Dienstag, 7. Juli 2009

27.6.09 Elazığ

Die Fahrt von Divrigi nach Ilic (über Gedikbasi) ist wieder voller Natur und Stille und Berge, oft sind wir das einzige Auto weit und breit. Die Straße ist gut bis Ilic, wird dann schlechter und enger. Hinter Ilic sieht man weit unten im Tal den breit und träge und erdig braun dahinfließenden Euphrat in seinem großzügigen Bett. Plötzlich ist die Strecke gesperrt und man muß die ursprüngliche Straße umfahren. Wir erfahren später, daß hier aus einer staubigen Spur im Gestein 50 Tonnen Gold wurden. Jetzt sucht ein großer internationaler Konzern (Anatolia minerals) nach weiteren Vorkommen von Gold in der Gegend.

Wir winden uns langsam bergauf und fahren dann entlang eines atemberaubend engen Einschnitts zwischen den Bergen. Die Straße ist hier schmal, ohne Leitplanke, im Auto ist es still und konzentriert und gemeinsam gruseln wir uns bei dem Gedanken an Gegenverkehr. Wenig später öffnet sich der Weg in eine hügelige Hochebene. Wir halten an einer Cesme, einem Brunnen, am Wegesrand und wollen weiter an unserer großen Melone zu essen. Dort am Brunnen treffen wir eine junge Geologin und ihren Begleiter. Ihr Geländewagen steht am Straßenrand und sie wollen rasten und Mittagessen. Unser Hyundai Accent macht eine ganz schlechte Figur neben dem Geländewagen, scheint nur halb so hoch und halb so breit. Sie laden uns zum Essen ein und wir erzählen dabei ein bißchen vom Gold und was man dem kleinen Ort hier in den Bergen wünschen soll (weitere Funde oder nicht?), wer das Geld bekommt, wenn mehr Gold gefunden wird, wie viele Jahre man in der Regel so eine Mine ausschöpfen kann etc.? Wir erzählen auch, was wir weiter vor haben, welche Strecke wir nehmen wollen. Die Geologin rät von unseren Plänen nachdrücklich ab. Für die Strecke hinter Kemaliye über Cemisgezek nach Pertek bräuchten wir ein anderes Auto, große Höhenunterschiede, schlechte Straßen und das Wetter scheint heute nicht stabil. Ich kriege die Krise, denn jetzt ist man -wie so oft- wieder in der Zwickmühle. Gehört die Warnung zu der Kategorie der übertriebenen und unbegründeten türkischen Bedenken oder gibt es ein echtes Risiko und man sollte die Warnung ernst nehmen? Schimpfe ein bißchen mit Mine, sie soll nicht so viel fragen. Die Türken sind groß in magischem Denken und eher ängstlich, wenn es darum geht, sich in der Natur und außerhalb des bekannten Umfeldes zu bewegen. Wir hören so viele weit hergeholte kryptische Ängste und so viel unbegründetes Abraten, daß man oft Mühe hat, sich nicht verunsichert zu fühlen und man manchmal erst den Kloß im Hals loswerden muß, ehe man ohne Probleme tut, was man tun wollte. Hunde, die man nicht kennt, beißen oft. Seen, in denen man baden will, drohen fast immer mit Sog- und Strudelbildungen, die einen in die Tiefe reißen können. In den Bergen der Osttürkei ist die PKK, da kann man nicht hin. Überhaupt sollte man in den Osten des eigenen Landes nicht reisen, weil das gefährlich ist. Fremde heiratet man möglichst nicht, weil die häufiger schlecht sind als die eigenen Leute aus dem Dorf. Wir lassen die Sache mit unserer Route erstmal offen. Die Geologin ruft uns beim Losfahren hinterher, wir sollen das bitte nicht machen, die Strecke nicht fahren, sie würde die Gegend kennen wie ihre Westentasche. Da steht sie mit ihren Bergstiefeln und den Lupen um den Hals neben ihrem großen Geländewagen, der uns mittlerweile auch lieber wäre.

Die Straße ist zunächst weiter gut, es geht lange in Serpentinen runter in ein breites Tal, das dann zunehmend enger wird, bis steile Felswände rechts und links einen breiten braunen Fluß einmauern. In die Felswand gehauen läuft eine schmale Straße parallel zum Fluß. Kein Grün mehr zu sehen. Es ist diesig. Wir halten vor einem Tunnel, der in den Fels geschlagen ist. Bei der Fahrt durch den Tunnel tropft es von der Felsdecke auf das Auto. Auf der ganzen Länge des Tunnels sieht man den nackten Fels an Decken und Wänden, keine Pfeiler, keinen Beton. Hinter dem Tunnel kreuzen wir den Fluß über eine kleine Metallbrücke, dann kommt wieder ein Tunnel. Dahinter ist die Hälfte der Fahrbahn plötzlich verlegt durch große Steine und Felsbrocken, die offensichtlich aus der Wand stammen. Ein Schild fordert auf zu “Dur” (Stop). Wir trauen uns nicht, die Steine einfach zu umfahren, weil dahinter gleich eine Kurve kommt und man nicht sieht wie es dahinter weitergeht. Weit und breit kein zweites Auto und kein Mensch. Ich bleibe beim Auto und MIne geht los, den weiteren Verlauf der Strecke anzugucken. Endlich kommt uns doch ein Auto entgegen und wir fragen, wie es um die Straße im Verlauf steht. Kein Problem. Wir umfahren daraufhin das Hindernis und tatsächlich geht es bald normal weiter. Wir fahren immer bergauf. Unter uns wird der Euphrat immer breiter und wird offensichtlich wieder gestaut. Das Tal sieht schon bald aus wie ein stattlicher norwegischer Fjord. Steile Felswände, viel Wasserfläche und ein schmaler Streifen für das an den Fels gebaute Dorf Kemaliye, dem wir uns nach einigem Steigen nähern. Es ist ein wunderschöner Ort in toller Lage mit vielen alten Häusern. Es gibt sogar Möglichkeiten über nacht zu bleiben und ein bißchen touristsiche Infrastruktur (für den Inlandstourismus). Gerne wollen wir hier die Nacht verbringen. Um zu entscheiden, wie es am nächsten Morgen weitergeht, fahren wir aber erstmal weiter. Wollen mal sehen, was uns hinter dem Abzweig nach Baspinar und Cemisgezek erwartet. Dann können wir uns immer noch entscheiden, morgen über das sicherere Arapgir heimzufahren.
Die Fahrt bis zu der Aufzweigung ist so abenteuerlich für uns zarte, nicht bergerfahrene Fahrer, daß wir nicht nochmals zurückfahren wollen nach Kemaliye und uns auch zur Weiterfahrt auf dem sichereren Weg über Arapgir entschließen. Von der Strecke gibt es auch keine Fotos, weil der Blick auf der Straße klebte und Anhalten unmöglich war.
Wir wollen einen Berg hochfahren, mit dem Blick nehmen wir Maß an den Serpentinen, die sich den Berg hochschlängeln. Ein paar Windungen der Straße bergauf sieht man einen Mann mit einem großen, weißen geschulterten Sack, der bergan geht. Der helle Fleck seines Sackes bewegt sich rasch und glatt bergauf und wir gucken länger hin, ob nicht doch ein Esel mit der Last neben dem Mann hergeht oder er etwas neben sich herrollt. Nicht einmal bleibt er stehen und behält seinen schnellen Schritt unverwandt bei bis wir kurz hinter ihm sind. Keine Ahnung, woher er kommt, nix scheint in der Nähe, wo man hätte starten können und nix scheint in der Nähe, was aussieht wie ein Ziel. Als er unser Fahrzeug hinter sich hört, dreht er sich um und hebt die Hand mit gespreizten Fingern. Wir halten. Er will nach Arapgir und wir sagen er solle einsteigen. Der Kofferraum ist voll mit unseren Rucksäcken und er buggsiert den Sack und seine Tasche auf den Rücksitz. Mit seinem Setzen breitet sich der Geruch seiner unglaublichen Anstrengung schnell zwischen uns aus. Mine fragt, woher er kommt und was er in dem Sack hat. Er spricht nur gebrochen Türkisch. Er ist Kurde aus Diyabakir und wurde von einem Bekannten (als Tagelöhner) angeworben für eine Arbeit auf dem Bau hier in den Bergen. In dem Sack ist seine Matratze und sein Bettzeug und in der Reisetasche sicherlich ein paar Klamotten und sonstige Habseeligkeiten. Das Bild versetzt Mine in die Türkei vor 40 Jahren als viele arme Kurden aus Diyabakir nach Adana kamen, um dort als Landarbeiter und Erntehelfer in der Cukurova (fruchtbare Ebene zwischen Adana und der Mittelmeerküste, wo man drei- bis viermal pro Jahr Tomaten, Gurken, Zitronenan etc. ernten kann) zu arbeiten. Sie alle hatten so eine Bettstatt im Sack, die sie jederzeit ausbreiten konnten, um nach der Arbeit zu schlafen. Drei Tage hatte er jetzt schon dort gearbeitet und man hat ihm keinen Lohn gezahlt, deshalb ist er gegangen und will jetzt irgendwie zurück nach Hause. Er ist heute gestartet in Baspinar, was weit von unserem Treffpunkt entfernt ist und ist den ganzen Weg gelaufen, keiner hat ihn mitnehmen wollen mit dem Sack. Jetzt sitzt er bescheiden auf unserem Rücksitz. Mine muß sich auf die Straße konzentrieren und der Mann spricht nur sehr schlecht Türkisch, so daß wir schweigend durch die Landschaft fahren. Mine sieht im Rückspiegel ein paar ehrliche und bescheidene Augen. Ich biete dem Mann unsere Wasserflasche an und die Kekse, die wir im Auto hatten. Er bedankt sich und ißt langsam, fast ohne Geräusche und hat bestimmt nicht mal einen Krümmel fallen lassen. Man spürt etwas von der Kränkung, die es bedeutet, sich ohne den Lohn irgendwie nach Hause zu schlagen. Als wir fragen, wo wir ihn in Arapgir absetzen sollen, antwortet er “wo es möglich ist”. Als er seine Reisetasche umhängt und den Sack schultert, geht er wieder los mit ununterbrochenem und kräftigem Schritt. Bestimmt ist er ein ganz fleißiger und ausdauernder Arbeiter.
Nach so viel Einblick in das wahre Leben und die anstrengende Fahrt gehen wir zunächst in einen Teegarten in Arapgir. Kriegen zu dem Tee und Eis den Gartenschlauch und kühlen die Füße und Waden. Nach der Pause geht es weiter Richtung Keban. Auf dem Hinweg war die Landschaft so so schön mit dem in der Ebene liegenden Stausee umgeben von sanften Hügeln und inmitten von Kornfeldern und Wiesen und Gruppen von Bäumen. Jetzt liegt alles im Dunst und der Genuß ist nicht so groß. Gehen wieder gegrillte Forelle essen in Keban in der Nähe des Staudamms. Wir haben noch nicht die Forelle vor uns, da merken wir, daß der Euphrat bei weitem nicht so viel Wasser führt wie noch vor zwei Tagen als er ein imposanter blauer Fluß mit klarem Wasser und kräftiger Stömung war. Der Hahn ist abgedreht, die Brückenfüße ragen wie Stelzen aus dem Wasser. Bis wir die Forelle gegessen haben, ist aus der kleinen Sandbank eine große Sandbank geworden. Gluck gluck. Die schwimmende Forellenzucht ist in das verbliebene Wasser gezogen worden. Was für ein Eingriff in die Natur, wenn der Fluß über diese Ventile gebändigt wird. Dazu muß man wissen, daß wenige Kilometer weiter der Fluß noch einmal gestaut wird. Wir überlegen mit Einbruch der Dämmerung, hier für die Nacht zu bleiben. Der Opa des einen Kellners habe ein kleines Hotel über einer Bäckerei, heißt es. Wir müssen in dem kleinen Ort bestimmt sechsmal nachfragen, um es zu finden, weil die Wegbeschreibungen wieder unsäglich sind. Es ist voll. Probiert haben wir auch das Gästehaus des Staudammbetreibers und das Haus der Lehrenden (Ögretmen evi). Alles voll. Wir müssen also doch noch weiterfahren bis Elazig. Ganz erledigt kommen wir in Elazig an, finden unser Hotel im Dunkeln nur mit viel Verfahren und Nachfragen. Gehen wieder in unser Marathon Hotel. Als wir unser Auto vor dem feinen Viersterne-Hotel entleeren, um es in die Garage fahren zu lassen, türmt sich ein Berg auf dem Bürgersteig: die Rucksäcke, Bergstiefel, angeschnittene Reisenmelonen, sonstiger Proviant, CDs, lose Jacken. Wir kommen diesmal wie echte “Bitltourist” (Läusetouristen), so nennen die Türken die Rucksacktouristen. Ein bißchen peinlich.

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