg kann und wir mögen uns doch zu ihm begeben. Nein, er soll jetzt sofort kommen. Wir unterhalten uns mit den Leuten und warten auf ihn. Sie würden die Wohnung auch kaufen wollen, haben aber zur Zeit kein Geld, da sie gerade ein kleines Restaurant eröffnet haben in der Stadt. Mine will sich auf nichts mehr einlassen, alles einem Makler übergeben. Dazu muß die Wohnung frei sein. Ali wird nochmals angerufen, er biete an, jemanden vorbeizuschicken, um uns zu sich abzuholen. Nein, er soll kommen. Wieder Warten. Nochmals Anruf bei ihm, er ist auf dem Weg. Inzwischen ist die Stimmung im Wohnzimmer ganz gut geworden, man scherzt und lacht und ich male mir aus, wie unerwartet und falsch Alis Eindruck sein könnte, wenn er jetzt zur Tür herein käme. Zwischendurch angespanntes Warten. Ich fürchte um den makellosen Erhalt der schönen Gestecke aus Seidenblumen im Wohnzimmer, wenn es hier mit Ali zum Showdown kommt. Unsere Truppe ist in ihrer Stoßrichtung etwas unstet und schwer berechen- und führbar. Ali kenne ich auch nicht, keine Ahnung wie er so diskutiert. Ali kommt aber nicht. Mine und ich wollen daraufhin unbedingt in seine Werkstatt fahren. Alle anderen meinen, der Vogel sei bestimmt ausgeflogen. Gut möglich. Wir fahren dennoch hin. In der ersten Werkstatt von einem Ali in der angegebenen Straße, sagt ein verwirrter Geselle, Ali sei vor fünf Minuten weggegangen. Mist. Wir gucken aber noch ein bißchen weiter und finden schließlich die richtige Werkstatt und den richtigen Ali. In seinem Büro hocken wir dann alle schwitzend auf krummen Stühlen und Namik auf einem Stapel Automatten. Ali ist ein junger, zierlicher Mann, der wenig furchterregend wirkt. In seinen Versuchen sich zu erklären, zu verteidigen und die Schuld auf andere abzuwälzen beginnt sein Stottern, das er immer hat, schlimmer zu werden. Zwischendurch zückt er Geld und jemand von den Mitarabeitern soll Tee für uns holen gehen. Wir verzichten. Ramazan tritt kraftstrotzend auf und Mine muß sich wieder ihr Feld erobern. Sie will ihr Geld. Ali sagt allen Ernstes zu Mine, sie sei geldgierig. “Du hast mich belogen und betreogen, ich kann nicht in Deine Augen gucken”. Er bekommt ein Ultimatum gesetzt, innerhalb von drei Tagen das Geld zu zahlen. Wir fahren kopfschüttelnd wieder in die Stadt zu dem Restaurant des Mieters und bitten ihn innerhalb der nächsten 10 Tage auszuziehen. Mine klärt alles ruhig und deutlich, aber Ramazan hat im Weggehen immer das letzte Wort.
Danach bin ich völlig entnervt, zum einen wegen des Ganoven und dem kränkenden Umgang mit der redlichen Mine, zum anderen aber auch von dem Chaos in unseren Reihen, wo jeder auch mal was sagen will. Dazu kommt meine Entbehrung, weil ich so gerne auch einen aktiven Beitrag in dem ganzen Durcheinander geleistet hätte und noch dazu nicht mal genau verstehen konnte, wie sich das Leben im Einzelnen vor mir inszenierte. Schade. Mine ist auch traurig, nicht zuletzt über das alte Uneinssein mit Ramazan, auf das sie sich trotz besseren Wissens wieder eingelassen hat. Die Männer sind zufrieden mit sich und dem Erreichten. Wir gehen lecker essen (kleine Lamacun mit Salat und Ayran) und stellen erneut fest, daß es unerträglich heiß ist. Fahren noch in der Altstadt, den Paulusbrunnen angucken und dann heim. Mine zu Hause in Tränen, Ramazan vor Unverständnis laut. Mine und ich gehen noch los für ein Abendbad und zum Beruhigen. Schaffen danach noch einen netten Abend mit gebratenen Auberginen in brüchiger Eintracht und mit dem Beschluß, morgen wegzufahren und in der Wohnungsangelegenheit im weiteren weder Namik noch Ramazan mitmischen zu lassen.

17.7.09 Erdemli

Auch den nächsten Tag verbringen wir in Frieden überwiegend zu dritt. Wir schwimmen, sitzen am Strand, braten uns frischen Fisch und essen ihn mit Rukolasalat. Abends wird unten im Garten des Hauses Geburtstag gefeiert und wir gehen auch hin und tanzen ein bißchen, was uns gut tut. Uns fällt an diesem Tag auch ein, daß wir unser Vorhaben, Mines Wohnung in Tarsus zu verkaufen nicht länger aufschieben können. Ich weiß nicht, wie wir an diesem Tag darauf kamen. Wir hatten viel gesprochen über die kleinen Gaunereien und Übersohrhauungen, denen man als Türke durch seine eigenen Verwandten und Bekannten oft ausgesetzt ist. Der Hausverwalter, der die Gelder der Eigentümer mißbraucht und sich davon zwei Wohnungen im von ihm verwalteten Hauskomplex kauft. Gratulation! Verwandte, die sich die Wohnung am Meer von den Geschwistern leihen, die wiederum hinterher keine Unterhose und keinen Short mehr im eigenen Schrank finden (alles mitgenommen). Die Trennung zwischen Mein und Dein ist hier in der Türkei viel unschärfer als bei uns. Wenn Dein Verwandter etwas besitzt und Du wenig hast, gibt es verschiedene Wege, an dessen Habe zu kommen: Einfordern (klappt erstaunlich gut!, Ist fast schon der Favorit!), Leihen (und nicht zurückgeben), eine Leistung anbieten und darüber Werte zu sich umleiten (siehe unten), Zugreifen, schlau sein (“man gibt gerne ein Huhn, wenn man dafür eine Gans bekommt”), Angraben/Abgraben. All meine türkischen Freunde haben jedenfalls eine Vielzahl solcher Erlebnisse, von zumeist Verwandten furchtbar hintergangen worden zu sein. Erstaunlich ist dabei, daß man hier in der Türkei fast nie Sorge haben muß, bestohlen zu werden. Jedenfalls paßte die Geschichte mit der Wohnung von Mine gut ins Bild. Vor ca. 35 Jahren hat eine Verwandter sich angeboten, für die Lieben im Ausland Lebenden zwei Wohnhäuser von deren erschufteten Geldern in Tarsus zu bauen. Das Geld für den Bau reichte nie und wurde regelmäßig bei den Lieben nachgefordert und von denen aufgestockt. Bei der krönenden Verlosung der Eigentumswohnungen unter den zahlenden Mitgliedern dieser Kooperative bekamen dann zufällig die am weitesten entfernt lebenden, wie Mine und ihr Mutter, die Wohnungen, die umgebauten Kohlenkellern entsprachen. Hier sollten in der Tat Brennstoffe gelagert werden, Wohnraum war ursprünglich nicht geplant. Während die einen für ihr Geld luftige 140qm Wohnungen bekamen, sprang für Mines Geld leider nur eine 80qm Wohnung ohne Balkon und Terrasse minderer Qualität heraus. Schade. Für die damals (für türkische Verhältnisse) astronomische Summe von 16.000 DM, bei einem Stundenlohn in Deutschland von 3 DM, sprang für die “reichen Deutschländer” leider nicht mehr raus. Und die lieben Verwandten kann man ja nicht anzeigen und verklagen und so wurde der Betrug hingenommen. Diese Wohnung hat danach nie richtig Miete gebracht, wurde meist unter der Hand weitergegeben und die vereinbarte Miete so gut wie nie gezahlt an die weit weg lebenden Besitzer. Mit der Wohnung war von allem Anfang an so viel Frust verbunden, daß auch keine Maßnahmen zur Instandhaltung getätigt wurden. Diese in jeder Hinsicht verunglückte Investition sollte jetzt unter den Hammer, um wenigstens einmal in ihrer verworrenen Geschichte so etwas wie einen Profit oder sagen wir besser Schadensausgleich zu erbringen.
Vor mehr als zwei Jahren hatte Mine die letzten illegalen Bewohner ihrer Wohnung aufgesucht, beschimpft und dann mit ihnen die säumigen Gelder (von mehr als zweijährigem Umsonstwohnen) zusammengerechnet und die ab jetzt zu zahlende Miete (umgerechnet etwas über 40 Euro im Monat) schriftlich festgelegt. Aberwitzigerweise wollten die Leute die Wohnung daraufhin kaufen, was Mine irritierte, weil sie ja nicht mal Miete zahlten. Ihr Bruder und dessen Freund Ali begleiteten sie damals als Zeugen. Durch Ali erfuhr sie - zurück in Deutschland -, daß von den Mietern kein Geld kommt und wohl auch nicht kommen würde. Ali bot sich an, die Mieter aus der Wohnung herauszukomplimentieren. Das Angebot wurde angenommen. Als die Wohnung dann frei war, gab es mehrere Telefonate von Ali mit Mine und die Bitte Alis, selber einziehen zu dürfen in die Wohnung. Nun gut. Kurz darauf, es gab auch hier keine Mietzahlungen, mußte Ali zum Militär. Die Kontaktaufnahme mit Ali wurde unmöglich. Im November 08 gab es aber noch einen Brief an Ali an die Adresse seiner Eltern, mit der Aufforderung die bis dahin säumige Miete zu zahlen. Danach war Ali verschollen wohnte angeblich schon lange nicht mehr in der Wohnung.. Dieser verloren gegangene Faden sollte nun von uns wieder aufgegriffen werden und in die ganze Aktion sollte Grund gebracht werden. Wie? Objekt abstoßen und den Schaden begrenzen!
Irgendwie dachten wir, bei einem Zusammentreffen mit Ali (falls er noch in der Wohnung wohnt) könnte männliche Begleitung unsere Überzeugungskraft erhöhen. Daher fragen wir Ramazan, ob er Lust hat, mitzukommen. Schnell kommt die Idee auf, einen zuverlässigen Bekannten, der Tarsus gut kennt und dort lebt (den Hausverwalter aus Erdemli, Namik) wegen eines guten Maklers dort zu fragen. Gerne will er mitkommen und behilflich sein, hat auch ein Auto, sodaß wir mobiler sind. So planen wir für morgen die Auftaktveranstaltung in Tarsus. Mal sehen was uns erwartet.

Samstag, 25. Juli 2009

16.7.09 Erdemli

Ramazan hat entschieden, daß der Besuch heute zurückfährt. So kommt es. Serife ist wieder früh auf, sie ist das gewohnt, weil sie um diese Zeit immer zu Hause im Dorf ihre Tiere versorgt. Ich verstehe. Jeden frühen Morgen und so auch heute füllt sie die Wohnung in Ermangelung ihrer Tiere mit ihrem bienengleichen, schwindelerregenden Fleiß. Nehmen wir den Balkon. Eine Türkin wischt den Balkon nicht, nein, sie wäscht ihn. Wenn möglich spritzt man ihn komplett mit dem Schlauch ab. Geht das nicht, tun es ein paar Eimer Wasser, die man auf ihm ausschüttet und dann wird mit dem Besen geschrubbt. Auf jeden Fall ist Saubermachen in der Türkei immer eine feuchte bis naße Angelegenheit. Also Serife wäscht den Balkon und wischt schon morgens feucht die Böden. Selten daß ich den Boden in der Toilette in den letzten Tagen einmal trocken gesehen habe. Hartnäckige Flecken, die bislang einfach akzeptiert wurden, sind plötzlich verschwunden und anderen wird gerade zu Leibe gerückt. Der Kalk im Wasserkessel fehlt auch. Der Tisch wird gedeckt, Kartoffeln gebraten (das ist lecker und so üblich in der Region Düze, aus der sie kommt). Sie ist nicht zu bremsen, findet nichts anstrengend. Die zwei Honige, die wir hatten, sind zusammengeschüttet, das freie Glas beherbergt jetzt den Pfeffer. Der Kühlschrank wird durchgeguckt und großzügig entsorgt, was nicht mehr absolut erscheint. Nach Serifes getanem Morgenwerk sitzen wir gemeinsam beim Frühstück. Als sie zuerst fertig ist, greift sie nach ihrem Teller, um den schon mal abzuräumen und weiterzuwirtschaften. Ich halte sie am Arm und bedeute ihr sich wieder zu setzen. Es geht nicht anders. Immer ist der kräftige Arm leicht feucht vom Feuer der Aktivität. Ramazan holt jeden Morgen eine pralle Tasche mit frischem Brot und Teilchen aller Art. Einwände von protestantisch geprägten Westfalen, daß kein Mensch so viel essen kann und man hinterher so viel wegschmeißen muß, verklingen gehört, aber können nicht berücksichtigt werden. Wir frühstücken also wieder königlich in großzügigem Saus und Braus.
Danach brechen die Gäste auf mit zehn Kilo frischen Zitronen im Gepäck als kleines Geschenk von Ramazan für zu Hause. Wir bleiben zu dritt zurück. Nach dem Abwasch und als die erste Maschine Wäsche läuft, setzten Mine und ich uns aufs Sofa und lesen und tippen ein bißchen. Ramazan ist bester Laune und pfeifft und will auf den Markt gehen, um zu gucken, ob es dort schon frische Feigen gibt. Er zieht los. Als er zurückkommt - bitte keine Einwände oder Zurückweisungen - verschwindet er in der Küche, räumt dort, rückt dann den Beistelltisch vor unser Sofa und serviert fröhlich ein riesiges Tablett mit frisch gewaschenem Obst: Kirschen (noch von Mines Mutter), Bananen aus Anamur, Trauben aus Side, Pfirsiche, Aprikosen aus Nigde, drei Sorten Pflaumen. Es sieht prächtig aus und wir machen Fotos auf dem Sofa mit dem Obst vor uns. Mine und ich genießen. Ramazan muß nochmals auf den Markt. Er kommt strahlend und schwitzend wieder mit zwei stattlichen Honigmelonen und vier Kilo frischem Fisch. Im Waschbecken machen sie eine gute Figur und wir hören nicht auf zu staunen und uns zu wundern angesichts des Lammfleisches, das wir noch im Kühlschrank wissen. Mine hat Hunger und Appetit auf Linsenköfte. Nur eine kleine Portion soll es werden. Ich meine, es fehle hier in der Küche mittlerweile die Übersicht. Mine fängt schon mal mit den Linsen an. Ramazan geht wieder los und will noch Petersilie besorgen zum Fisch. Er kommt summend wieder mit vier (!) Wassermelonen. Während ich noch an einer Pflaume knabbere, sehe ich mit eigenen Augen wie er die erste anschneidet zum Probieren. Salat hat er auch gekauft und Minze und viel, viel Rukola und noch Frühlingszwiebeln und etliche Paprika. Es soll niemandem der unter dem Dach seiner Gastfreundschaft lebt an irgendwas fehlen, vor allem fehlt es Ramazan nicht an Großzügigkeit und Fürsorge. Beklommen sehe ich dennoch, was unvermeidlich scheint und warte ab, ob sich das Knäul aus Lebensmitteln wieder entwirren wird. Ich weiß nicht, aber wenn ich mehr Essen sehe, als ich meine bewältigen zu können, macht mich das unruhig und ratlos und irgendwie traurig. Ich habe nie so ein Inferno von Eßbarem gesehen. Ich werde üblicherweise schon nervös, wenn Mine einen Weiß- und einen Rotkohl und vier Auberginen bringt. Meine Oma hatte immer Quark, ein Glas Apfelbrei, Butter, Dosenmilch und Scheiblettenkäse, wenn es hoch kam noch eine der kleinen Reinert Sommerwurst im Kühlschrank und eine angebochene Flasche Stonsdorfer für Gäste. Das wars. Kam man unerwartet zu Besuch, durfte man bei “Busekros” im Laden nebenan oder beim Bäcker oder Metzger holen, was das Herz begehrt. Aber das war gar nicht so viel, was das Herz begehrt. Beim Essen brauche ich etwas Übersicht, das ich es bewältigen kann, sonst kriege ich Schuldgefühle und Versündigungsgedanken, denn jeder weiß, daß bald schon das große Entsorgen kommt. Zugegeben es ist schwer und erfordert viel Durchsetzungskraft in diesem Land der großen Familien kleine Mengen zu kaufen. Der Wunsch nach 250g Gehacktem löst Unverständnis aus. Was kann man damit machen? So ist es aber auch, wenn man mir einen Strauß Petersilie gibt, den ich nur mit zwei Händen halten kann. Da weiß ich dann auch nicht weiter. Im übrigen gibt es bei Obst und Gemüse Preise für ein Kilo, zwei Kilo, drei Kilo, besser fünf Kilo. Weniger als ein Kilo, die man zum Abwiegen gibt, sind schwierig. Möglichkeit A: der Händler füllt von sich aus auf bis das Kilo voll ist. Möglichkeit B: er schenkt Dir die Ware, weil er sonst zu lange mit den kleinen Gewichten hantieren muß, um rauszufinden, was drei Zitronen wiegen oder weil er auch nicht weiß was 400g kosten, wenn 1 Kilo doch soundsoviel kostet oder er ist einfach großzügig und hält das alles für nicht der Rede wert. Aber ehrlich für die Bauern oder Bäuerinnen, die irgendwo ihren kleinen Stand haben ist Rechnen oft ein schmaler Grat.
Wir essen die leckere Köfte und nach dem Kaffee gehen Mine und ich an den Strand. Als wir wieder kommen haben wir zwei weitere große Honigmelonen dazubekommen, zugegeben sie riechen besonders gut und einen Beutel sehr saftige Birnen.
Wir braten die köstlichen Doraden (man muß ja irgendwo anfangen) und haben einen sehr vergnüglichen Abend.

15.7.09 Erdemli

Fahren bei Erdemli in die Berge, entlang der Zitronenplantagen, die auch Bananen und Feigen und Orangen und Granatäpfel beherbergen. Oben im Wald gibt es eine äußerst eriebige Wasserquelle, die eine verzweigte Bachlandschaft speist. Ursprünglich drängte das Wasser unter oder neben einer uralten Platane (Dedekavak) ans Licht. Die gibt es jetzt nicht mehr, aber das Wasser fließt und fließt weiter. Man hat nur eine vage Vorstellung wie das möglich ist und wo das Woher liegt und was zum Warum reicht. Unter schattigen Bäumen (meist Ahornplatanen) sind viele Holzlauben aufgestellt mit Sitzkissen und niedrigen Tischen, z.T direkt auf Stelzen über den Bach gebaut. Ramazan findet im Bach eine Wasserschildkröte. Er hebt sie hoch. Kaplumbag (türkisches Wort für Schildkröte). Sude will danach die Füße nicht mehr in den Bach halten. Hat Angst. Als wir die Schildkröte wieder ins Wasser setzen, wird sie von dem kräftigen Strom mitgerissen, dreht sich dann aber entgegen der Fließrichtung und findet Halt an einem Stein und wird da wieder zum kopflosen Stein, erholt sich von den Aufregungen des Herausgerissenseins. Zwei Flußkrebse sehen wir. Wir trinken Tee, essen später gegrillte Forelle und Rukolasalat. Ich finde endlich die Funktion schwarz-weiß Bilder zu machen an meiner Kamera. Das ist der Durchbruch. Super. Mache ganz viele Bilder von den Personen und den Lauben, auf die das scheckige Licht aus dem Laub der Bäume fällt und den Bächen, von den nassen Füssen von Emine und Sude.
M schläft währenddessen zu Hause, “ liegt wie eine Melone”, dieser blasse Mann wie immer von irgendetwas zu Tode erschöpft. Mine geht mit Serife und Sude später zum Meer. Die Männer spielen Karten am Pool. Ich lese ein bißchen zu Hause, merke aber schnell, daß die ersehnte Ruhe alleine zu Hause überhaupt keinen richtigen Spaß macht. Bin froh, als alle wieder da sind und tolle mit Sude rum.

14.7.09 Erdemli

Mine geht mit Serife einen Badeanzug kaufen und dann fahren wir alle zusammen an einen herrlicher breiten Strand auf der Landzunge vor Silifke (östliche Seite). Es sind wenig Leute da und es geht relativ flach ins Wasser, was gut ist für Serife, die nicht schwimmen kann. Ramazan schwimmt raus bis man nichts mehr von ihm sieht und kommt nach langer Zeit erst wieder, er ist wie ein Fisch. Sein Freund schläft im Schatten. Man muß sich Sorgen machen um ihn. Wir gehen in das herrliche klare Wasser und verbringen dort den größten Teil des Tages. Serife genießt das für sie ungewohnte Meer und Sude klebt wie ein glücklicher Saugnapf mal an ihrer Oma, mal an Mine, mir oder Ramazan. Wir baden und baden und tauchen. In der Sonne hält man es auch trotz Schirm nicht lange aus. Es kommt bei allen zum Farbumschlag in vertieftes Braun . Benommen fahren wir nach vielen Stunden Sonne heim. Zu Hause machen wir Auberginensalat und Linsensuppe und Lammspieße und haben es schön zusammen.

13.7.09 Erdemli

Am nächsten Tag fahren wir alle gemeinsam nach Kanlidivane, den Rouinen des antiken Kanytela am Rande einer tiefen Einsturzdoline (Obruk). In der sengenden Hitze zeigen wir uns dennoch alle interessiert und scheuen keine Schweißperle. Nur unseren immer matten und krank wirkenden M (Ramazans alten Freund) lassen wir im Schatten eines Baumes am Auto zurück. Steigen auch in das tiefe Loch, um ein Relief in der Felswand anzugucken.
Dann geht es weiter in die zwei sogenannten korykischen Grotten, auch “Paradies und Hölle” oder “Cennet ve Cehennem” genannt. Laut griechischer Sage wurde hier von der Erdmutter Gaia das hundertköpfige Ungeheuer Typhos geboren. Typhos begann einen langwierigen Kampf gegen Zeus. Schließlich begrub Zeus Typhos lebendig unter einem Stein/einer Insel. Das war Sizilien. Der Feueratem des unsterblichen Ungeheuers wurde zum Ätna. Über hunderte Stufen steigen wir in die tiefe Einsturzdoline, wie an der Wand einer vor Jahrmillionen eingestürzten Höhle entlang, gelangen auf den Boden des gigantischen Lochs, an dessen Boden ein Wald aus alten Bäume steht. Von dort geht es im Halbdunkel über feuchte glitschige Stufen weiter in die angrenzende große Grotte. Wir machen schöne Bilder aus der feuchten dunklen Grotte in den dunstigen heißen Tag hinein, durch den die Menschen uns entgegen in die Tiefe steigen. Nach dem Aufstieg sind wir schweißnaß und stärken uns alle mit kühlem schaumigem Ayran.
Danch fahren wir weiter in eine sehr schöne Tropfsteinhöhle (Astim Magarasi) und suchen auch hier alle Ecken ab.
Nach so viel Besichtigungen wollen wir in die Natur. Wir fahren entlang eines tiefen langgestreckten Tals bzw. einer Schlucht im Taurus, die der Lamasfluß gebildet hat, durch die grüne Landschaft. Wir kommen an den sogenannten “Doktorsplatz”. Hier entspringt in den Bergen ein wunderbarer, kräftiger, klarer Fluß unter prächtigen alten Bäumen. In seinen breiten Lauf wurden in das flache Wasser kleine Holzinseln auf kurzen Stelzen gebaut, durch Stege verbunden. Hier saßen wir inmitten des kühlen Wassers nahe einer Felswand im Schatten und haben Lammkotletts und Salat gegessen. Danach gab es die mitgebrachten Kirschen von Mines Mutter und Tee. Mine und ich und Sude spielen ein bißchen am/im Wasser und Sude und ich üben später Zählen auf Türkisch mit Mines Hilfe.

12.7.09 Erdemli

Mehrfach haben wir versucht zu erfahren, wann Ramazan (Mines Exmann) plant, nach Erdemli zu kommen. Wir hätten dann zeitnah das Feld geräumt. So war der Plan. Unsere Sms-Anfragen wurden aber in diesem Punkt von ihm nicht beantwortet.
Heute morgen hat er früh gegen sieben versucht, uns zu erreichen. Als wir das wenig später auf dem Display sehen, rufen wir zurück und erfahren, daß er schon bei Mines Mutter im Dorf übernachtet hat und gerade frühstückt und dann losfährt und seine Schwester und einen Freund mitbringt. Uns steht der Mund zunächst offen, obwohl überrumpelt von den Ankündigungen beginnen wir gleich mit Wischen und Putzen und Aufräumen. Noch bevor wir an diesem Morgen einen Happen gegessen haben, klopft es an der Tür. Die Okkupation erfolgt durch Ramazan, seine Schwester Serife, deren fünfjähriges Enkelkind Sude und einen Freund von Ramazan aus dem Dorf. Sie bringen eine ganze Kiste Kirschen von Mines Mutter mit, Unruhe und die Unsicherheit wie sich die Verhältnisse neu ordnen werden. Sude drückt sich schweigend herum, ein süßes, dünnes, braunäugiges, wachsames Kind. Mit Ramazan ziehen in kürzester Zeit ein: verschiedene ultimative Insektenvertilgungsmittel (“keine Fliege oder Mücke oder Ameise mehr für mindestens ein halbes Jahr”), eine große Palette Eier, mehrere Kilo Grillfleisch, Käse, Oliven, Tomaten im Format einer Großfamilie. Der Kühlschrank tut was er kann für die Errungenschaften. Die bisherigen Proportionen verschieben sich rasant. Wer gewohnt ist Maß zu nehmen, ist verwirrt von den eingeholten Mengen. Alles ruht diesbezüglich in Ramazans Händen. Der Freund ist überwiegend wortlos und verfällt kurz nach der Ankunft in den ersten langen Tagschlaf, aus dem man ihn in den kommenden Tagen nur ab und zu erwachen sieht zum Essen und Rauchen. Ansonsten ist er nett. Was hat der Mann? Er ist blaß und matt. Er ist u.a. Fahrer für einen “professionellen” Kartenspieler, nachts bestimmt oft wach, hat aber auch viel Land und verleiht im Dorf Geld. Serife mag ich sehr gern, kenne sie von einem Besuch schon, aber kann mich leider nicht unterhalten wegen der Sprachbarriere. Ich suche mir Sude aus. Sie will nicht in den Pool, weil sie keinen Bikini hat und in Unterhose geht sie nicht. Ich bitte Mine, sie zu fragen, ob sie mit mir losgehen will, um einen Bikini zu kaufen. Sie will. Toll. Wir beide ziehen Hand in Hand los zum nächsten Laden. Ich bin froh, etwas tun zu können. Einem Kind fällt auch nicht so auf, das man nicht die gleiche Sprache spricht (Später habe ich sie mal fragen lassen, ob sie eine Idee hat, warum ich ganz anders spreche als sie. Hatte sie nicht. Aber es war auch keine entstandene Frage für sie.). Wir kaufen einen ganz süßen Bikini mit einer Hose wie ein Röckchen, eine Taucherbrille und einen Schwimmring und sind beide seelig. Danach wird die Planung des Tages einfacher. Wir gehen mit Mine und dem Kind ins Meer. Serife steht am Strand. Sude will nur auf dem Arm ins Wasser, kann ja nicht schwimmen und ist mit dem Medium auch nicht vertraut. Fortan hängt entweder an Mines oder meinem Hals ein Paar dünne Arme , das der mal juchzenden, mal ängstlichen Sude gehört. Wir haben viel Spaß. Danach gehen wir noch in den Pool am Haus, Mine und ich schwimmen im großen Becken und das Kind ist im Nichtschwimmerbecken mit den anderen Kindern. Sie ist glücklich und wir kriegen etwas ab von ihrem Glücklichsein und Unbeschwertsein. Danach wird auf dem Balkon gegrillt, Lammspieß. Dazu Salat und Brot. Es ist sehr lecker. Gegen abend gehen wir nochmals ans Meer mit Sude und Serife und hören danach drei jungen Musikern auf der Promenade in der Abendsonne zu. Sude will unsere Münzen nicht in den Gitarrenkoffer der Musiker werfen, lieber Dondurma (Eis) kaufen dafür. Also dann...

Freitag, 17. Juli 2009

11.7.09 Erdemli

Wir kommen erst am 16.07. dazu über diesen Tag zu schreiben. Leider kommt es nach jedem Aufholen der Versäumnisse im Blog gleich zu einem neuerlichen Schlendrian. Über diesen Tag erinnern wir in der Hauptsache, daß es abends sehr leckere grüne Bohnen gab und wir lange am Strand waren (nachdem wir spät losgegangen sind), wo ich ein Eishörnchen mit ganzen schokoladeummantelten Haselnüssen gegessen habe und Mine Pistazieneis. Das Erinnern ist oft beschämend dürftig.

Habe den englischen Harry Potter aus dem Iran angefangen und kämpfe noch mit den vielen unbekannten Worten. Mine hat auch ein neues Buch (Kumru ile Kumru) und erzählt mir daraus.

10.7.09 Erdemlı

Es fängt damit an, daß wir vom Strand heimkehrend nicht mehr schaffen, die Bohnen zu kochen. Essen nur eine Kleinigkeit kalt und duschen und gehen los, um einen guten Platz für das Konzert im Gartencafe von Flamingo 4 zu bekommen. Eine Gruppe aus Urfa wird spielen. Wir haben vor einigen Tagen die Plakate gesehen und heute im Meer schon den badenden Keyborder kennengelernt. Die Gruppe spielt also speziell Musik aus der Region Urfa, natürlich über die Liebe, die Heimat, das Essen, die Natur. Eigentlich singen die Urfa-Musiker im Chor, diesmal gibt es aber einen Sänger mit Mikro. Folgende Instrumente sind vertreten: Davul (große Trommel, von zwei Seiten mit Fell bespannt, die eine Seite wird mit einem kräftigen gebogenen Stock bespielt, die andere mit einer dünnen Gerte), Surna (Blasinstrument, ein bißchen wie Oboe, nur kürzer und keine Metallklappen), Geige, Darbuka (kleine Trommel, die man unter den Arm klemmt und mit beiden Händen spielt), Keybord, zwei verschiedene Saz (Seiteninstrument mit langem Hals, zupft man). Das Café füllt sich langsam und wir kommen in Stimmung. Bestellen Nagile und Pommes und knabbern Kerne und trinken was. An den Nebentischen wird die ein oder andere Flasche Raki bestellt und man lockert sich gebührend. Der Davulspieler steigt irgendwann von der Bühne und beginnt den Leuten einzuheizen. Um ihn kristallisieren sich die Tänzer, die ersten tanzen alleine mit Taschentücher in beiden Händen, dann bildet sich ein Kreis und ab geht es mit Halay. Ich gucke mir das ganze an. Schicke Mine vor, sie hält sich gut wie immer. Dann wird auf der Bühne begonnen die Kultmahlzeit aus Urfa zu bereiten: cigköfte. Die Männer knien auf der Bühne und kneten das rohe fein gehackte Fleisch mit Bulgur (Weizengrütze) und Gewürzen. Danach tanzen die Meister des Cigköfte mit ihren vollen Tepsis, was das Zeug hält zwischen den Tischen, um zu zeigen daß Cigköfte berit ist gegessen zu werden. Dann werden kleine Köfte gemacht und an den Tischen verteilt. Danach kocht das Blut erst Recht. Ich probiere es auch, finde es aber unerträglich scharf. Mine kann es scheinbar häppchenweise genießen. Ich wage mich irgendwann auch vor zum Tanzen. Die Musik ist ohrenbetäubend. Es ist ein einziges Zerren und Puffen und hitziges im Kreis Dahintreiben. Ich habe Mühe, den Schritt zu halten. Dazu abendliche Temperaturen von bestimmt noch 35°C. Inzwischen haben wir den Teil erreicht, wo man Musikwünsche äußern kann. Die Leute gehen vor und wünschen sich ihr Lied. Die Musiker spielen mehrere Stunden ohne eine einzige Pause (damit das Blut nicht runterkocht). Nach einigen Stunden bin ich fertig mit den Nerven. Meine Ohren wollen zugehalten werden. Ich komme dem nach, was Mines Stimmung nicht weiter anheizt. Die Musik dröhnt. Ich finde doch, daß die Türken Wilde sind. Ich erkläre Mine -halb im Spaß- zur Erläuterung meiner Verfassung, daß ich so langsam erwartet hatte, daß angesichts der guten Stimmung die ersten Schüsse fallen. Ich kenne das von Mines Musikkassetten. Wenn das Blut so richtig wallt, schießt jemand in die Luft, aus Übermut und Lebensfreude oder doch eher Leidenschaft und Heimatliebe). Ramazan hat später erzählt, die Gruppe käme jedes Jahr. Im letzten Jahr ist es tatsächlich zu Streitigkeiten gekommen, die sich an unterscheidlichen Liedwünschen entzündeten. Die Männer aus Urfa sind gehäuft Machos. Es gibt hierachisch organisierte Clans (Asiret) mit mafiösen Strukturen, hier gibt es Blutrache und Ehrenmorde und Familien, die Mitglieder in den Suizid zwingen. Ein für uns etwas bizarrer Ehrbegriff hat dort Raum. Jedenfalls hat einer der Beteiligten am Streit dreimal auf den anderen Mann geschossen. Unser Abend endete mit dröhnenden Ohren, aber deutlich friedlicher.

Freitag, 10. Juli 2009

9.7.09 Erdemli

Die Tage füllen sich wie von selber, wir tun wenig dazu. Wir lungern nicht rum. Wir sind auch nicht faul und nicht nichtsnutzig. Im Gegenteil. Wir sind in hohem Maße beteiligt und in noch größerem Umfang erfreut vom Lauf der Stunden durch den Tag. Der Ort hat noch ein ungeheures Potential, weiteres Wohltun vor uns auszubreiten. Das spürt man. Uns würde hier noch viel einfallen, womit wir zu Erfülltsein gelangen.

8.7.09 Erdemli

Mine träumt von Roggenmischbrot und Kosakenbrot und ansonsten von Ciköfte heute abend. Das ist eines ihrer Lebenselexiere und muß in regelmäßigen Abständen einverleibt werden. Ich werde inzwischen süchtig nach dieser kargen, ernsten, melancholischen iranischen Musik. Unsere Blogs werden immer kürzer werden, hier wo wir die meiste Zeit haben und sie verplempern mit Baden, Sonnen, Abkühlen, Aufheizen, Dasitzen, Lesen, Kochen. Es ist fantastisch, viel mehr gibt es darüber auch nicht zu sagen.

Ziehen auch wieder unsere Bahnen im Meer vor Flamingo 4. Das Wasser ist wunderbar warm und klar und blau, hat man erst einmal den Kies überwunden, über den man fußkrank balanciert, kann man sich einfach fallen lassen, ohne daß einen danach Schauer heimsuchen. Ich schwimme meist ein bißchen raus, was mich alleine immer Überwindung kostet und Mine bleibt vorne in der Fußgängerzone. Beim Zurückschwimmen suche ich dann ihren Kopf, wenn ich wieder in den Pulk eintauche, da unter den Poolnudeln in allen Farben, den beflügelten Kinder und bereiften erwachsenen Nichtschwimmer, den huckepackgenommenen Angehörigen, den über das Wasser gehaltenen Köpfen von Kindern und Nichtmehrkindern, die alle das Wasser kosten wollen und ja oft nicht schwimmen können. Dort sind die, die dem offenen Meer ungern den Rücken zudrehen und unter denen bei jeder etwas größeren Welle ein Raunen durch die Menge geht. Dort sind auch meist die Hacis, das sind die Frauen im (mindestens) dreiteiligen Ganzkörperschwimmanzug mit Kapuze, die schon die Hac, die Wallfahrt nach Mekka gemacht haben und sich fortan durch die Blicke anderer nicht mehr beflecken wollen, wo man doch nie weiß, wie nah das Himmelreich schon ist. Unter den Puddlern ist also auch meine Mine ungeachtet jeder Ermutigung und Aufforderung und Lockung. Das Wasser: zu viel, zu tief, zu salzig, zu wellig. Und heute? Ganz anders: plötzlich schwimmt sie in der Dünung, läßt sich damit hoch und wieder runter tragen, auf dem Rücken, auf dem Bauch, schwimmt den hereinkommenden (kleinen) Wellen entgegen und mit ihnen wieder rein zum Strand, was ja ein bißchen unheimlich ist, wenn es einen ein wenig zurückzieht im Wellental. Sonst sucht ihr Fuß immer gleich den Grund. Heute schwimmen wir zwischen den Menschen, sind nicht so viel zu Fuß unterwegs zwischen ihnen. Ab und zu unterhalten wir uns mit anderen hier und da. Nur wenn Mine zum Lachen gebracht wird, muß Boden unter die Füße, da muß sie erst ins Flache schwimmen und dann dann kann sie loslachen.

Abends gibt es wie erwähnt Ciköfte und Salat. Danach Liegen auf dem Sofa zur Umverteilung. Dann das unvermeidliche Kartenspiel. Ich sage gleich, daß wenn sie im ersten Spiel gleich wieder 400Punkte macht, ich alles hinschmeiße. Das wirkt.

7.7.09 Erdemli

Schon am Vorabend ging es uns nicht so gut, wir hatten Magen- und Bauchschmerzen. Rätseln herum, ob es die Luft oder das Wasser oder Nahrungsmittel waren und finden es nicht heraus. Gehen zu Bett und manchmal tut der Schlaf Heilsames und so sind wir ausgeschlafen und gut erholt aufgewacht. Das Gefühl, daß es uns wieder gut geht, ist unbeschreiblich erleichternd und freiheitlich, wunderbar!
Heute Heiratet Nihal und wir denken an sie.
Wir baden im Meer, das heute türkisblau und ruhig ist. Über die Nacht hat es sich auch etwas abgekühlt, sehr erfrischend. Mine blieb in der Fussgängerzone hängen, wollte keinen Meter rausschwimmen. Ich rief ihr zu, bitte ein paar Meter weiterzukommen. Nichts, nichts zu machen. Gehen auf dem Rückweg vom Strand zum Bäcker und holen Pide , Lavas und Apfelrolle und Kokosgebäck, halt das Nötigste.
Oh, jetzt hatten wir aber richtig viel Appetit. Wir frühstücken wie immer königlich. Die Hitze steigt, verschont uns aber im großen und ganzen und immer weht ein kleines Lüftchen. Das Meer verändert stetig sein Farbe und will dabei gesehen werden und uns beeindrucken mit seinem Wechsel von blau zu blau und türkis zu grün und dann wieder grau. Jeden Abend fährt ein Schiff vorbei am Horizont. Die Nacht mit Vollmond und seinen Schatten ist überwältigend schön und beruhigend.

Dienstag, 7. Juli 2009

6.7.09 Erdemli

Wir schlafen länger als sonst. Trinken Kaffee im Pyjama. Gehen dann in den Pool zum Baden. Sonnen uns kurz. Holen Brot und frühstücken ausgiebig. Danach Mittagsruhe mit Lesen und Tippen des vernachlässigten Blogs. Mine ist gefangen von den Wendungen und Traurigkeiten des Buchs (Orhan Pamuk, wörtlich übersetzt: “Museum der Unschuld”), das sie heute zu Ende gelesen hat und das ich auch gut kenne, weil sie mir immer davon erzählt hat. Gehen wieder in den Pool, dem wir mit Heißhunger entsteigen. Heute: Nudeln mit Jogurt-Knoblauchsoße und frischer Minze und gebräunter Butter darüber. Sehr lecker. Ruhiger Abend mit Tippen.

5.7.09 Erdemli

Die Küste hier hat ihre Besonderheiten. Wie ist es einem Küstenabschnitt, der gewohnt war im wesentlichen Zitronen-, Bananen-, und Orangenbäume zu tragen, möglich, auf so viel Beton umzustellen. Unglaubliche Bauprojekte sind hier wirklicht worden. Unter harmlosen Namen wie Flamingo 4 stehen unmittelbar in der Reihe vor Mines Appartmentkomplex nicht weniger als 8 große, fast zwanzigstöckige Wohnkomplexe. Mittlerweile gibt es aber nicht nur Flamingo 1-8 sondern neben den Flamingos gibt es noch andere Wohnkomplexe. Mines fünfstöckige Wohneinheit war hier vor 20 Jahren an diesem unberührten Küstenabschnitt die einzige weit und breit. Zum Einkaufen von allem mußte man in die Stadt fahren. Es gab keinerlei Infrastruktur. Es muß zauberhaft gewesen sein. Wenige hundert Meter in Richtung der Berge verläuft jetzt eine viel befahrene zweispurige Straße. Kleine Stichstraßen führen von ihr runter Richtung Meer, verziert von den genannten Häusern, kleinen Läden, Internetcafes, Frisören, kleinen Gemüse- und Obstständen, Sportanlagen, Bäckereien. Zu unserem Graus gibt es jetzt sogar schon zwei Discounter: BIM und PIYU. Das ist das erstemal, daß wir sowas in der Türkei sehen. Mit dem Angebot der Woche. Hier also haben viele Türken, auch viele im Ausland lebende, ihren Traum von der Wohnung für den Sommer verwirklicht. Viele haben diesen Traum geträumt. Das Interessante ist, daß es trotz all dieser Maßnahmen noch schön ist, mehr für die Seele als das Auge, aber immerhin. Wir haben einen großzügigen Blick auf das nahe Meer, unsere Balkontür ist immer auf, der Balkon ist luftig und von ihm aus können wir den herrlichen großen Pool mit den spielenden Kindern beobachten und das Leben auf der kleinen Straße, die zum Meer führt. Immer weht eine kühle Brise durch die Wohnung. Überall ist Licht. Die Vögel hört man während man sich in ein Buch verteift zwitschern. Essen gibt es wie überall in der Türkei in Hülle und Fülle, frisches Obst und Gemüse und Kräuter und Salat und Fisch und Fleisch etc. Überall blüht es und wir Baden im Pool und im Meer, wie wir Lust haben. Die Wohnung ist großzügig, wir hören Musik, wir kochen lecker, die Handwäsche bleibt uns erspart, weil es eine Waschmaschine gibt, die Nächte sind kühl und mückenfrei unter dem Moskitonetz. Irgendwie sind wir einfach glücklich hier. Wir mußten in die Stadt, um Geld zu ziehen. Eine unliebsame, aber unvermeidbare Unterbrechung unseres Lebens hier. Wir haben die Sache versüßt mit einem Konditoreibesuch und Kuchen und Tiramisu und haben frischen Fisch gekauft für den Abend. Danach Baden im Meer in der heute tollen Brandung, die herrscht. Das versetzt mich immer in die glücklichsten Zeiten meiner Kindheit mit Baden in der wilden Nordsee in Dänemark. Wunderbar war das. Wir lesen am Strand. Backen dann unseren Fisch, der köstlich ist. Dazu essen wir Rukolasalat. Danach ledern wir die fettige Küche ab und dann Melone und Tee und Rommespielen. Mine, die Zockerin, ich muß höllisch aufpassen.

4.7.09 Erdemli

Wachwerden mit Lust auf Kaffee und sich dafür nicht in den Speisesaal bewegen müssen. Toll. Zum Frühstück hören wir die wunderbar melancholische, eindringliche Musik aus dem Iran, die wir mitgebracht haben. Dabei auf Mines Gesicht oberhalb der Augenbrauen Schweißperlen und unterhalb der Augenbrauen gerührte Tränen. Man kann nicht durcheinanderkommen mit dem Feuchten. Die Musik ist hinreißend, man könnte sich versenken in sie oder von ihr herausreißen lassen aus etwas. Je nachdem. Der Tag geht in einem einzigen glücklichen Gefühl dahin, begleitet von Schwimmen, ein bißchen Putzen, Wäsche waschen, Kochen, Essen, Sitzen und Gucken.
Speiseplan: Kisir mit Weinblättern und Minze dazu.

3.7.09 Erdemli

Der Bekannte, Dervis, von Ramazan bringt uns den Schlüssel für die Wohnung in Erdemli und Mines Augentropfen in unser Hotel. Dank an Ramazan, daß er alles so gut organisiert hat. Dervis beklagt, daß wir in Adana, in seiner Stadt, sind und ins Hotel gehen - eine Unmöglichkeit scheint es. Wir hätten bei seiner Familie übernachten sollen. Das Klima in Adana ist wie im Dschungel, warm und feucht. Dervis behauptet allerdings, daß es zur Zeit in Deutschland noch heißer ist und er froh sei, es in Adana etwas kühler zu haben.
Wir denken dennoch, daß uns in dieser Region nur noch das Meer retten kann und planen, bald aufzubrechen nach Erdemli.
Vorher will ich in Adana nochmal nach dem Schmuckladen suchen, in dem wir vor zwei Jahren einen sehr schönen alten Ring gekauft haben. Mit unserer bisherigen Ausbeute an Schmuck auf dieser immerhin langen Reise kann man die Sammlung wirklich nicht voranbringen. Wir stapfen also in der Hitze los. Und wirklich ein paar wunderbare Gelegenheiten zum Kauf in einem Laden (eine große Gürtelschnalle aus Afghanistan, eine runde Metallplatte für den Kopf mit Gehänge dran). Wir kaufen nicht gleich, wollen noch ein bißchen weiter und finden wirklich den Laden von damals. Der Sohn betreibt ihn inzwischen und plötzlich kommt auch der Vater rein, der nur etwas abholen wollte, sonst eigentlich nie da ist. Wir erkennen uns gegenseitig wieder. Er hat uns damals den Ring von der Hand seiner Frau (die einverstanden war, weil sie so viel alten Schmuck von ihrem Mann im Laufe der Jahre bekommen hat) verkauft. Wir unterhalten uns ein bißchen und er sagt, was für ein Zufall es sei, denn er kommt nur, um etwas abzuholen, will eigentlich (mit etlichen Kilo Silberschmuck im Kofferraum) nach Erdemli. Wir doch auch. Gerne nimmt er uns mit. All unsere Schmuckkäufe können also wieder nicht abgeschlossen werden, weil es gleich losgehen soll. Wir kaufen zwei zierliche kleine Ketten, lassen die Brocken, mit denen wir liebäugeln, aber da, weil man sich ja so schnell nicht entscheiden kann. Wir holen unsere Rucksäcke im Hotel und fahren klimatisiert bis vor die Haustür in Erdemli. Super. Er ist ein ganz netter Mann und Mine unterhält sich mit ihm über Gott und die Welt, seine Familie, den Iran und das Sorgenkind seiner Familie, den Bruder. Er hat sich ganz dissozial entwickelt und lügt und betrügt, wo er geht und steht und macht keine Ausnahmen. Keiner weiß, wie man damit umgehen soll, alle sind entsetzt und fragen sich, wie es so kommen konnte und wie man mit der eigenen Scham darüber in dieser ehrbaren und ehrlichen Familie umgehen soll. Wie persönlich die Leute sind und wie offen und menschlich. Das erstaunt einen wirklich.
Wir schließen die Wohnung auf und sind so wahnsinnig froh, einen so luftigen, großen, privaten Ort zu haben. Die Grünanlanlagen sind schön gemacht alles blüht üppig: Hibiskus, Oleander, Bougainvillea. Die Palmen wiegen ihr Grün in der Brise. Der Pool wird gerade mit frischem Wasser gefüllt. Das Meer leuchtet uns grün und blau vom Balkon entgegen.

Wir gehen Lebensmittel einkaufen und essen in einem kleinen Restaurant unter Zitronenbäumen Salat und Lamacun und trinken Ayran. Danach gehen wir an den Strand und nehmen ein erstes Bad im Meer, was immer herrlich ist. Es folgt Eisessen am Strand, das köstliche Marascheis, zäh und fest und doch cremig. Zu Hause putzen wir ein wenig, machen das Bett und bringen vor allem das Moskitonetz an. Dann wird gekocht: gebratene Aubergine, Kartoffeln, Zwiebeln und Paprika, dazu Portulaksalat mit viel Koblauch und Zitrone und Brot. Dann Tee und Backgammon und Musik. Wir sind ganz glücklich mit dem Meer und dem Tag und der Aussicht, hier ein paar Tage verbringen zu können.

2.7.09 Adana

Mit dem Zug geht aus laut Fahrplan um viertel vor acht von Malatya nach Adana. Mit ein bißchen Verspätung geht es dann auch los. Acht Stunden brauchen wir für die 400km. Es ist sehr warm im Zug, die Fenster sind immer auf und es weht schön durch das Abteil. Wir freuen uns an dem Blick aus dem Fenster entlang vieler Flüsse und Seen und über Berg und Tal. Sehen eine feuchte Wiese mit sicher mehr als hundert Störchen. Fahren vor Adana durch die fruchtbare Ebene, die sich Chukorova nennt. Hier ist das Land so fruchtbar, daß alles wächst: Paprika, Auberginen, Mais, Getreide, Tomaten, Gurken. Hier braucht es keine Gewächshäuser, um mehrfach im Jahr zu ernten. Ein Bekannter von Mine hat hier als Erntehelfer gearbeitet. Er hat erzählt, daß er sich abends zum Schlafen zwischen zwei Gurkenreihen gelegt hat und morgens wach wurde, weil ihn die über nacht gewachsenen Gurken überall drückten. Hier ist Sonne ohne Ende und durch den Aufstau des Ceyhan und Seyhan gibt es Wasser in Hülle und Fülle. Kommen durchweicht in Adana an und gehen in das erste Hotel am Wegesrand zum Duschen. Gehen dann essen und können uns zu wenig mehr aufraffen, da es so wahnsinnig warm und feucht ist.
Wollen uns morgen mit einem Bekannten von Ramazan treffen, der heute aus Deutschland nach Adana kommt. Er bringt uns Mines wichtige Augentropfen und den Schlüssel für die Wohnung in Erdemli.

1.7.09 Malatya

Beginnen den Tag mit einem Besuch im Museum. Hier sind Funde von Grabungen vor dem Staudammbau bei Malatya und aus Arslantepe zu sehen. Das Museum ist sicher eines der besten, die wir in der Türkei gesehen haben. Danach gehen wir Kaffetrinken. Sitzen im Schatten unter den Bäumen. Ein Mann kommt auf uns zu, will uns Socken verkaufen. Sie sind sehr günstig, nur 1,5 NTL (=70 Cent). Wir wollen keine Socken. Der Mann kämpft weiter um seine potenziellen Abnehmer. Für uns ist das ganze eher lustig, für ihn gar nicht: “Nun kauft doch wenigstens eine Socke, ist doch nicht teuer, nehmt doch mit, ich muß doch auch ein bißchen Geld nach Hause bringen, es gibt doch keine Arbeit.” Zwischen unseren Kaffetassen liegen etliche Exemplare. Wir geben ihm das Geld, wollen aber keine Socke dafür haben, wegen des Gepäcks. Wir kriegen viele Gebete dafür, “allah lazi olsun”, Gott soll mit uns zufrieden sein.
Wir laufen durch das 35°C warme schöne Malatya, vorbei an vielen modernen Cafes und Läden zur Haltestelle für die Minibusse nach Yesilyurt und Gündüzbey, zwei kleinen Orten außerhalb der Stadt im Grünen. Dort laufen wir ein bißchen an den schönen alten Häusern und Häuserzeilen entlang. In Gündüzbey setzen wir uns an den Dorfplatz. Hier stehen viele Bänke im Schatten unter großen Platanen, entlang eines kleinen Kanals und nahe einem plätschernden Brunnen. Aus einer Wasserstelle trinken wir ganz kaltes Wasser aus den Bergen und begießen die Füße. Es ist ein wunderschöner Ort und wir breiten uns mehr und mehr aus, holen Kirschen und essen sie, trinken Tee und Kaffee, blättern in der türkischen Newsweek und erholen uns von der Hitze. Rentner lesen Zeitung, junge Leute unterhalten sich, Familien essen Kirschen, die aus dieser Region berühmt sind in der Türkei. Bummeln dann durch das Dorf mit den schönen alten Häusern, finden am Dorfende einen Hohlweg, der zwischen die Gärten führt. Das üppige Grün rechts und links des Weges wird durch einen Zaun aus eng nebeneinander in den Boden gesteckten Zweigen und Stöcken, zum Teil durch quer verlaufendes Flechtwerk verbunden, zurückgehalten. Dieser Zaun aus Zweigen ist fast mannshoch. Auf dem Boden liegen viele viele Maulbeeren, zum Teil trocken, zum Teil noch frisch auf fest getretener Erde. Über die Zäune rankt das Grün der Gärten, trifft sich über einem zu einem grünen Dach. Durch das Blattwerk fällt das Sonnenlicht und wirft bunte Schatten auf alles. Durch diesen Tunnel gehen wir so weit es geht. Sie sind wunderschön diese alten Dorfwege. Zwei Jungen rufen uns schon bevor wir ganz eintauchen in den Weg hinterher, daß es da nicht weitergeht. Als wir am Ende des Weges umkehren beobachtet uns aus einiger Entfernung eine junge Frau zusammen mit den zwei Jungs. Wir gehen auf sie zu und sprechen ein paar Worte, um ihre scheinbare Skepsis zu zerstreuen. Als wir beim Zurückgehen an ihr Haus kommen, läd sie uns ein, hereinzukommen. Das ist so erstaunlich, daß die Kinder ohne Scheu und mit großer Selbstverständlichkeit Fremde mit nach Hause bringen können. Sie entscheiden das und immer sind wir selbstverständlich eingelassen worden, ohne daß die Kinder sich erklären mußten oder einen ermahnenden Blick geerntet haben von den Erwachsenen. Das war immer völlig in Ordnung, jemanden nach Hause zu bringen. In dem schattigen Innenhof, der mit Wein überrankt ist, steht auch das Bett der kranken Oma. Sie sitzt mit einer Trachealkanüle auf dem ganz ordentlichen Bett, von Kissen gestützt. Neben sich ein Inhaliergerät und Taschentücher. Sie sieht wirklich krank aus. Auch sie ist überhaupt kein Hindernis, uns zu empfangen. Wir kommen an den Tisch und gleich wird Tee heiß gemacht und Kirschen und Aprikosen und Pflaumen gewaschen, dann frisches Brot und leckerer Käse (speziell aus der Region) geholt und dann noch Tomaten und Gurken und extra kaltes Wasser. Da ist die Tochter und die Schwiegertochter des Hauses und der Opa und die Oma und ein Enkel und zwei Enkelinnen. Immer wieder fällt einem etwas ein, was uns schmecken könnte und er rennt los. Nachdem wir uns eine Weile unterhalten haben über die alten Häuser im Ort, die Gärten, das Dorf, die Pläne der Enkelkinder und die Krankheit der Oma machen wir Fotos mit der ganzen Familie, zuletzt alle am und auf dem Bett der Oma und dann nur Oma und Opa. Das freut alle und auch die Oma lächelt beim Betrachten der Bilder. Dann kriegen wir noch den Garten gezeigt und Sauerkirschen werden gepflückt für uns und Minze und wir sollen wiederkommen und mit dem Austauschen vieler Wünsche und Hinterherwinken gehen wir satt und glücklich und bewegt von so viel Liebenswürdigkeit und Nähe. Wenige Häuser weiter wird der verstobene Opa betrauert und wir sollen unbedingt Tee trinken und Essen. So könnte es immer weiter gehen.
Fahren zurück nach Malatya und gehen essen, Frauen haben einen Imbiß mit Hausmannskost und es schmeckt köstlich. Wir ziehen Geld, telefonieren mit dem Bahnhof wegen morgen und gehen müde heim.

30.6.09 Malatya

Fahren mit dem Dolmus nach Battalgazi (Alt Malatya).In dem Dorf liegen die Rouinen des alten Malatya mit Resten einer Stadtmauer, der schön restaurierten großen Moschee (Ulu cami), einer alten Karawanserei, die gerade restauriert wird und vielen verstreuten alten Bauwerken. Die Sache ist schweißtreibend und wir setzen uns danach auf den Dorfplatz in den Teegarten. Der ist eigentlich nur für Männer, aber wir setzen uns ein bißchen abseits unter die Bäume und werden natürlich geduldet und bewirtet. Eine Oma kommt und bettelt. Ihr Sohn sei gestorben und dessen Frau ist auf und davon und hat ihr die zwei Kinder gelassen und die muß sie jetzt irgendwie durchbringen, arbeiten kann sie doch nicht mehr. Wie sie das so erzählt, kann man das eins zu eins glauben. Wir geben ein bißchen und wünschen ihr alles Gute und sie zieht weiter. In so einem kleinen Dorf wird sie bestimmt hier und da Unterstützung bekommen, die Menschen kennen sich ja alle. Leid kann sie einem dennoch tun. Ganz bestimmt.
Wir beschließen, nach Arslantepe zu fahren, die archäologische Grabungsstätte eines späthethitischen Stadtstaates, ca. 3000Jahre alt. Hier graben Italiener von der Uni Rom mehrere Wochen im Jahr und in Begleitung kann man über das Gelände gehen. Wir waren ja schon in Hattusa in der Nähe von Bogazkale, der alten Hauptstadt der Hethiter. Als die Phrygier um 1200 vor Chr. das Hethiterreich in Bogazkale überfielen, flüchteten die Hethiter über das Taurusgebirge und ließen sich in der Region des heutigen Malatya nieder. Wir klingeln an der Pforte des Grabungskomplexes und bekommen aufgemacht. Zur Zeit wird nicht gegraben, aber zwei türkische nichtwissenschaftliche Mitarbeiter und Aufpasser sind da. Wir werden mit Erklärungen über den Hügel geführt und was wir verstehen, ist interessant. Der Ausblick vom Hügel auf den See und die umliegenden Berge und Dörfer ist sehr schön. Danach sind wir alle schweißgebadet. Es werden Sekerpari (süße Aprikosenart) und Pflaumen gepflückt (Mine hält die Leiter) und wir sitzen im Camp der Archäologen unter den Bäumen und essen und unterhalten uns sehr nett. Ich streife ein bißchen über das Gelände und mache Fotos von den hunderten von Kisten, die dort beschriftet und voller Scherben stehen und den langen Tischen, wo die Funde sortiert werden. Als wir aufbrechen werden wir von dem Mitarbeiter noch bis an die Straße begleitet. Ein Bekannter von ihm im Auto hält als er ihn sieht und fragt, ob er in die Stadt mitgenommen werden will. Will er nicht, aber gerne werden auch wir mitgenommen. So problemlos geht das oft. Unser dankbares Motto, wenn sich alles so schön fügt und man so paradiesgleich und gut aufgehoben ist: “Bir eli yaga, bir eli balda” (“eine Hand in Honig, eine Hand in Butter” ). Machen Pause im Hotel und duschen. Gehen dann in unser schönes Restaurant Nostalji vom Vortag und essen Gözleme, Manti, Icli Köfte. Danach suchen wir endlich mal wieder ein Internetcafe auf und gucken Mails durch und schreiben ein wenig. Endlich mal ein Internetcafe, das nicht in einem dunklen Keller liegt und wo man etwas Platz hat zwischen den Computern und einem nicht der Schweiß runterläuft. Schon lange komme ich mit meinem Computer nicht mehr ins Internet, weder über LAN noch WLAN-Verbindungen. Wir fragen den jungen Mann am Tresen, ob er mal gucken kann. Er vertieft sich wohlgemut, bekommt es aber nicht hin, verweist auf einen Freund, der so was kann. Gerade besprechen wir, daß ich ihm den PC gerne da lasse, als er zur Tür hereinkommt. Auch er vertieft sich und kriegt es nach langem Werkeln scheinbar auch hin. Jetzt muß nur noch mein live-Test folgen. Wir freuen uns jedenfalls sehr über den potenziellen Fortschritt. Geld will er nicht haben. Wahnsinn, die Leute sind einfach nett. Wir lassen was da für Kaffee und Eis...Rufen auf dem Weg nach Hause meinen Schwager an, der Geburtstag hat. An der Telefonzelle vor der großen Moschee singen wir für ihn.

29.6.09 Malatya

Wir bringen das Auto vormittags zurück und zahlen dort (Sprit kostet 3,3 NTL pro Liter, das sind etwa 1,60 Euro und das bei einem Monatsgehalt einer Lehrerein von ca.1200 bis 1500 NTL). Wir ziehen Geld, zahlen das Hotel, organisieren die Weiterfahrt nach Malatya. Die Strecke ist zum Teil wieder wunderschön. An dem Stausee bei Malatya dann viele, viele der berühmten Aprikosenbäume. In Malatya ist es sehr warm, so 35°C. Mine geht am Otogar auf Toilette und ich setzte mich im Wartebereich mit dem Gepäck zu einer Oma. Sie hat zwei bunte Kopftücher um den Kopf, eins ist wie ein Turban gewickelt, sie sitzt in Socken. Die Schuhe stehen neben ihr. Sie ist ziemlich alt, dünn, zahnlos, voller Falten, mit Tätowierungen auf den Händen (wie viele Kurdinen das haben, oft auch auf Lippen und Stirn und Nase) , sehr munter, mit wachen Knopfaugen. Sie begrüßt mich freundlich mit einem “Hos geldiniz” (Herzlich willkommen), erkennt mich natürlich gleich als Fremde. Ein junger Mann kommt und will Tee verkaufen. Ich lehne dankend ab. Er ist ein bißchen nachdrücklich, will seinen Tee verkaufen. Die Oma sagt etwas zu ihm und er gibt mir einen Tee in die Hand mit einem Nicken zu der Oma. Ich verstehe, sie habe mich eingeladen. Ich ahne schon Schwierigkeiten. Die Oma nimmt “chok” (viele) Zuckerwürfel in den Tee. Nun will der junge Mann sein Geld. Sie ist erstaunt und kann nicht recht verstehen, damit hatte sie nicht gerechnet, daß sie zahlen soll. Ungläubig schaut sie den jungen Mann an. Nach dem Austausch weiterer Blicke, weniger Worte und mehr Zögern von Seiten der Oma als von Seiten des jungen Mannes, greift sie in ihr Dekollete, unter die vielen Schichten, tastet nach der Börse, zieht sie hervor (“Es ist nicht das ich kein Geld hätte, aber...”). Der Tee fällt vor lauter Hantieren um. Ihre Schuhe werden naß und ihre Socken auch und neben ihr ist eine große Teepfütze. Ich bin schneller und zücke mein Geld und zahle. Die Oma bekommt neuen Tee von dem jungen Mann. Ich versuche ihre Schuhe mit dem Taschentuch zu trocknen und der junge Mann holt einen Aufnehmer, weil die Oma die Pfütze im Rahmen ihres weiteren Hantierens nicht berücksichtigt und überhaupt ohne Sorge ist. Mine kommt endlich und ich erzähle kurz. Und richtig: das mit dem Bezahlen des Tees versteht die Oma nicht, findet es völlig abwegig und respektlos, einen Gast zahlen zu lassen und dann auch noch für Tee, das kann man doch nicht machen. Sie habe immer ein Lamm geschlachtet, wenn ein Gast kam und “wenn ihr zu mir kämt, ihr Süßen, würde ich auch ein Lamm schlachten” Sie lacht. “Aber nun sagt doch mal, wo wollt ihr denn hin?” Wir berichten. “Wenn ihr zu mir ins Dorf gekommen wäret, hättet ihr doch bei mir bleiben können, da hättet ihr doch kein Hotel gebraucht”. Wir wollen aber auch wissen, woher sie kommt und wohin sie will. Nach Ankara will sie und sich beschweren, über den Bürgermeister und die anderen im Dorf, die ihr ihren Garten weggenommen haben. Sie hatte alles Äpfel, Birnen, Weintrauben...alles. Sie will in Ankara zu den Behörden und das beklagen. Wir fragen uns wie sie die Reise und den Rest bewerkstelligen will, aber Proviant hat sie dabei. Wir wünschen ihr alles Gute. Sie ist entzückend und voller guter Ratschläge für uns und drückt uns und küßt uns zum Abschied. Wir sie auch.
Wir fahren mit dem Taxi in die Stadt und gehen in das empfohlene Zweisterne-Hotel Malatya Büyük Otel. Das Zimmer, das wir uns angucken ist blitzsauber, klein und fällt noch unter die Kategorie “freundlich”. Ich finde es “ok”, das “geht doch”. Mine guckt mich streng an “Reicht uns das denn?”. Naja. Wir gehen wieder an die Rezeption und Mine erklärt dort -wie ich später in der Übersetzung erfahre- wir kämen aus den Bergen und wären deren Weite gewöhnt und könnten es in solch einer Enge (wie dem Zimmer) einfach nicht aushalten. Der Mann versteht das zu meiner Überraschung sofort und gibt uns zwei miteinander verbundene Räume mit vier Betten. Super.
Wir ruhen ein bißchen und gehen dann in die quirlige Stadt. Finden ein schönes Restaurant in einem alten Malatyahaus und essen Hausmannskost: Manti und “Anali kizli” Köfte (“Mutter und Tochter”, große gefüllte Icliköftebällchen und kleine Bulgurkugeln in Soße). Danach ein wunderbarer Nachtisch (“cizciz” oder so ähnlich, frittierte Teigbällchen gefüllt mit Wallnüssen und darüber Sirup). Danach gehen wir noch auf den Basar. Natürlich findet man getrocknete und frische Aprikosen in allen Variationen. Dafür ist Malatya berühmt und sie sind wirklich köstlich.

28.6.09 Elazığ

Beim Frühstück kriegen wir mit, daß Michael Jackson tot ist. Wir finden das ehrlich traurig, reden viel darüber, denken an den begabten Künstler und den armen Menschen, von dessen zerissenem, schmerzhaften, versuchten Leben man mehr als ahnt. Endlich hat er Ruhe, vor sich selber und der Welt.
Wir verlängern das Auto um einen weiteren Tag und fahren damit zum See Hazar Gölü. Gehen genußvoll baden. Trinken Tee in dem schönen Garten eines Restaurants, Mine liest und ich tippe etwas, wir sitzen lange. Fahren dann nach Maden, entlang des Tigris, der hier noch recht schmal ist. Er verläuft in einem schönen Tal zwischen engen Bergen, das er sich mit der Straße und der Bahnlinie teilt. Maden ist eine Bergbauortschaft, wir steigen nicht aus. Machen auf dem Rückweg Halt und einen kleinen Spaziergang. Gehen einen Hang hinauf zu einer kleinen Hütte mit türkischer Fahne daneben. Hier hausen zwei Männer, die in Wechselschicht (immer 24h) die Gegend bewachen. Sie machen das seit 18 Jahren. Ob sie die Bahnlinie wegen der PKK bewachen (Strecke Diyabakir - Elazig)? Ist denn in den 18 Jahren mal was vorgekommen? Wir fassen die Frage absichtlich ein bißchen weit. Nö. Wahnsinn und immer noch sizten sie zu zweit da oben. Haben selber keine genaue Idee mehr von dem, was sie tun. Wir fahren zurück zum See und essen Forelle und Sac kavurma am See. Dann geht es nach Elazig zurück.

27.6.09 Elazığ

Die Fahrt von Divrigi nach Ilic (über Gedikbasi) ist wieder voller Natur und Stille und Berge, oft sind wir das einzige Auto weit und breit. Die Straße ist gut bis Ilic, wird dann schlechter und enger. Hinter Ilic sieht man weit unten im Tal den breit und träge und erdig braun dahinfließenden Euphrat in seinem großzügigen Bett. Plötzlich ist die Strecke gesperrt und man muß die ursprüngliche Straße umfahren. Wir erfahren später, daß hier aus einer staubigen Spur im Gestein 50 Tonnen Gold wurden. Jetzt sucht ein großer internationaler Konzern (Anatolia minerals) nach weiteren Vorkommen von Gold in der Gegend.

Wir winden uns langsam bergauf und fahren dann entlang eines atemberaubend engen Einschnitts zwischen den Bergen. Die Straße ist hier schmal, ohne Leitplanke, im Auto ist es still und konzentriert und gemeinsam gruseln wir uns bei dem Gedanken an Gegenverkehr. Wenig später öffnet sich der Weg in eine hügelige Hochebene. Wir halten an einer Cesme, einem Brunnen, am Wegesrand und wollen weiter an unserer großen Melone zu essen. Dort am Brunnen treffen wir eine junge Geologin und ihren Begleiter. Ihr Geländewagen steht am Straßenrand und sie wollen rasten und Mittagessen. Unser Hyundai Accent macht eine ganz schlechte Figur neben dem Geländewagen, scheint nur halb so hoch und halb so breit. Sie laden uns zum Essen ein und wir erzählen dabei ein bißchen vom Gold und was man dem kleinen Ort hier in den Bergen wünschen soll (weitere Funde oder nicht?), wer das Geld bekommt, wenn mehr Gold gefunden wird, wie viele Jahre man in der Regel so eine Mine ausschöpfen kann etc.? Wir erzählen auch, was wir weiter vor haben, welche Strecke wir nehmen wollen. Die Geologin rät von unseren Plänen nachdrücklich ab. Für die Strecke hinter Kemaliye über Cemisgezek nach Pertek bräuchten wir ein anderes Auto, große Höhenunterschiede, schlechte Straßen und das Wetter scheint heute nicht stabil. Ich kriege die Krise, denn jetzt ist man -wie so oft- wieder in der Zwickmühle. Gehört die Warnung zu der Kategorie der übertriebenen und unbegründeten türkischen Bedenken oder gibt es ein echtes Risiko und man sollte die Warnung ernst nehmen? Schimpfe ein bißchen mit Mine, sie soll nicht so viel fragen. Die Türken sind groß in magischem Denken und eher ängstlich, wenn es darum geht, sich in der Natur und außerhalb des bekannten Umfeldes zu bewegen. Wir hören so viele weit hergeholte kryptische Ängste und so viel unbegründetes Abraten, daß man oft Mühe hat, sich nicht verunsichert zu fühlen und man manchmal erst den Kloß im Hals loswerden muß, ehe man ohne Probleme tut, was man tun wollte. Hunde, die man nicht kennt, beißen oft. Seen, in denen man baden will, drohen fast immer mit Sog- und Strudelbildungen, die einen in die Tiefe reißen können. In den Bergen der Osttürkei ist die PKK, da kann man nicht hin. Überhaupt sollte man in den Osten des eigenen Landes nicht reisen, weil das gefährlich ist. Fremde heiratet man möglichst nicht, weil die häufiger schlecht sind als die eigenen Leute aus dem Dorf. Wir lassen die Sache mit unserer Route erstmal offen. Die Geologin ruft uns beim Losfahren hinterher, wir sollen das bitte nicht machen, die Strecke nicht fahren, sie würde die Gegend kennen wie ihre Westentasche. Da steht sie mit ihren Bergstiefeln und den Lupen um den Hals neben ihrem großen Geländewagen, der uns mittlerweile auch lieber wäre.

Die Straße ist zunächst weiter gut, es geht lange in Serpentinen runter in ein breites Tal, das dann zunehmend enger wird, bis steile Felswände rechts und links einen breiten braunen Fluß einmauern. In die Felswand gehauen läuft eine schmale Straße parallel zum Fluß. Kein Grün mehr zu sehen. Es ist diesig. Wir halten vor einem Tunnel, der in den Fels geschlagen ist. Bei der Fahrt durch den Tunnel tropft es von der Felsdecke auf das Auto. Auf der ganzen Länge des Tunnels sieht man den nackten Fels an Decken und Wänden, keine Pfeiler, keinen Beton. Hinter dem Tunnel kreuzen wir den Fluß über eine kleine Metallbrücke, dann kommt wieder ein Tunnel. Dahinter ist die Hälfte der Fahrbahn plötzlich verlegt durch große Steine und Felsbrocken, die offensichtlich aus der Wand stammen. Ein Schild fordert auf zu “Dur” (Stop). Wir trauen uns nicht, die Steine einfach zu umfahren, weil dahinter gleich eine Kurve kommt und man nicht sieht wie es dahinter weitergeht. Weit und breit kein zweites Auto und kein Mensch. Ich bleibe beim Auto und MIne geht los, den weiteren Verlauf der Strecke anzugucken. Endlich kommt uns doch ein Auto entgegen und wir fragen, wie es um die Straße im Verlauf steht. Kein Problem. Wir umfahren daraufhin das Hindernis und tatsächlich geht es bald normal weiter. Wir fahren immer bergauf. Unter uns wird der Euphrat immer breiter und wird offensichtlich wieder gestaut. Das Tal sieht schon bald aus wie ein stattlicher norwegischer Fjord. Steile Felswände, viel Wasserfläche und ein schmaler Streifen für das an den Fels gebaute Dorf Kemaliye, dem wir uns nach einigem Steigen nähern. Es ist ein wunderschöner Ort in toller Lage mit vielen alten Häusern. Es gibt sogar Möglichkeiten über nacht zu bleiben und ein bißchen touristsiche Infrastruktur (für den Inlandstourismus). Gerne wollen wir hier die Nacht verbringen. Um zu entscheiden, wie es am nächsten Morgen weitergeht, fahren wir aber erstmal weiter. Wollen mal sehen, was uns hinter dem Abzweig nach Baspinar und Cemisgezek erwartet. Dann können wir uns immer noch entscheiden, morgen über das sicherere Arapgir heimzufahren.
Die Fahrt bis zu der Aufzweigung ist so abenteuerlich für uns zarte, nicht bergerfahrene Fahrer, daß wir nicht nochmals zurückfahren wollen nach Kemaliye und uns auch zur Weiterfahrt auf dem sichereren Weg über Arapgir entschließen. Von der Strecke gibt es auch keine Fotos, weil der Blick auf der Straße klebte und Anhalten unmöglich war.
Wir wollen einen Berg hochfahren, mit dem Blick nehmen wir Maß an den Serpentinen, die sich den Berg hochschlängeln. Ein paar Windungen der Straße bergauf sieht man einen Mann mit einem großen, weißen geschulterten Sack, der bergan geht. Der helle Fleck seines Sackes bewegt sich rasch und glatt bergauf und wir gucken länger hin, ob nicht doch ein Esel mit der Last neben dem Mann hergeht oder er etwas neben sich herrollt. Nicht einmal bleibt er stehen und behält seinen schnellen Schritt unverwandt bei bis wir kurz hinter ihm sind. Keine Ahnung, woher er kommt, nix scheint in der Nähe, wo man hätte starten können und nix scheint in der Nähe, was aussieht wie ein Ziel. Als er unser Fahrzeug hinter sich hört, dreht er sich um und hebt die Hand mit gespreizten Fingern. Wir halten. Er will nach Arapgir und wir sagen er solle einsteigen. Der Kofferraum ist voll mit unseren Rucksäcken und er buggsiert den Sack und seine Tasche auf den Rücksitz. Mit seinem Setzen breitet sich der Geruch seiner unglaublichen Anstrengung schnell zwischen uns aus. Mine fragt, woher er kommt und was er in dem Sack hat. Er spricht nur gebrochen Türkisch. Er ist Kurde aus Diyabakir und wurde von einem Bekannten (als Tagelöhner) angeworben für eine Arbeit auf dem Bau hier in den Bergen. In dem Sack ist seine Matratze und sein Bettzeug und in der Reisetasche sicherlich ein paar Klamotten und sonstige Habseeligkeiten. Das Bild versetzt Mine in die Türkei vor 40 Jahren als viele arme Kurden aus Diyabakir nach Adana kamen, um dort als Landarbeiter und Erntehelfer in der Cukurova (fruchtbare Ebene zwischen Adana und der Mittelmeerküste, wo man drei- bis viermal pro Jahr Tomaten, Gurken, Zitronenan etc. ernten kann) zu arbeiten. Sie alle hatten so eine Bettstatt im Sack, die sie jederzeit ausbreiten konnten, um nach der Arbeit zu schlafen. Drei Tage hatte er jetzt schon dort gearbeitet und man hat ihm keinen Lohn gezahlt, deshalb ist er gegangen und will jetzt irgendwie zurück nach Hause. Er ist heute gestartet in Baspinar, was weit von unserem Treffpunkt entfernt ist und ist den ganzen Weg gelaufen, keiner hat ihn mitnehmen wollen mit dem Sack. Jetzt sitzt er bescheiden auf unserem Rücksitz. Mine muß sich auf die Straße konzentrieren und der Mann spricht nur sehr schlecht Türkisch, so daß wir schweigend durch die Landschaft fahren. Mine sieht im Rückspiegel ein paar ehrliche und bescheidene Augen. Ich biete dem Mann unsere Wasserflasche an und die Kekse, die wir im Auto hatten. Er bedankt sich und ißt langsam, fast ohne Geräusche und hat bestimmt nicht mal einen Krümmel fallen lassen. Man spürt etwas von der Kränkung, die es bedeutet, sich ohne den Lohn irgendwie nach Hause zu schlagen. Als wir fragen, wo wir ihn in Arapgir absetzen sollen, antwortet er “wo es möglich ist”. Als er seine Reisetasche umhängt und den Sack schultert, geht er wieder los mit ununterbrochenem und kräftigem Schritt. Bestimmt ist er ein ganz fleißiger und ausdauernder Arbeiter.
Nach so viel Einblick in das wahre Leben und die anstrengende Fahrt gehen wir zunächst in einen Teegarten in Arapgir. Kriegen zu dem Tee und Eis den Gartenschlauch und kühlen die Füße und Waden. Nach der Pause geht es weiter Richtung Keban. Auf dem Hinweg war die Landschaft so so schön mit dem in der Ebene liegenden Stausee umgeben von sanften Hügeln und inmitten von Kornfeldern und Wiesen und Gruppen von Bäumen. Jetzt liegt alles im Dunst und der Genuß ist nicht so groß. Gehen wieder gegrillte Forelle essen in Keban in der Nähe des Staudamms. Wir haben noch nicht die Forelle vor uns, da merken wir, daß der Euphrat bei weitem nicht so viel Wasser führt wie noch vor zwei Tagen als er ein imposanter blauer Fluß mit klarem Wasser und kräftiger Stömung war. Der Hahn ist abgedreht, die Brückenfüße ragen wie Stelzen aus dem Wasser. Bis wir die Forelle gegessen haben, ist aus der kleinen Sandbank eine große Sandbank geworden. Gluck gluck. Die schwimmende Forellenzucht ist in das verbliebene Wasser gezogen worden. Was für ein Eingriff in die Natur, wenn der Fluß über diese Ventile gebändigt wird. Dazu muß man wissen, daß wenige Kilometer weiter der Fluß noch einmal gestaut wird. Wir überlegen mit Einbruch der Dämmerung, hier für die Nacht zu bleiben. Der Opa des einen Kellners habe ein kleines Hotel über einer Bäckerei, heißt es. Wir müssen in dem kleinen Ort bestimmt sechsmal nachfragen, um es zu finden, weil die Wegbeschreibungen wieder unsäglich sind. Es ist voll. Probiert haben wir auch das Gästehaus des Staudammbetreibers und das Haus der Lehrenden (Ögretmen evi). Alles voll. Wir müssen also doch noch weiterfahren bis Elazig. Ganz erledigt kommen wir in Elazig an, finden unser Hotel im Dunkeln nur mit viel Verfahren und Nachfragen. Gehen wieder in unser Marathon Hotel. Als wir unser Auto vor dem feinen Viersterne-Hotel entleeren, um es in die Garage fahren zu lassen, türmt sich ein Berg auf dem Bürgersteig: die Rucksäcke, Bergstiefel, angeschnittene Reisenmelonen, sonstiger Proviant, CDs, lose Jacken. Wir kommen diesmal wie echte “Bitltourist” (Läusetouristen), so nennen die Türken die Rucksacktouristen. Ein bißchen peinlich.

26.6.09 Divriği

Wir gehen im Ort frühstücken, da es im Hotel nix gibt. Gerade gehen wir die Dorfstraße entlang, als unser Mann vom Vorabend aus einem Teehaus auf die Straße läuft und lauthals “Emine” ruft. Emine guckt sich kurz um, reagiert aber nicht und geht weiter. Ein bißchen zu distanzlos ist uns das.
Neben dem Burghügel, vielen schönen alten Häusern und einigen seldschukischen Gräbern sehen wir das Highlight der Stadt und sicherlich einen der baulichen Höhepunkte unserer Reise, die alte Ulu cami mit Darüssifa (Nervenklinik) der Stadt. Zu Recht ist der 800 Jahre alte Komplex UNESCO-Weltkulturerbe. Das ganze ist eine wunderbare bauliche Einheit, die Steinmetzarbeiten an den Eingängen sind handwerklich atemberaubend und höchst ungewöhnlich in der Gestaltung. Auch innen finden sich wunderbare Details an den Decken und herrliche Holzarbeiten an einer Tür und dem Mirhab. Wir sehen nur Einheimische, einen Japaner und zwei Franzosen während der Stunden unserer Besichtigung. Also noch ein Geheimtip. Wir sind begeistert wie von wenigem, was wir gesehen haben. Interessant ist auch, daß Nervenklinik und Moschee ein Gebäude darstellen. Die psychisch Kranken wurden hier behandelt, Besondere Musik, Vogelzwitschern und das Plätschern von Wasser sollten ihnen helfen, sich zu beruhigen. Wie schön man die Umgebung für sie gestaltet hat, wie ästhetisch. Auch hat man die Kranken aufgewertet durch diese Nähe zu der Moschee, diesem heiligen Ort.
Wir bummeln danach durch die Stadt, gehen in einem Restaurant gefüllte Paprika und Zuccini essen. Danach gehen wir erschöpft ins Hotel und machen dort einen Mittagsschlaf. Nach dem Erwachen fahren wir wieder raus, diesmal in Richtung Kangal. Bei Gewitterstimmung geht es hoch auf einen Paß (Karasar Gecidi), wo wir uns ins Grüne setzen und eine große Melone anschneiden. Sie ist wunderbar reif, reißt fast ein bißchen auf als Mine das Messer reinsteckt. Köstlich. Es fängt an zu regnen und wir fahren in wunderbaren, rasch wechselnden Lichtverhältnissen, zwischen Blitz und Donner langsam heim. Immer wieder halten wir und gucken das fantastsiche Lichtspiel an und fotografieren. Hören dabei eine CD aus dem Iran (Shajarian), die uns zudem in andere Sphären hebt. Verklärt von dem Naturschauspiel und der Musik erreichen wir die Stadt.
Halten, um ein paar Besorgungen zu machen und für morgen zu klären, wie wir aus der Stadt herausfahren müssen (Stadtplan haben wir nicht), um unseren Weg durch die Berge zu finden. Ich sehe und höre mir das Hin und Her zwischen Mine und dem Mann und den anderen, die dazu kommen und auch helfen wollen, eine ganze Weile an. Auch ohne ein Wort zu verstehen, spüre man die Sackgasse, in der sich alles bewegt. Es ist hoffnungslos. Es ist nicht möglich, daß ein Ortskundiger einem in Worten zu einer räumlichen Vorstellung verhilft. Wir müssen es einsehen. Bekommen aber Tee angeboten und man ist wieder äußerst liebenswürdig....
Am Abend sitzen wir auf der Terasse und wollen unser Mitgebrachtes essen. Wir breiten unser Küchentuch aus und beginnen Gurken zu schälen etc. Unser Mann vom Vortag versucht erneut eine Kontaktaufnahme, wir sind wieder nur sachlich und signalisieren keine Gesprächsbereitschaft. Er setzt sich an einen anderen Tisch und wir sehen aus dem Augenwinkel sein Agieren. Er spricht laut und raumgreifend mit seinem Gegenüber und man versteht auch von unserem entfernten Tisch das meiste gut, u.a. daß er aus der Gegend kommt und sie kennt. Mine bemerkt nach einigem Beobachten “ich wette, das ist ein Mensch vom Militär, irgendwas Höheres”. Wir rätseln, was für ein altes Bauwerk wir oben auf dem Berg in der Nähe der Burg von der Terrasse aus sehen. Unvorsichtigerweise fragt Mine den Mann danach als er an uns vorbeigeht. Jetzt ist das Eis gebrochen und er fragt, ob er sich zu uns setzten darf. Warum wir ihm gegenüber so distanziert waren gestern und heute morgen, wo er doch nur helfen wollte und uns mit rein brüderlichen Gefühlen entgegengetreten ist. Er ist ein bißchen gekränkt deshalb. Zudem bedauert er zutiefst und mit großer Eindringlichkeit, daß wir nicht vorher schon Vertrauen zu ihm gefaßt haben, er hatte vor, uns so viel in der Umgebung zu zeigen. Ob wir das auch wollen, fragt er gar nicht. Er möchte nicht, daß wir hinterher sagen, niemand hat uns in Divrigi bemerkt und sich um uns gekümmert. Das Gespräch vertiefte sich und wir erfahren, daß er tatsächlich beim Militär war, ein Commodore (?) auf einer Fregatte, mit der er 27 Jahre durch die Welt gereist ist. Jetzt war er seit gut 10 Jahren pensioniert, war aber erst 58 Jahre alt. Warum so früh pensioniert? Er findet, daß das reicht nach so vielen Jahren in der Fremde ohne Frau und Kind. “Nicht daß sie denken, ich hätte niemanden. In jedem Hafen hatte ich eine Geliebte, auch in Deutschland, sie hieß Margarete”. Er beschreibt Margarete: wie kann ein Mensch so blaue Augen haben und so blonde Haare. Also, er muß so an Margarete denken an diesem Abend, daß ihm die Nasenwurzel schmerzt (“burun diregi sizsladi”: ein wehmütiges, sehnsüchtiges Gefühl kann diesen ziehenden Schmerzan der “Nasensäule” oder sagen wir dem Nasenrückens oder der Nasenwurzel oder eben des Nasenbeins verursachen. Die Übersetzung ist nicht so ganz leicht, aber es ist interessant diese Empfindungsqualität dahin zu lokalisieren). Er betritt ein bißchen das Rührseelige und das Bedauern. Wir sind in Gedanken alle bei Margarete und den Fehlern, die man im Leben macht. Er ist ein ganz attraktiver, charismatsicher Mensch, der mit Inbrunst redet und gestikuliert und einem immer wieder auf den Unterarm tippt, wenn das Interesse zu erlahmen droht. Irgendwie ist er uns sympathisch in seiner weltmännischen Art, die auch ein bißchen jungenhaft und verloren ist. Er bedauert weiterhin sehr, nicht all die Touren in seinem Kopf mit uns gemacht zu haben. Wir bedauern das nicht so sehr, weil er so einnehmend und irgendwie anstrengend ist, er so viel Aufmerksamkeit braucht. Ja, das ist schwer, wenn man gewohnt war zu befehlen. Wir alle werden ein bißchen deformiert durch das, was wir lange gemacht haben und gewohnt waren.

25.6.09 Divriği

Wir holen morgens voller Freude und Erwartung unser Auto ab. Alles ist recht problemlos. Wir bergen mit unserem silbernen Hyundai Accent (70 NTL = knapp 35 Euro pro Tag) erstmal unser Gepäck aus dem Hotel, fahren dann Tanken (Schluck). Schmeißen CD ein, machen Klimaanlage an und los geht es. Fahren durch die Berge nach Keban. Kaufen dort alles ein zum Picknick. Von Keban aus geht es am Staudamm vorbei auf einer Schotterstraße runter zum Euphrat, einem breiten kräftigen Strom mit blaugrünem klaren Wasser. Wir fahren über eine Brücke und halten zum Betrachten an einem Forellenrestaurant. Wir nehmen die Einladung an und essen im Garten mit Blick auf den Fluß gegrillte Forelle mit Salat. Wunderbar. Bester Laune geht es mit Blick auf den Stausee weiter. Fahren immer mal von der Straße in Feldwege und genießen es ungemein, überall hinzukommen zum Gucken und überall halten zu können zum Fotografieren. Der See liegt inmitten einer Hügellandschaft, eingebettet in Felder und Wiesen. Sehr schön. Wir fahren weiter Richtung Arapgir. Hinter dem Ort wird es immer bergiger. Wir Rasten nach längerer Fahrt nochmals in dem Dorf Gignir. Wir sehen am Hang ein kleines Teehaus, ein paar Tische und Stühle draußen vor einem Haus. Wir halten und finden eine Mischung aus Teehaus und Laden und Dorftreffpunkt. Wir orientieren uns kurz und machen uns bekannt. Tee ist noch nicht fertig, wir sollen doch so lange ihr schönes Dorf angucken. Die Kinder können uns führen. Das tun sie gerne und bringen uns zu einem kleinen Dorfplatz, an dem eine Quelle aus dem Fels entspringt unter uralten Bäumen. Der Platz ist wunderschön, das Wasser klar und kalt. Wir gehen zurück in einem Bogen um das Dorf, auf einem alten Dorfweg., auf der einen Seite kleine, dicht an dicht stehende Häuser, auf der anderen Wiesen und Gärten. Ein Mann kommt uns mit einer Leiter unter dem Arm entgegen, will in seinen Garten. Auf unserer Höhe stellt er sie ab und will ein bißchen mit den Fremden erzählen. Er läd uns ein, bei ihm und seiner Frau zu bleiben, ihr schönes Dorf zu genießen und morgen erst weiterzufahren. Wir sollen schon mal vorgehen zu seiner Frau, er muß kurz in den Garten und kommt dann nach. Der Junge bringt uns zu der Frau, wir sagen “Guten Tag” und werden herzlich empfangen. Ja, wir sollen doch Tee im Garten trinken mit ihnen und bleiben. Wir gehen aber doch weiter, obwohl der Gedanke verlockend ist. Die Kinder wollen fotografiert werden vor ihrem Dorf. Das machen wir. Wieder im Teehaus am Ortseingang trinken wir Tee und essen Kekse, plaudern ein bißchen. Die Männer spielen Karten, ein paar Kinder lungern rum und ein paar Jugendliche kommen vom Angeln und Baden im Fluß und wollen was trinken im Haus. Wir wollen weiter. Wie weit noch nach Divrigi? Anderthalb Stunden. Kein Problem. Wir fahren und fahren und fahren, bergauf und bergab, auf einsamen Straßen, entlang tausender Schlaglöcher. Irgendwann winden wir uns hoch auf die Saricicek Yalyasi, eine hoch gelegene Alm mit Blick auf die Munzur Daglari. Wahnsinnig schöne Landschaft im Abendlicht. Wir schauckeln den holprigen Weg entlang als wir plötzlich mehrere Zelte sehen. Wir denken an Nomaden und werden neugierig. Man sieht Gehege für die Tiere, umherlaufende Hühner und Kinder, Zelte zum Leben. Vor einem Zelt sitzen drei Frauen verschiedenen Alters auf der Erde, sehen bunt aus, schälen Kartoffeln. Wir fahren langsam vorbei und drehen die Hälse nach ihnen um, beugen die Köpfe ünter den Holm der Tür, um sie am Hang zu sehen. Sie winken uns zu kommen und wir winken zurück, parken das Auto und gehen zu ihnen. Die Frau aus dem Nachbarzelt kommt gleich dazu und bringt uns Ayran von den eigenen Tieren. Es stellt sich heraus, die Leute sind keine Nomaden, aber aus einem Dorf aus Malatya. Sie sind hier heraufgekommen wie jedes Jahr, um mit ihren Tieren hier, wo es Futter gibt, zu leben - viele Wochen mit Kind und Oma und Ziegen und Schafen. Sie zeigen uns den Käse, den sie machen und ihre Zelte. Die Hühner sind überall, gerne hocken sie auf den Verspannungen der Zelte und träumen vor sich hin, in der Sonne trocknen die Töpfe. Die Menschen haben unglaublich weiße Zähne. Wir fragen, wie sie das machen. Wissen sie auch nicht. Aus irgendeinem Grund herrscht ausgelassene Sympathie, Wangen werden getätschelt, Hände gehalten, Augen zum Lachen gebracht auf allen Seiten. Für die kurze Zeit freudiges Beieinandersitzen hier oben mit dieser gigantischen Aussicht. Wir sollen bleiben und morgen weiter fahren. Eigentlich gerne. Wir fahren aber besser doch weiter. Wie weit noch bis Divrigi? Eine Stunde. Oh, doch noch. Wir verabschieden uns warm und herzlich, werden noch ans Auto gebracht. Leider, leider vergessen wir, den Menschen unsere (noch nicht angeschnittene, große) Melone zu schenken. Das wäre hier oben eine schöne Abwechslung für alle gewesen. Schade. Wir fahren durch eine berauschende Landschaft, endlose Berge, kaum eine Menschenseele. Irgendwann stellen wir fest, daß sich der Rausch doch sehr, sehr zieht, keine Divrigi in Sicht, wir schaukeln und holpern in Schneckentempo die Pisten entlang, selbst auch schon müde und staubig und matt vom Abbremsen vor den Widrigkeiten des Weges und dem Beschleunigen in dem Versuch doch noch vorwärts zu kommen. Es endet nicht. Langsam kommt die Dämmerung, was die Sache nicht bessert. Wie viel Hügel noch? Man könnte den Accent doch vielleicht etwas herzhafter über die Unebenheiten jagen. Doch nicht gemacht. Völlig ermattet erreichen wir nach Stunden Divrigi und fragen uns durch nach einem Hotel (unser Führer erwähnt die Gegend nicht). Wir landen im Tasbasi Hotel der Stadt (Belediye Hotel). Vor dem Hotel will uns ein hochgewachsener sportlicher Mann beim Ausladen helfen. Nicht nötig und bitte nicht ansprechen. Tut er doch. Verwickelt Mine in ein erstes Gespräch nach dem woher und wohin und bietet wieder seine Hilfe an. Er ist uns ein bißchen forsch und für unsere Müdigkeit ein wenig zu munter. Und Tschüss. Wir gehen ohne ihn auf die Terrasse des Hotels und essen das Mitgebrachte. Todmüde zu Bett. Mine wieder mückenaktiv.

24.6.09 Elazığ

Heute Lustlosigkeit und die Hitze macht uns antriebslos. Wir kümmern uns dennoch um die Sache mit dem Autoverleih, denn gerne möchten wir das obere Euphrattal erkunden, wo mit öffentlichen Verkehrsmitteln wenig geht. Fahren dann mit dem Bus zum Museum für Archäologie auf dem weitläufigen Unigelände. Leider ist das Museum wegen Renovierung geschlossen. Fragen uns dann durch zum Bus in Richtung Hazar Gölü (ein See). Unterwegs steigen wir kurz hinter dem Abzweig Richtung Sivrice am See aus. Es ist ein großer natürlicher See mit wunderbar klarem Wasser, der hier vor einer Bergkette liegt. Wir baden und suchen dann eine Lokanta auf, die wir ein Stück entfernt sehen. Als wir sie erreicht haben, erkennen wir, daß sie nicht bewirtschaftet ist. Stattdessen betrachten ein paar Leute vom Forstamt von dort oben die Gegend. Während wir uns mit ein paar Maulbeeren vom Baum über die Enttäuschung mit dem fehlenden Kaffee und Kuchen und Eis trösten, kommt ein erstes Gespräch auf. Sie laden uns ein zum Tee trinken. Wir lehnen dankend ab. Im Laufe des Gespräches stellt sich aber heraus, daß Tee gerade fertig ist und wir gehen mit ihnen. Es sind vier Mitarbeiter vom Forstamt, allesamt Kurden. Was genau ihre Aufgabe ist, ist schwer zu sagen. Sie sollen aufpassen wegen Waldbränden und sie melden. Ein Fernglas haben wir bei ihnen nicht gesehen. Die Angst vor Waldbränden führt auch nicht zu einem Verbot des Grillens, was fast alle unten auf dem Platz tun. Baden tun auch viele, oft ohne Schwimmen zu können. Beim Rumpuddeln ertrinken dabei in jeder Saisaon etliche Menschen hier. Wir fragen, ob sie angesichts dessen ab und zu Rettungsversuche unternehmen müssen. Nö, sie sind für den Wald da. Ach so. Zeit für Gäste haben sie offensichtlich, das muß sein. Ehrensache. Es sind ausgesprochen nette Menschen, die hier zu viert immer für drei Tage am Stück bleiben. Sie sitzen in einer Reihe auf ihren Stühlen uns gegenüber auf der Veranda. Wir bekomen aufgetischt: gegrilltes Hühnchen (die Männer waren gerade fertig mit essen), Käse, Brot, gegrillte Tomate und Paprika, frische Tomate und Gurke. Danach Tee und Obst. Wir wurden gut unterhalten. Die Männer waren mit der Arbeit und ihrem Leben als Kurden in der Türkei sehr zufrieden, konnten nicht recht verstehen, was viele Kurden wollten und bemängelten. Nach den Stunden mit uns (so ein Essen dauert ja) ging es für sie runter an den See zum Angeln (trotz Schonzeit der Fische und Verbot). Je nach Fang (war heute gut) dann wieder Grillen. Nach ein paar Fotos verabschieden wir uns dankend. Gehen noch ein bißchen um die Bucht und Baden beim Sonnenuntergang nochmal. Fahren dann mit dem Dolmus zurück nach Elazig. Gehen dort in ein “Fastfood-Restaurant” und sitzen mit schöner Aussicht über die Innenstadt auf der Außenterrasse. Auf den Fotos von dort sehen wir aus, als säßen wir in einer amerikanischen Großstadt auf dem Balkon.

23.6.09 Elazığ

Nach dem Frühstück fahren wir mit dem Bus in das nahegelegene Harput, eine 2000 Jahre alte Stadt auf einem Hügel über Elazig. Sie war ein wichtiger Posten an der Seidenstraße. Von dort haben wir einen tollen Ausblick über die weite Ebene und die Stadt. Viel Getreide wird hier angebaut, sodaß die vorherrschende Farbe die von ockerfarbenen Getreidefeldern ist. All das ist möglich geworden durch das Wasser des nahgelegenen Kebanstausees. In Harput besichtigen wir die syrisch orthodoxe Meryem Ana Kilise (= Kirche, allerdings nur von außen), die Ruinen der alten Burg, alte Gräber, ein wunderbar als Museum restauriertes altes Konak, ein Hamam und die Ulu cami (große Mosche). Ein großes Glück ist ein Laden mit altem Silberschmuck. Wir stöbern nach Herzenslust und tischen mutig auf dem Tresen auf, was uns gefällt. Angesichts der genannten Preise, die wir hier am Ende der Welt so nicht erwartet haben, vergeht uns aber der erste große Appetit und wir ziehen mit leeren Händen von dannen. Schon wieder. Besorgniserregend. Dafür essen wir bei guter Aussicht Icli Köfte und eine Spezialität aus Harput, ein hauchdünner (Strudel-)Teig mit Käsefüllung und darüber scharfer Joghurt-Knoblauchsosse. Wir wollen die Verhandlungen in unserem Schmuckladen für zwei zurückgelegte Teile wieder aufnehmen. Eine Mitfahrgelegenheit nach Elazig läßt uns aber kurzentschlossen den Berg herunterrollen, sodaß wir die Verhandlungen nicht abschließen können. Mine verbringt die Nacht im Kampf gegen die Mücken und mit dem Colognefläschchen auf der Bettkante (“es juckt, juckt, juckt”), wovon ich erst am nächsten Morgen berichtet bekomme. Sie mögen sie halt lieber.

22.6.09 Elazığ

Heute heißt es wieder abreisen. Nach dem gemeinsamen Frühstücken packen wir zu dritt die Koffer, auch Nihal muß packen, da sie nach Canakkale zu ihrem Mann und dem ersten Teil der Hochzeit dort am 7.7.09 fährt. Servet, ihr Schwager und ein anderer Verwandter holen uns ab. Die selbstverständliche und fast permanente Nähe (wenn der Schwiegervater nicht gestorben wäre, hätten wir jeden Tag gemeinsam verbracht) dieser liebenswürdigen Menschen strahlt eine Entschlossenheit aus, die dazu führt, sich halb behütet, halb bewacht zu fühlen. Nihal ist aber ganz unbekümmert und scheint das zu kennen und unbedenklich zu finden. Wir könnten das nur kurz ertragen. Alle bleiben bis unser Bus kommt und wir sicher verstaut sind. Die Busfahrt nach Elazig ist für das Auge wieder angenehm kurzweilig, führt wieder durch viele Berge, entlang an Seen und Flüssen. In Elazig fahren wir vom Busbahnhof zum Hotel Marathon. Gehen dann auf einen ersten Erkundungsgang durch die nette Stadt, essen und kaufen einen kleinen Rucksack für mich, da der alte den Geist auf gibt.

21.6.09 Solhan

Ein schöner Morgen. Wieder trinken wir Kaffee im Bett und lesen dabei über Elazig, unser nächstes Ziel. Eigentlich wollte Nihals Schwager uns zu einer Sehenswürdigkeit in der Nähe fahren. Heute ist aber plötzlich sein Schwiegervater gestorben und vieles muß erledigt werden und das Haus ist voller Gäste. Das geht natürlich vor. Wir machen stattdessen mit Nihal einen Spaziergang, der unmittelbar hinter ihrer Schule beginnt. Nach kurzer Strecke kommen wir in ein kleines Dorf, sehr schön gelegen zwischen den Feldern auf einem Hügel. Die alten Häuser sind urig. Ein Bauer kommt mit seinem Traktor und darauf seinen Helfern von der Arbeit nach Hause. Er läd uns freudig ein, mit ihm Ayran zu trinken. Wir lehnen dankend ab, wollen noch ein bißchen gehen und schlagen die Richtung über die Wiesen ein. Zwei Männer sensen im Gleichklang, schärfen alle paar Minuten das Blatt der Sense. In der Nähe steht ein Mann, den wir fragen, wo wir wieder auf einen Weg kommen werden. Er hat einen wenige Wochen alten Hund bei sich, den ich erstmal ausgiebig kraule. Er und ich, wir genießen das ungemein. Der Mann schickt seine beiden Jungen mit uns mit, uns den Weg durch die blühenden Wiesen zu zeigen. Der Hund folgt. Wir gehen entlang kleiner Pfade, begleitet von dichten Kricks und Hecken und langen Reihen alter Weiden, die einen Bach säumen, der durch die Wiesenlandschaft läuft und feuchte Senken hinterläßt. Es ist wunderschön hier. Die Jungen begleiten uns, bis wir in einen alten Dorfweg einmünden. Er ist gesäumt von ebenfalls Hecken und Bäumen, hier und da führt ein Gatter in einen Garten. Die Jungen verlassen uns. Zunächst zu unserer Belustigung, später mehr und mehr zu unserer Ratlosigkeit folgt uns der kleine Hund. Die Jungen bedeuten dem Hund den Weg hinter uns her und gehen rasch weg. Der Kleine ist fortan dabei, nichts kann ihn abschütteln. Arglos ist er und das Beste von uns annehmend, den Kraulern und Lächlern, die wir sind. Was machen wir nur? Seine kleine Hundeseele so finster hintergehen? Ihn abhängen und damit quasi aussetzen? Mine spricht eindringlich zu ihm und weist mit dem Finger zurück, beugt sich dabei runter zu ihm, die Hände auf die Knie gestützt und findet ihn auch süß. Ich weiß auch nicht mehr, was ich wünchen soll. Daß einen jemand, z.B. der Hund, vor vollendete Tatsachen stellt und fortan dabei ist? Wir Menschen gehen durch ein Gatter und schließen es hinter uns, er quält sich darunter hindurch. Wir sind ratlos, denn wir sind schon weit entfernt von seinem Heim gemessen an seiner Schrittlänge. Müde wird er auch. Wahnsinnig gern hätte ich Dich, höre ich eine Stimme in mir. Er kann nicht mehr mithalten, der Abstand zwischen ihm und uns vergrößert sich. Ihn einfach zurücklassen? Liderlich. Ich weiß schon nicht mehr ein noch aus, als er auf ein paar Kinder trifft die ihn auch süß finden und sich (hoffentlich) seiner annehmen und nachgiebige Eltern haben könnten. Kommen irgandwann wieder an der Schule heraus und Nihal ist begeistert von ihrer nahen Umgebung, die sie auch nach mehreren Jahren in Solhan nicht kannte. Gehen Eis essen im Ögretmenevi. Lernen dabei zwei ihrer Kollegen kennen. Danach kaufen wir ein fürs Abendbrot und holen Tickets für uns für den Bus morgen nach Elazig. Kochen gemeinsam Auberginensalat mit Knoblauch und Käsepide.