Freitag, 17. Juli 2009
10.7.09 Erdemlı
Es fängt damit an, daß wir vom Strand heimkehrend nicht mehr schaffen, die Bohnen zu kochen. Essen nur eine Kleinigkeit kalt und duschen und gehen los, um einen guten Platz für das Konzert im Gartencafe von Flamingo 4 zu bekommen. Eine Gruppe aus Urfa wird spielen. Wir haben vor einigen Tagen die Plakate gesehen und heute im Meer schon den badenden Keyborder kennengelernt. Die Gruppe spielt also speziell Musik aus der Region Urfa, natürlich über die Liebe, die Heimat, das Essen, die Natur. Eigentlich singen die Urfa-Musiker im Chor, diesmal gibt es aber einen Sänger mit Mikro. Folgende Instrumente sind vertreten: Davul (große Trommel, von zwei Seiten mit Fell bespannt, die eine Seite wird mit einem kräftigen gebogenen Stock bespielt, die andere mit einer dünnen Gerte), Surna (Blasinstrument, ein bißchen wie Oboe, nur kürzer und keine Metallklappen), Geige, Darbuka (kleine Trommel, die man unter den Arm klemmt und mit beiden Händen spielt), Keybord, zwei verschiedene Saz (Seiteninstrument mit langem Hals, zupft man). Das Café füllt sich langsam und wir kommen in Stimmung. Bestellen Nagile und Pommes und knabbern Kerne und trinken was. An den Nebentischen wird die ein oder andere Flasche Raki bestellt und man lockert sich gebührend. Der Davulspieler steigt irgendwann von der Bühne und beginnt den Leuten einzuheizen. Um ihn kristallisieren sich die Tänzer, die ersten tanzen alleine mit Taschentücher in beiden Händen, dann bildet sich ein Kreis und ab geht es mit Halay. Ich gucke mir das ganze an. Schicke Mine vor, sie hält sich gut wie immer. Dann wird auf der Bühne begonnen die Kultmahlzeit aus Urfa zu bereiten: cigköfte. Die Männer knien auf der Bühne und kneten das rohe fein gehackte Fleisch mit Bulgur (Weizengrütze) und Gewürzen. Danach tanzen die Meister des Cigköfte mit ihren vollen Tepsis, was das Zeug hält zwischen den Tischen, um zu zeigen daß Cigköfte berit ist gegessen zu werden. Dann werden kleine Köfte gemacht und an den Tischen verteilt. Danach kocht das Blut erst Recht. Ich probiere es auch, finde es aber unerträglich scharf. Mine kann es scheinbar häppchenweise genießen. Ich wage mich irgendwann auch vor zum Tanzen. Die Musik ist ohrenbetäubend. Es ist ein einziges Zerren und Puffen und hitziges im Kreis Dahintreiben. Ich habe Mühe, den Schritt zu halten. Dazu abendliche Temperaturen von bestimmt noch 35°C. Inzwischen haben wir den Teil erreicht, wo man Musikwünsche äußern kann. Die Leute gehen vor und wünschen sich ihr Lied. Die Musiker spielen mehrere Stunden ohne eine einzige Pause (damit das Blut nicht runterkocht). Nach einigen Stunden bin ich fertig mit den Nerven. Meine Ohren wollen zugehalten werden. Ich komme dem nach, was Mines Stimmung nicht weiter anheizt. Die Musik dröhnt. Ich finde doch, daß die Türken Wilde sind. Ich erkläre Mine -halb im Spaß- zur Erläuterung meiner Verfassung, daß ich so langsam erwartet hatte, daß angesichts der guten Stimmung die ersten Schüsse fallen. Ich kenne das von Mines Musikkassetten. Wenn das Blut so richtig wallt, schießt jemand in die Luft, aus Übermut und Lebensfreude oder doch eher Leidenschaft und Heimatliebe). Ramazan hat später erzählt, die Gruppe käme jedes Jahr. Im letzten Jahr ist es tatsächlich zu Streitigkeiten gekommen, die sich an unterscheidlichen Liedwünschen entzündeten. Die Männer aus Urfa sind gehäuft Machos. Es gibt hierachisch organisierte Clans (Asiret) mit mafiösen Strukturen, hier gibt es Blutrache und Ehrenmorde und Familien, die Mitglieder in den Suizid zwingen. Ein für uns etwas bizarrer Ehrbegriff hat dort Raum. Jedenfalls hat einer der Beteiligten am Streit dreimal auf den anderen Mann geschossen. Unser Abend endete mit dröhnenden Ohren, aber deutlich friedlicher.
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