Wir gehen im Ort frühstücken, da es im Hotel nix gibt. Gerade gehen wir die Dorfstraße entlang, als unser Mann vom Vorabend aus einem Teehaus auf die Straße läuft und lauthals “Emine” ruft. Emine guckt sich kurz um, reagiert aber nicht und geht weiter. Ein bißchen zu distanzlos ist uns das.
Neben dem Burghügel, vielen schönen alten Häusern und einigen seldschukischen Gräbern sehen wir das Highlight der Stadt und sicherlich einen der baulichen Höhepunkte unserer Reise, die alte Ulu cami mit Darüssifa (Nervenklinik) der Stadt. Zu Recht ist der 800 Jahre alte Komplex UNESCO-Weltkulturerbe. Das ganze ist eine wunderbare bauliche Einheit, die Steinmetzarbeiten an den Eingängen sind handwerklich atemberaubend und höchst ungewöhnlich in der Gestaltung. Auch innen finden sich wunderbare Details an den Decken und herrliche Holzarbeiten an einer Tür und dem Mirhab. Wir sehen nur Einheimische, einen Japaner und zwei Franzosen während der Stunden unserer Besichtigung. Also noch ein Geheimtip. Wir sind begeistert wie von wenigem, was wir gesehen haben. Interessant ist auch, daß Nervenklinik und Moschee ein Gebäude darstellen. Die psychisch Kranken wurden hier behandelt, Besondere Musik, Vogelzwitschern und das Plätschern von Wasser sollten ihnen helfen, sich zu beruhigen. Wie schön man die Umgebung für sie gestaltet hat, wie ästhetisch. Auch hat man die Kranken aufgewertet durch diese Nähe zu der Moschee, diesem heiligen Ort.
Wir bummeln danach durch die Stadt, gehen in einem Restaurant gefüllte Paprika und Zuccini essen. Danach gehen wir erschöpft ins Hotel und machen dort einen Mittagsschlaf. Nach dem Erwachen fahren wir wieder raus, diesmal in Richtung Kangal. Bei Gewitterstimmung geht es hoch auf einen Paß (Karasar Gecidi), wo wir uns ins Grüne setzen und eine große Melone anschneiden. Sie ist wunderbar reif, reißt fast ein bißchen auf als Mine das Messer reinsteckt. Köstlich. Es fängt an zu regnen und wir fahren in wunderbaren, rasch wechselnden Lichtverhältnissen, zwischen Blitz und Donner langsam heim. Immer wieder halten wir und gucken das fantastsiche Lichtspiel an und fotografieren. Hören dabei eine CD aus dem Iran (Shajarian), die uns zudem in andere Sphären hebt. Verklärt von dem Naturschauspiel und der Musik erreichen wir die Stadt.
Halten, um ein paar Besorgungen zu machen und für morgen zu klären, wie wir aus der Stadt herausfahren müssen (Stadtplan haben wir nicht), um unseren Weg durch die Berge zu finden. Ich sehe und höre mir das Hin und Her zwischen Mine und dem Mann und den anderen, die dazu kommen und auch helfen wollen, eine ganze Weile an. Auch ohne ein Wort zu verstehen, spüre man die Sackgasse, in der sich alles bewegt. Es ist hoffnungslos. Es ist nicht möglich, daß ein Ortskundiger einem in Worten zu einer räumlichen Vorstellung verhilft. Wir müssen es einsehen. Bekommen aber Tee angeboten und man ist wieder äußerst liebenswürdig....
Am Abend sitzen wir auf der Terasse und wollen unser Mitgebrachtes essen. Wir breiten unser Küchentuch aus und beginnen Gurken zu schälen etc. Unser Mann vom Vortag versucht erneut eine Kontaktaufnahme, wir sind wieder nur sachlich und signalisieren keine Gesprächsbereitschaft. Er setzt sich an einen anderen Tisch und wir sehen aus dem Augenwinkel sein Agieren. Er spricht laut und raumgreifend mit seinem Gegenüber und man versteht auch von unserem entfernten Tisch das meiste gut, u.a. daß er aus der Gegend kommt und sie kennt. Mine bemerkt nach einigem Beobachten “ich wette, das ist ein Mensch vom Militär, irgendwas Höheres”. Wir rätseln, was für ein altes Bauwerk wir oben auf dem Berg in der Nähe der Burg von der Terrasse aus sehen. Unvorsichtigerweise fragt Mine den Mann danach als er an uns vorbeigeht. Jetzt ist das Eis gebrochen und er fragt, ob er sich zu uns setzten darf. Warum wir ihm gegenüber so distanziert waren gestern und heute morgen, wo er doch nur helfen wollte und uns mit rein brüderlichen Gefühlen entgegengetreten ist. Er ist ein bißchen gekränkt deshalb. Zudem bedauert er zutiefst und mit großer Eindringlichkeit, daß wir nicht vorher schon Vertrauen zu ihm gefaßt haben, er hatte vor, uns so viel in der Umgebung zu zeigen. Ob wir das auch wollen, fragt er gar nicht. Er möchte nicht, daß wir hinterher sagen, niemand hat uns in Divrigi bemerkt und sich um uns gekümmert. Das Gespräch vertiefte sich und wir erfahren, daß er tatsächlich beim Militär war, ein Commodore (?) auf einer Fregatte, mit der er 27 Jahre durch die Welt gereist ist. Jetzt war er seit gut 10 Jahren pensioniert, war aber erst 58 Jahre alt. Warum so früh pensioniert? Er findet, daß das reicht nach so vielen Jahren in der Fremde ohne Frau und Kind. “Nicht daß sie denken, ich hätte niemanden. In jedem Hafen hatte ich eine Geliebte, auch in Deutschland, sie hieß Margarete”. Er beschreibt Margarete: wie kann ein Mensch so blaue Augen haben und so blonde Haare. Also, er muß so an Margarete denken an diesem Abend, daß ihm die Nasenwurzel schmerzt (“burun diregi sizsladi”: ein wehmütiges, sehnsüchtiges Gefühl kann diesen ziehenden Schmerzan der “Nasensäule” oder sagen wir dem Nasenrückens oder der Nasenwurzel oder eben des Nasenbeins verursachen. Die Übersetzung ist nicht so ganz leicht, aber es ist interessant diese Empfindungsqualität dahin zu lokalisieren). Er betritt ein bißchen das Rührseelige und das Bedauern. Wir sind in Gedanken alle bei Margarete und den Fehlern, die man im Leben macht. Er ist ein ganz attraktiver, charismatsicher Mensch, der mit Inbrunst redet und gestikuliert und einem immer wieder auf den Unterarm tippt, wenn das Interesse zu erlahmen droht. Irgendwie ist er uns sympathisch in seiner weltmännischen Art, die auch ein bißchen jungenhaft und verloren ist. Er bedauert weiterhin sehr, nicht all die Touren in seinem Kopf mit uns gemacht zu haben. Wir bedauern das nicht so sehr, weil er so einnehmend und irgendwie anstrengend ist, er so viel Aufmerksamkeit braucht. Ja, das ist schwer, wenn man gewohnt war zu befehlen. Wir alle werden ein bißchen deformiert durch das, was wir lange gemacht haben und gewohnt waren.
Dienstag, 7. Juli 2009
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