Ramazan hat entschieden, daß der Besuch heute zurückfährt. So kommt es. Serife ist wieder früh auf, sie ist das gewohnt, weil sie um diese Zeit immer zu Hause im Dorf ihre Tiere versorgt. Ich verstehe. Jeden frühen Morgen und so auch heute füllt sie die Wohnung in Ermangelung ihrer Tiere mit ihrem bienengleichen, schwindelerregenden Fleiß. Nehmen wir den Balkon. Eine Türkin wischt den Balkon nicht, nein, sie wäscht ihn. Wenn möglich spritzt man ihn komplett mit dem Schlauch ab. Geht das nicht, tun es ein paar Eimer Wasser, die man auf ihm ausschüttet und dann wird mit dem Besen geschrubbt. Auf jeden Fall ist Saubermachen in der Türkei immer eine feuchte bis naße Angelegenheit. Also Serife wäscht den Balkon und wischt schon morgens feucht die Böden. Selten daß ich den Boden in der Toilette in den letzten Tagen einmal trocken gesehen habe. Hartnäckige Flecken, die bislang einfach akzeptiert wurden, sind plötzlich verschwunden und anderen wird gerade zu Leibe gerückt. Der Kalk im Wasserkessel fehlt auch. Der Tisch wird gedeckt, Kartoffeln gebraten (das ist lecker und so üblich in der Region Düze, aus der sie kommt). Sie ist nicht zu bremsen, findet nichts anstrengend. Die zwei Honige, die wir hatten, sind zusammengeschüttet, das freie Glas beherbergt jetzt den Pfeffer. Der Kühlschrank wird durchgeguckt und großzügig entsorgt, was nicht mehr absolut erscheint. Nach Serifes getanem Morgenwerk sitzen wir gemeinsam beim Frühstück. Als sie zuerst fertig ist, greift sie nach ihrem Teller, um den schon mal abzuräumen und weiterzuwirtschaften. Ich halte sie am Arm und bedeute ihr sich wieder zu setzen. Es geht nicht anders. Immer ist der kräftige Arm leicht feucht vom Feuer der Aktivität. Ramazan holt jeden Morgen eine pralle Tasche mit frischem Brot und Teilchen aller Art. Einwände von protestantisch geprägten Westfalen, daß kein Mensch so viel essen kann und man hinterher so viel wegschmeißen muß, verklingen gehört, aber können nicht berücksichtigt werden. Wir frühstücken also wieder königlich in großzügigem Saus und Braus.
Danach brechen die Gäste auf mit zehn Kilo frischen Zitronen im Gepäck als kleines Geschenk von Ramazan für zu Hause. Wir bleiben zu dritt zurück. Nach dem Abwasch und als die erste Maschine Wäsche läuft, setzten Mine und ich uns aufs Sofa und lesen und tippen ein bißchen. Ramazan ist bester Laune und pfeifft und will auf den Markt gehen, um zu gucken, ob es dort schon frische Feigen gibt. Er zieht los. Als er zurückkommt - bitte keine Einwände oder Zurückweisungen - verschwindet er in der Küche, räumt dort, rückt dann den Beistelltisch vor unser Sofa und serviert fröhlich ein riesiges Tablett mit frisch gewaschenem Obst: Kirschen (noch von Mines Mutter), Bananen aus Anamur, Trauben aus Side, Pfirsiche, Aprikosen aus Nigde, drei Sorten Pflaumen. Es sieht prächtig aus und wir machen Fotos auf dem Sofa mit dem Obst vor uns. Mine und ich genießen. Ramazan muß nochmals auf den Markt. Er kommt strahlend und schwitzend wieder mit zwei stattlichen Honigmelonen und vier Kilo frischem Fisch. Im Waschbecken machen sie eine gute Figur und wir hören nicht auf zu staunen und uns zu wundern angesichts des Lammfleisches, das wir noch im Kühlschrank wissen. Mine hat Hunger und Appetit auf Linsenköfte. Nur eine kleine Portion soll es werden. Ich meine, es fehle hier in der Küche mittlerweile die Übersicht. Mine fängt schon mal mit den Linsen an. Ramazan geht wieder los und will noch Petersilie besorgen zum Fisch. Er kommt summend wieder mit vier (!) Wassermelonen. Während ich noch an einer Pflaume knabbere, sehe ich mit eigenen Augen wie er die erste anschneidet zum Probieren. Salat hat er auch gekauft und Minze und viel, viel Rukola und noch Frühlingszwiebeln und etliche Paprika. Es soll niemandem der unter dem Dach seiner Gastfreundschaft lebt an irgendwas fehlen, vor allem fehlt es Ramazan nicht an Großzügigkeit und Fürsorge. Beklommen sehe ich dennoch, was unvermeidlich scheint und warte ab, ob sich das Knäul aus Lebensmitteln wieder entwirren wird. Ich weiß nicht, aber wenn ich mehr Essen sehe, als ich meine bewältigen zu können, macht mich das unruhig und ratlos und irgendwie traurig. Ich habe nie so ein Inferno von Eßbarem gesehen. Ich werde üblicherweise schon nervös, wenn Mine einen Weiß- und einen Rotkohl und vier Auberginen bringt. Meine Oma hatte immer Quark, ein Glas Apfelbrei, Butter, Dosenmilch und Scheiblettenkäse, wenn es hoch kam noch eine der kleinen Reinert Sommerwurst im Kühlschrank und eine angebochene Flasche Stonsdorfer für Gäste. Das wars. Kam man unerwartet zu Besuch, durfte man bei “Busekros” im Laden nebenan oder beim Bäcker oder Metzger holen, was das Herz begehrt. Aber das war gar nicht so viel, was das Herz begehrt. Beim Essen brauche ich etwas Übersicht, das ich es bewältigen kann, sonst kriege ich Schuldgefühle und Versündigungsgedanken, denn jeder weiß, daß bald schon das große Entsorgen kommt. Zugegeben es ist schwer und erfordert viel Durchsetzungskraft in diesem Land der großen Familien kleine Mengen zu kaufen. Der Wunsch nach 250g Gehacktem löst Unverständnis aus. Was kann man damit machen? So ist es aber auch, wenn man mir einen Strauß Petersilie gibt, den ich nur mit zwei Händen halten kann. Da weiß ich dann auch nicht weiter. Im übrigen gibt es bei Obst und Gemüse Preise für ein Kilo, zwei Kilo, drei Kilo, besser fünf Kilo. Weniger als ein Kilo, die man zum Abwiegen gibt, sind schwierig. Möglichkeit A: der Händler füllt von sich aus auf bis das Kilo voll ist. Möglichkeit B: er schenkt Dir die Ware, weil er sonst zu lange mit den kleinen Gewichten hantieren muß, um rauszufinden, was drei Zitronen wiegen oder weil er auch nicht weiß was 400g kosten, wenn 1 Kilo doch soundsoviel kostet oder er ist einfach großzügig und hält das alles für nicht der Rede wert. Aber ehrlich für die Bauern oder Bäuerinnen, die irgendwo ihren kleinen Stand haben ist Rechnen oft ein schmaler Grat.
Wir essen die leckere Köfte und nach dem Kaffee gehen Mine und ich an den Strand. Als wir wieder kommen haben wir zwei weitere große Honigmelonen dazubekommen, zugegeben sie riechen besonders gut und einen Beutel sehr saftige Birnen.
Wir braten die köstlichen Doraden (man muß ja irgendwo anfangen) und haben einen sehr vergnüglichen Abend.
Samstag, 25. Juli 2009
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