Donnerstag, 30. April 2009

30.4.09 Tatvan/Van

Nach dem Frühstück mit Internetrecherche zur Reiseplanung will ich in Tatvan zum Frisör. Wir brauchen einige Zeit, um einen Damenfrisör zu finden. Der Laden hat zu und wir stehen vor verschlossener Tür. Ein kleines Mädchen klingelt aber bei der Frisörin zu Hause an und sie kommt rüber, schließt auf und streift sich bereitwillig ihren Kittel über. Sie gibt sich viel Mühe mit ihrem ersten deutschen Kopf und ich bin irgendwann wie hypnotisiert von dem nicht enden wollenden Schnipp und Schnapp ihrer Schere. Mine unterhält sich angeregt mit ihr. Sie ist 32 Jahre und unverheiratet, was ungewöhnlich hier ist. Sie hat sich selbständig gemacht mit ihrem Salon und geht jetzt zur Abendschule, um ihr Abi nachzumachen und will später Jura studieren. Als das Werk vollbracht ist (ich stehe noch ganz unter dem Einfluß allzu ausführlichen Geföntseins) will sie kein Geld nehmen, bekommt es aber natürlich. Ich sehe ganz knabenhaft aus mit meinen kurzen Haaren, die ich gar nicht so kurz haben wollte (wurde abends in der Lokanta auf die Männertoilette geschickt. Peinlich erst für mich und nach Richtigstellung durch Mine auch für den Kellner). Wir hetzen danach zum Hotel, um unser Gepäck zu holen in der Hoffnung, den Bus nach Van um 13 Uhr nicht zu verpassen. Da er verspätet ist, warten wir im Endeffekt auf ihn. Wir fahren an der Südseite des Sees entlang. Der riesige See (fast 4000km2) ist wunderbar, touristsich ganz unerschlossen, das Wasser klar, blau und türkisfarben. Im Hintergrund schneebedeckte Berge. In Van gehen wir gleich in das Hotel Büyük Urartu Oteli, das sehr schön ist. Wir fahren nach dem Abstellen des Gepäcks sofort mit dem Taxi zum Bahnhof, um zu erfragen, wie es morgen mit dem Zug gehen könnt: jeden Freitag um ca. 19 Uhr kommt der Trans Asya Ekspresi aus Istanbul durch Van und fährt in ca. 19h nach Teheran. Gehen dann noch zum Otogar und fragen hier wegen eines Busses in den Iran. Jeden Morgen um 8:30 fährt das Unternehmen VanGölü von Van nach Orumiyeh im Nordiran (Provinz West Azarbeijan). Fahren wieder in die Stadt. Machen eine Erledigung in der Apotheke und fragen den Apotheker nach einer guten Lokanta. Seine Empfehlung ist super (Mavi Göl). Wir beginnen mit Almsuppe nach Van-Art (Yogurtgrundlage mit Kichererbsen, Reis und Pezik), dann kommt frischer Fisch aus dem Vansee (Vangölü baligi) und zum Nachtisch Tee und die sehr knusprige und süße Nachspeise Kadayif. Planen noch ein bißchen für unsere morgige Weiterreise, gemütlicher Abend und dann gute Nacht.

Mittwoch, 29. April 2009

28./29.4.09 Zug nach Tatvan

Das Frühstück war wunderbar. Danach gehen wir zum Bahnhof, um die Tickets für den Vangölü Express zu kaufen. Der Zug verkehrt zwischen Istanbul und Tatvan 2x die Woche immer Dienstags und Sonntags, 1900 km vom Westen in den Osten der Türkei, in nur 40 Stunden, wenn alles glatt geht. Der Bus ist sehr viel schneller, braucht nur so ca. 24h. Durch Kayseri gehen vier Zugtrassen, sodass hier mit ein bis zwei Zügen pro Tag zu rechnen ist, die den wichtigen (!) Bahnhof Kayseri passieren. Bereits beim Ticketkauf erfahren wir von der einstündigen Verspätung. Für nur umgerechnet 25 Euro pro Person mit Liegewagen bekommen wir ca. 22 Stunden Bahnfahrt. Wir gehen zurück zum Hotel und räumen das Zimmer. Gehen danach zum Hilton Hotel in der Hoffnung, deutsch- oder englischsprachige Zeitungen kaufen zu können. Die eine vorhandene englischsprachige Zeitung kaufen wir. Angesichts des noblen Hiltons fragen wir uns, warum wir uns mit Drei-Sterne-Hotels mit Zwei-Sterne-Toiletten begnügen. Wir kaufen Vorräte für die Fahrt, Brot, Pastirma (luftgetrocknetes Rindfleisch in einer Würzpaste (Cemen) aus Knoblauch, Paprika und Petersilie), Schokolade, Kekse, Äpfel, Apfelsinen, Knabberzeug, getrocknete Aprikosen, Yufkabrote und Eier noch aus dem Dorf. Der Zug, so erfahren wir, hat einen Speisewagen, aber wir sorgen dennoch vor. Trinken danach Tee im Park bei Wind und kühlem Wetter und lesen Zeitung bis wir frösteln. Dann schleppen wir unser Gepäck zum Bahnhof. Wir sind stolz, daß wir die 1,5 km Strecke problemlos zurücklegen konnten. Im Wartesaal sitzen schon viele Menschen und warten geduldig. Keiner fragt nach, wann der Zug denn endlich kommt und keiner sagt von offizieller Seite etwas zu der Verspätung und der zu erwartenden Ankunft des Zuges. Das schönste Bild im Saal: Ein alter Mann sitzt neben seiner häkelnden Tochter. Während sie in ein kompliziertes Muster mit aufgesetzten Blumen vertieft ist, liegt das dicke weiche Wollknäul auf seinen zusammengedrückten Knien. Ab und zu führt er geduldig den Faden, scheint ansonsten mit seiner ganzen gebeugten Achtsamkeit und der Hilfe seiner knorrigen Fingern das Knäul zu bewachen. Für uns alle kommt irgendwann der Zug, während es draußen schon kräftig regnet. Wir beziehen unser kleines Abteil, das mollig geheizt ist, ein kleines Waschbecken hat, zwei Sitzplätze und für die Nacht die beiden ausklappbaren Betten. Wir sind ganz glücklich. Der Zug rollt an und wir sitzen und gucken in die wunderbare Landschaft, die am Fenster vorbeizieht. Es regnet noch ein bißchen, die Wolken hängen dunkel und tief, aber dazwischen scheint an einigen Stellen schon wieder die Sonne. Eine sehr schöne Stimmung mit interessanten Lichtverhältnissen. Im Zug sind nur wenige Leute und die Fahrt geht so langsam, daß wir manchmal fast meinen, neben dem Zug herlaufen zu können. Für das Gucken ist das aber wunderbar. Auf unserer Türkeikarte verfolgen wir, woher wir fahren. Die Streckenführung ist sehr alt und geht durch oftmals fast menschenleeres oder zumindest sehr dünn besiedeltes Gebiet. Hinter Kayseri fahren wir entlang des flachen Tuzla Gölü (einem See) und folgen dann lange und immer wieder dem breiten Fluß Kizilirmak, der sich durch die Landschaft schlängelt und gesäumt ist von Bergen. Ab Sivas folgt die Strecke dem Fluß Tecer Irmak. Wir machen kein Licht im Abteil und sehen wie die Dämmerung kommt. Lange schon scheint die Landschaft im Dunkeln zu liegen, aber der Himmel hat noch viel Helligkeit, ohne daß er die Landschaft mehr beleuchtet, nur für ihn reicht sein Licht. Hell glänzt der Fluß und die Pfützen und ein bißchen auch der ein oder andere weiße Stein, eine Spiegelung, alles andere versinkt mehr und mehr im Dunkel. Kaum Fremdlicht ist zu sehen. Selten haben wir so unbeirrt verfolgt, wie die Nacht kommt. Irgendwann brachte uns der Schaffner eine Kanne Tee, nachdem sich zu unserem Bedauern herausstellte, daß es keinen Speisewagen gibt. Das war wunderbar. Der Schaffner ist ein netter Mensch, er hat am Beginn seines Schlafwagens ein Abteil, in dem er haust. Er hat einen Gaskocher, einen DVD-Spieler, immer steht Mezze auf dem Tisch und sauer Eingelegtes und er scheint immerzu Raki zu trinken, was ihn aber nicht sichtbar beeinträchtigt. Irgendwann bauen wir das Bett und legen uns hin. Der Sternenhimmel fällt erst so richtig aus dieser Perspektive auf und wir genießen ihn lange in seiner Pracht. Irgendwann vor Hekimhan schlafen wir ein. Als wir früh am nächsten Morgen wach werden ist der erste größere Halt Elazig. Im frühen Morgenlicht ist die Landschaft wieder ein echter Blickfang und vertreibt die Müdigkeit. Noch auf der Bettkante sitzend, lassen wir uns nichts entgehen. Hinter Elazig kommt wieder eine Seenlandschaft und dann folgen wir dem Fluß Murat Nehri durch ein enges Tal und endlose Tunnel. Der Zug fährt wieder sehr langsam. Zweimal sehen wir abgestürzte verbeulte Wagons am Fuße der Böschung (angeblich von Bomben der PKK). Überhaupt mehren sich im Osten dann die Militärposten. Zwischen Sandsäcken stehen die jungen Soldaten und halten Wache und winken dem Zug zu. In einem Dorf namens Beyhani hält der Zug und macht keine Anstalten weiterzufahren. Wir erfahren, daß die Strecke vor der Weiterfahrt erst kontrolliert werden muß, da es in einem kurdischen Nachbardorf schon mal “Ärgerlichkeiten” gegeben hat. Wir steigen aus, machen Fotos und gehen schließlich Tee trinken in einem benachbarten Café, in dem alle kurdisch sprechen. Ich behalte den Zug im Auge, dessen Türen alle offen stehen, während Mine beruhigt meint, “die fahren nicht ohne uns”. Mine geht schließlich in einen Laden in der Nähe und kauft Brot und Tomaten und Gurken, weil unsere Vorräte sich neigen. Ich bewache den Zug und versuche Mine anzutreiben als die ersten Türen des Zuges schließen und alle schon im Zug sind. Wie immer ist das schwer, ihr Beine zu machen. Mit Tee im Zug ist heute schlecht, die Gaskartusche von unserem Conductör ist leer. Er nippt im übrigen schon wieder an seinem Raki und ist guter Dinge. Auf meine Frage, wann wir in Tatvan wohl ankommen, antwortet er “Euch gehts doch gut”. Wir schaffen es, an diesem Tag nichts anderes zu machen in diesem Zug als am Fenster zu sitzen oder auf dem Gang zu stehen und Ausschau zu halten. Der Tag ist mild und sonnig und wir haben das Fenster meist auf. Wir sehen viele Störche zu Luft und an Land, Reiher und viele andere Vögel. Hinter Mus läßt uns der Schaffner an einem Bahnhof aussteigen und vorlaufen zu Lok. Wir klettern auf die Lok und sitzen bis Tatvan bei den Lokführern und trinken Tee und gucken. Wir fahren über eine riesige fruchtbare Hochebene mit kleinen Dörfern und Hirten mit ihren Herden und schneebedeckten Bergen im Hintergrund. Einmalig schön. Die zahlreichen Tunnel sind eng und haben hier nie eine zweite Röhre. Wir fahren in immer neue schwarze Tunnel, die sich auch im Licht der Scheinwerfer der Lok nicht wesentlich erhellen. Man sieht hauptsächlich die Tropfen, die wie Regen von den Decken fallen und im Licht aufleuchten als wenn es schneite. Viele der Tunnel stehen jetzt auf freier Fläche, wegen Schneeverwehungen im Winter von beträchtlicher Höhe. Auch im Winter wird die Strecke befahren, Die Lok hat dann sowas wie einen Pflug vor sich. Mehrfach fliegen blaue Eisvögel neben uns auf und begleiten uns. Nach nur 24 Stunden erreichen wir Tatvan und laufen dann zu Fuß in das Hotel, in dem wir auch vor sechs Jahren schon waren: Hotel Kardelen. Gehen dann essen (Lahmacun und gegrillten Lammspieß). Wir haben ab und zu einen leichten Schwindel, was noch von der Zugfahrt kommt. Auf dem Rückweg probieren wir bei einem Straßenhändler Yayla muzu (Almbanane), ist ein bißchen wie roher Rhabarber, soll sehr gesund sein.

27.4.09 Kayseri

Heute brechen wir tatsächlich aus dem Dorf auf und es fällt uns schwer, damit das Heimischsein an einem Ort erstmal wieder aufzugeben. Den ersten Tag wieder mit Wecker erwacht und auch gleich unruhig geschlafen wegen des Aufbruchs. Mines Mutter hatte bereits Brot und unser geliebtes Tahinli (Hefeteig mit viel Sesampaste aus geröstetem und gemahlenem Sesam und dem dazu gehörigen Sesamöl, schmeckt herlich nüssig) geholt und Tee und Eier gekocht. Wir frühstücken schön mit Mines Mutter. Die Verabschiedung an der Haustür mit Hinterhergucken und Winken bis man um die Kurve ist. Vieles kann sie nicht mit Worten zum Ausdruck bringen. Wir klingeln kurz bei Hüri und ihrer Mutter, um uns zu verabschieden, Die Mutter rappelt sich hoch und.winkt am Fenster. Hüri ist wider Erwarten noch da und nicht in den Gärten, bittet uns, ihre Ziegen mit den Jungen noch zu fotografieren und anzugucken. Sie hat eine richtig kleine Herde, die bald mit dem Dorfhirten in die Berge kommt. Wir gehen mit ihr um ein paar Ecken zu dem kleinen Stall und sie läßt die Ziegen raus, die gleich über die halb verfallenen Wände der alten Nachbarhäuser auf das alte Lehmdach klettern und dort ein bißchen fressen. Machen Fotos von Hüri mit kleiner Ziege im Arm und sie freut sich, dann Abschied auch von ihr. Haben wegen der Fotos den einen Bus nach Ulukisla verpaßt und gehen schon ein bißchen die Straße entlang, um nicht sitzend zu warten. Winken auf dem Weg Ali zu und Özkan und treffen später noch Hasan und Fadime zum kleinen Plausch. Fahren mit dem Dorfbus dann nach Ulukisla und von dort nach Nigde. Der Dolmus ( Minibuss ) war schnell voll und es wurden einige Hocker dazu genommen als Sitzplätze im Mittelgang. Die Menschen finden das nicht ungerecht oder ärgerlich, nehmen ihre unbequemen Plätze ein und wir fahren durch wunderbare Lanschaften. Sehen auf dem Weg ein Meer von gelben und lila Blumen und im Hintergrund die schneebedeckten Berge, erst die Kette des Bolkar-Gebirges (gehört zum Taurusgebirge), dann die Aladaglar, dann -schon bei Nigde- die Melendiz und Hasan Dagi. Alle haben noch viel Schnee und sind ja auch alle über 3000m hoch. Dazwischen die blühenden Ebenen und ganz viele Störche, die über die Wiesen schreiten. Steigen in Nigde um in den Bus nach Kayseri, das im Schatten des schneebedeckten Erciyes (fast 4000m hoch) liegt. Suchen dort ein Hotel (Hotel Asberlin) und gehen dann in die Stadt, die uns unerwarteterweise sehr gut gefällt. Viele Gebäude aus seldschukischer Zeit, ein schöner Basar, eine Zitadelle, mehrere Karawansereien und Moscheen. Neben den historischen Bauten sieht man eine große Zahl an modernen Krankenhäusern aller Größen und Polikliniken und eine moderne, blinkende, wohlhabende und gepflegte Stadt mit großen Plätzen und breiten Straßen. Nahbei ist ein großer Militärflughafen und die großen Propellermaschinen fliegen beeindruckend tief über uns hinweg. Wir sehen ein altes Gebäude, das wir für eine alte Synagoge oder Kirche halten. Wir gehen drum herum, ohne ein Schild zu finden, worum es sich handelt. Ein Mann lädt uns ein hineinzukommen und wir sehen eine alte armensiche Kirche zwischen deren bemalten Säulen eine Gruppe Judoka trainieren. Das ganze ist mittlerweile eine Sportstätte für alle möglichen Sportarten. Man kann nur staunen, wie schnell sich das Angesicht der türkischen Städte wandelt. Wie ist das möglich? Ob die Türkei dazu einen namhaften Anteil ihrer Sustanz, z.B. der fruchtbaren Böden verkauft hat (man hört das ja immer mehr, das einzelne Konzerne z.B. Benneton riesige Ländereien z.B. zum Baumwollanbau kaufen, aber auch Länder, die Böden brauchen um ihre Bevölkerung zu ernähren, z.B. Japan). Wir kaufen auf dem Basar schon mal eine Tunika für Mine und mich als Grundausstattung für den Iran, der uns ja verhüllt will.
Gehen dann essen. Unterhalten uns dabei über die noch vor uns liegenden Monate und wie wir sie füllen wollen und können. Immer wieder einmal müssen wir uns die Sinnfrage bezüglich des Reisens stellen. Besonders abends sucht -mich mehr als Mine- manchmal ein diffuses Besorgtsein heim, keine Angst aber ein Unbehagen, eine angedeutetes Gefühl von Heimatlosigkeit. Diese vielen freien vor uns liegenden Tage müssen wir ja erst mit Inhalt und Sinn füllen.
Wenige Augenblicke sind einem ja die liebsten und ein echtes Anliegen, das man suchte oder mit dem man überrascht wird. Gestern abend hat Mine den Floh gefunden, der unsere perönliche Gegenwart ausgenutzt hatte, um ein paar dutzendmal zuzubeißen. Das war natürlich ein wunderbares und erfreuliches Erlebnis und ein echter Gewinn, ihn loszuwerden, aber wir wären prinzipiell auch ohne den Floh ausgekommen. Mine fand ihn schon ein bißchen lebensmüde und geschwächt, er war langsam und konnte uns nicht mehr entwischen.
Die Bettkanten in den Hotels, auf denen man abends hockt und überlegt, was jetzt der nächste Schritt sein kann, sind auch Oasen, die uns oft nicht wirklich erfüllen. Grauenvoll angewiesen sind wir in unserem Wohlbefinden von der Frage, ob die Laken wirklich weiß, d.h. sauber sind und was für einen Eindruck das Bad macht und wie alt der Teppichboden im Zimmer wohl ist, den wir sowieso überflüssig finden. Solche Randnotizen werden wichtig, ohne daß man das in dem Maße will, kann sich aber nicht richtig dagegen wehren. Dies nur ein paar Beispiele, wie es ab und zu um uns steht. Für dieses Mal schliefen wir gut in unseren weißen Laken.

Samstag, 25. April 2009

24.4.09 Dorf

Wir schlafen mittlerweile wie die Bären, 10 Stunden sind nix. Nach spätem Frühstück erste und bald zweite Auseinandersetzung mit Mines Mutter. Wir suchen das Weite. Gehen bei dem regnerischen und kalten Wetter zu Özkan ins Internetcafe. Er erzählt seine Mutter sei krank, hätte einen Asthmaanfall gehabt und sich noch nicht richtig erholt. Schon kommt sie mit einem Beutel Medikamente zu uns, ein zu injizierendes Antibiotikum und ein zu injizierendes Schmerzmittel. Ob ich ihr das spritzen könne? Wir lesen erstmal in den türkischen Beipackzetteln, worum es sich handelt (die Medikamente heißen ja nicht wie bei uns). Meist versteht man ja doch ein bißchen. So richtig begeistert bin ich nicht von der Idee. Es stellt sich heraus, daß es die Medikamente der Oma sind. Wir bieten Özkans Mutter von unseren Paracetamol an, was gegen ihre Gliederschmerzen geeignet und harmlos erscheint Ob ich denn der Oma ihre Medikamente spritzen könnte? Ich willige ein. Hoffentlich ist sie nicht so dünn, denke ich, wenigstens ein bißchen was sollte an dem Mütterchen dran sein für so eine dicke Sprize in den Po. Wir gehen rüber zu Özkans Oma (83Jahre), die auf dem Sofa sitzt. Weitere vier Frauen unterschiedlichen Alters sitzen mit in dem engen Raum. Wir werden herzlich begrüßt und geküsst. Wozu die Oma das denn bekommen soll? Sie soll sich 15mal das Antibiotikum und das Novalgin spritzen lassen, laut Arzt. Nach den Spritzen könne sie für kurze Zeit immer viel besser laufen. Mmh. Die Oma ist höchstens noch 1,40m groß und hat sicher eine dicke Hüftarthrose. Die Indikation für die Spritzen bezweifeln wir nicht weiter, wo sie doch so gut zu helfen scheinen. Die süße Oma manövriert sich auf den Boden. Selten einen so runden und kräftigen Po bei einer Greisin gesehen. Wirklich. Keine Falte, tadelloses weiß. Mine und ich sind beeindruckt. Wir fragen höflich, ob die anderen nicht rausgehen sollen. Nein, braucht nicht. Geben die Spritze vor dem Publikum. Die Oma findet alles gut. Dann wird Tee gekocht. Ein alter Mann kommt, der Ehemann und Vater von zwei der anwesenden Frauen. Er hat Fragen wegen seiner Rente aus Deutschland. Er ist mit Mitte dreißig (1971) nach München gegangen, hat dort auf dem Bau gearbeitet. Seine Familie hat er nicht nachkommen lassen, hat zu Frau und Töchtern gesagt, “ihr paßt nicht nach Deutschland, die haben da Rolltreppen, die Menschen bewegen sich dort ganz anders als hier. Ihr seid Steine und Grümpel gewohnt und mit sowas Feinem kommt ihr nicht klar”. Er hatte Angst, daß seine Töchter in Deutschland unter die Räder kommen, nachdem er die jungen, geschminkten, lockeren deutschen Frauen gesehen hat. Dann passierte ein Unglück, der Ehemann der Tochter erschlug diese offensichtlich. Der Vater kehrte daraufhin in die Türkei zurück und erholte sich nie mehr ganz von dem Schock und der Trauer. Er brachte es nicht über sich, wieder nach Deutschland zu gehen (war damals ca. 50 Jahre alt). Nach 2 Jahren zahlte man ihm die Rente aus mit 36.000DM und er kaufte ein bißchen Land und lebte davon im Dorf. Alle zwei Monate erhielt er dennoch ca. 100Euro, die jetzt schon länger ausgeblieben waren. Anhand der Papiere, die er mitgebracht hatte, konnten wir nicht rekonstruieren, was das für Geld war und warum die Zahlung ausblieb. Alle mochten uns dennoch sehr und der Mann schlug vor, ein bißchen Fleisch zu holen “und es für die beiden zu braten”. Wir lehnten dankend ab, weil wir weiter wollten. Verabschieden uns höflich und mit vielen Küssen. Immer wieder sind wir beeindruckt und gerührt wieviel Sympathie und Aufmerksamkeit uns geschenkt wird, ohne daß wir dafür etwas geleistet oder uns das erarbeitet haben. Das ist wirklich besonders hier. Die Menschen freuen sich einfach, daß man gekommen ist und ein bißchen was Neues brachte und ihnen interessiert begegnete. Das alles geht natürlich nur, weil Mine die Sprache spricht, sonst würde uns viel Liebenswürdigkeit verborgen bleiben. Gehen zu Özkan. Dort unterhält sich Emine lange mit der Schwester von Özkan. Sie ist geschieden, lebt wieder im Elternhaus, schwimmt dort so mit, hilft hier und da im Haushalt und kommt für sich zu nichts. Auch sie kann sich wie so viele junge Menschen in der Türkei nicht abgrenzen, sich nicht besinnen auf sich und die eignen Ziele. Es ist die Kultur, immer verfügbar zu sein für den, der anklopft und sei es weil der Langeweile hat. So kommt kein Mensch zu irgendwas. Mine hört geduldig zu und gibt ihr ein paar Ratschläge und sie bedankt sich sehr für das Gespräch. Wir wurschteln mit ein paar Mails und dem Blog bis wir durchgefroren sind und gehen dann Heim. Noch beim Abendessen klingelt der erste Besuch für den Abend.

Freitag, 24. April 2009

22.4.09 Dorf

Wir sind heute mit Hüri verabredet, wollen mit ihr in die Berge. Ob sie wohl wirklich ihre viele Arbeit unterbricht und mit uns loszieht? Während wir frühstücken kommt sie tatsächlich, sie habe einen Esel besorgt und andere Vorbereitungen gemacht. Wir sollen für das Picknick nur noch Brot und Zucker für den Tee mitbringen, für alles andere sorgt sie. Wir sind noch nicht fertig und es wird besprochen, daß sie noch eine Stunde in einem ihrer Gärten arbeitet und wir sie dort abholen. Die Leute hier haben in der Regel mehrere Gärten, die in einer der Himmelsrichtungen in unterschiedlicher Entfernung zum Dorf liegen. Ich höre, wie sich Mine und Hüri lange verständigen und sehe sie Richtung Berge zeigen und gestikulieren über rechts, links und die Mitte. Die Beschreibung könnte im Rückblick beinhaltet haben: zum Dorf raus, der Fluß rechts, links der Berg und hoch, das Haus dort drüben und “dahinter” und “ihr seht mich schon”. Wir gehen los. Es fängt an zu regnen und wir stellen uns kurz unter. Später erneute Tropfen ohne Möglichkeit sich unterzustellen. Wir gehen weiter durch endlose Gärten mit Kirschen, Wallnüssen, Maulbeerbäumen, Wein, Äpfeln und rufen nach Hüri und lauschen auf einen Esel und fragen andere Leute in den Gärten nach Hüri. Von Hüri keine Spur. Wir wollen den Fluß queren, der recht viel Wasser führt wegen der Schneeschmelze. Schnell finden wir eine geeignete Stelle und ich springe von Stein zu Stein rüber. Wir versuchen es an dieser und vielen anderen Stellen für Mine mit ausgestreckter Hand und Entgegenkommen und Zureden und “Guck nicht runter”. Mine macht keine Anstalten zum Sprung. Bestimmt sind die Steine (der von dem man abspringt und der auf dem man landet) rutschig und ihre Beine sind viel kürzer als bei mir. Ich sehe Mine mal ratlos, mal sich sammelnd, mal Steine schleppend und in den Fluß werfend als weiteren Halt für einen der Füsse. Auch die richtige Brille wird über den Fluß gereicht, damit das Auge die richtige Entfernung zum Sprung erfassen kann. Ich springe hin und her über den Fluß und versuche weiteres mit Locken und Bestärken und das “Gibt es doch nicht” und “Jetzt spring halt mal”. Es endet in völligem Entnervtsein auf der einen Seite des Flusses bei Mine und auf der anderen Seite bei mir. Ich versuche es weiter mit “Dann spring halt rein in den Fluß” und “was soll schon passieren, außer das du naß wirst”. Ich spüre eine gewisse Ausweglosigkeit und auch leichten Ärger. Ich zeige es noch ein letztes Mal wie es geht, springe leider etwas zu kurz und lande im Fluß, vom Stein nach hinten gerutscht. Ich bin ein bißchen sprachlos und Mine auch angesichts der Entwicklung, die die Ereignisse genommen haben. Gehe aus dem Wasser und öffne die völlig nassen Bergschuhe, um das Wasser auszugießen und die Strümpfe auszuwringen. Bei Mine ist das Eis jetzt gebrochen, sie zieht Schuhe und Strümpfe aus und watet auf die andere Seite. Wir ziehen beide auf der vermeintlich richtigen Seite des Flusses die Schuhe wieder an und gehen sprachlos weiter, Hüri zu finden. Mine stolpert und haut sich das Knie auf. Wir beenden die Suche in einem der Gärten des Onkels, legen uns in die Sonne und essen jeder Brot und schweigen ein bißchen. Ich erinnere mich, wie häufig mich diese rudimentären Wegbeschreibungen von Türken schon in die Irre geführt haben. Oft. Sie sind nie systematisch und geben keine Vorstellung vom Raum und seiner Ausdehnung und den markanten Punkten. Vielleicht reichen sie für Vögel, die von oben das Ziel sehen, schon lange bevor sie davor stehen. Für Menschen sind sie ungeeignet. Gehen dann zurück zum Dorf. Klingeln auf dem Rückweg bei Hüri: sie war bei dem ersten Regen zurückgegangen und wir haben uns verfehlt.

21. - 24.4.09 Dorf

Wir kommen nicht so richtig nach mit dem Erzählen.Aber das Dorf ist natürlich kein touristisches Ziel, sondern in erster Linie Mines türkische Heimat und der Ort, an dem ihre Mutter lebt. Für uns beide ist es ein Ort voller Geschichten und Gesichter, die wir kennen und immer wieder sehen und von denen Mines Mutter in den Zwischenzeiten erzählt. Von vielem hier zu berichten ist schwierig ohne die Zustimmung der betreffenden Menschen und es ist ein bißchen grenzüberschreitend.. Für mich ist es jedesmal eine sehr interessante Welt, die mich staunen läßt, in der ich ein entspannter und willkommender Betrachter bin, wobei meine Möglichkeiten einzugreifen gering sind.

Da gibt es einmal die vielen Geschichten von denen, die ihr Glück im Ausland gesucht haben, die Jahrzehnte in Belgien, Holland, Frankreich und Deutschland verbracht haben, deren Kinder dort zur Welt kamen, aufwuchsen und nicht selten dort verblieben, während die Eltern -alt geworden- zurückkehrten, um hier ihre Heimat und ihr Erspartes zu genießen. Sie bauen Häuser für Familien, die längst über Kontinente verstreut sind. Sie sind konfrontiert mit Neidern und deren Begehrlichkeiten, aber auch einem sozialen dörflichen Gefüge, daß sie mit aus den Angeln gehoben haben. Sie waren lange unterwegs und kommen nicht mehr richtig an und wandern zwischen den Welten und nicht immer können sie die Vorzüge der einen in die jeweils andere Welt retten. Sie kamen auch nicht selten zurück mit eine anderen Vorstellung von Fleiß und Tagwerk. Wir denken da an den Freund Sami des Schwagers von Emine (Freund des Ehemannes der Schwester Ayse), der sich während eines Spieles von Galatasaray Istanbul gegen Schalke in Gelsenkirchen nach Deutschland absetzte, indem er einfach den Rückflug nicht mehr antrat und Asyl beantragte. Nach seiner Arbeitserfahrung in Deutschland (damals durften Asylbewerber arbeiten) kehret er in die Türkei zurück mit den Worten, “wenn ich in der Türkei so viel arbeiten würde wie in Deutschland, würde ich auch in der Türkei ein reicher Mann werden” (er ist auch dann auch reich geworden in der Türkei, aber nicht durch Arbeit sondern durch krumme Geschäfte, er hat die Gelder seines Chefs veruntreut, d.h. zu seinen Gunsten verwaltet).

Dann gibt es diese wunderbaren alten kleinen Frauen, die in einer unübersichtlichen Anzahl von Stoff- und Strickhüllen stecken und neben den Öfen ihrer Wohnzimmer trocknen und das Leben von hier verfolgen, die irgendwie Redlichkeit ausstrahlen und nie schlecht riechen, wenn man sie drückt, um dabei festzustellen, daß nicht mehr viel dran ist an ihnen. Man denkt nicht selten, sie zögen keinen Hering mehr vom Teller und dann sieht man sie am nächsten Tag vor dem Haus in der Sonne auf einem Kissen sitzen und Holz schlagen für den Ofen. Ihre Stimmen sind brüchig und scheppernd und ihr Lachen auch, das Kauen ist schwierig. Sie sind freudig über jeden Besuch und großzügig mit ihren Gesten. Viele dieser alten Mütterchen sind erstaunlich beweglich und fit, meistern ihr Leben, sammeln Kräuter und Pilze, kochen Marmelade, sammeln Nüsse auf und haben immer einen Vorrat von diesem und jenem und geben eine Handvoll davon ab.

Viele Kinder sehen wir, die sich selbständig und findig in ihren nicht immer durchgängig behütenden Verhältnissen bewegen. Sie sind meist sehr gut erzogen, hilfsbereit und freundlich und ehrlich und bescheiden.

Es geht für viele im Dorf darum, das Leben immer neu zu meistern, besonders in finanzieller Hinsicht. Die hierfür beschrittenen und beschreitbaren Wege sind für uns oft unübersichtlich. Unser Nachbar Ismael, mit dessen Familie Mines Mutter befreundet ist, arbeitet fleißig hier und da in den Gärten, beklagt aber, oft nicht wie versprochen gleich sondern irgendwann bezahlt zu werden und dann ist für ihn und seine Frau und die drei Kinder halt nix da für das tägliche Leben und man muß selbst für Brot und Zigaretten (das wichtigste halt) anschreiben lassen. Viele Sicherheiten, Rücklagen und Absicherungen fehlen und scheinbar oft auch Alternativen, die man wählen könnte, damit alles besser läuft. Man muß besorgen und beschaffen und auch annehmen, was andere einem geben und die daraus entstehenden Abhängigkeiten dafür in Kauf nehmen. Viele junge Leute schaffen es nicht, sich um ihr Wohl, ihre Ausbildung, ihre jungen Partner und Kinder zu kümmern und unterstützen mit dem, was sie haben, ihre Primärfamilien in einem Maße, das ihnen nicht erlaubt, ein eigenes Leben zu planen und aufzubauen. Die Geschwister und Eltern und Nichten und Neffen, die da von einem der Arbeit hat, versorgt werden, nehmen das oft hin oder fordern es auch oder vielleicht weiß auch jeder nur, daß es anders nicht geht.

Es existierten unglaublich starke Abhängigkeiten unter den Menschen hier, besonders innerhalb der Familie aber auch außerhalb. Man überblickt nicht immer, woraus sie sich speisen. Da wohnt über den ganzen Winter eine Tante von Ismael bei der Familie. Sie, geht einfach nicht mehr heim und genießt das Versorgtsein, obwohl hier eine ganze Familie abends in dem einzigen beheizten Zimmer schläft und die Kinder dort Schularbeiten machen und vielleicht auch noch die Wäsche trocknet. Von ihrer guten Rente aus Deutschland gibt sie nix ab und die Familie ist arm, lebt mehr schlecht als recht von dem was Ismael in den Gärten der Dörfler als Tagelöhner verdient, wenn er nicht gerade im Alkohol versinkt. Sie genießt das Umsorgtwerden und keiner kann ihr über Monate sagen “Geh jetzt mal Heim oder gib doch was dazu zum Leben hier”. Es ist eben dieTante...
Und eine hart arbeitende Frau, ganz emanzipiert wirkend, unsere Hüri (sie ist hier die Knocheneinrichterin im Dorf zu der alle gehen mit ihren Verstauchungen und Prellungen und Knochenbrüchen, sie hat Ziegen und ihre Gärten), wird mit über 40 Jahren einem Mann durch ihre alte Mutter versprochen, die hinter dem Ofen sitzt. Hüri spricht drei Monate nicht mit ihrer Mutter vor Entrüstung und Traurigkeit, aber hätte sich ihrer Mutter gefügt, wenn sich die Hochzeit nicht aus anderen Gründen zerschlagen hätte.
Bei vielen hier sieht man eine ganz schwache -nennen wir es- Ichentwicklung. Viel Fügen sieht man, wenig gestaltender Energie für das Eigene, viel Genügsamkeit und Melancholie. Kämpfen heißt oft durchhalten. Große hinnehmende Kräfte. Ein Mißstand ist ein Mißstand und nicht immer scheint es den Versuch wert, ihn zu beheben.

Die Familie und die Verwandschaft sind eine der unumstößlichen Grundfesten hier. Mines Mutter hatte hier ein Haus gebaut. Zwei helle Zimmer hatten große Fenster mit Blick zu den Bergen. Während eines der Arbeitsaufenthalte von Mines Mutter in Deutschland haben die unmittelbaren Nachbarn (enge Verwandte) von Mines Mutter eine Etage auf ihr Haus aufgestockt. Leider war dies nur möglich, indem man die beiden Fenster vom Haus von Mines Mutter einfach zugemauert hat. Zudem wurde natürlich die Außenmauer vom Haus von Mines Mutter gleich die Innenwand des Nachbarhauses. Das ganze wurde weder angekündigt, noch besprochen, sondern einfach vorgenommen. Aus der schönen hellen Wohnung, die man sich nach vielen Jahren Arbeit in Deutschland geleistet hat, war ein dunkles Etwas geworden. Mines Mutter hat nix dagegen unternommen, hat es akzeptiert, denn sie wollte keinen Ärger mit den Verwandten, die hier die Nachbarn sind. Und das bei so einer resoluten und kämpferischen Frau wie Mines Mutter. Mir wäre das Herz stehen geblieben, wenn ich meine Wohnung aufgeschlossen hätte und es nicht hell geworden wäre vor meinen Augen.
Wenn wir durch das Dorf gehen und jemanden treffen, will der in der Regel wissen, wer wir sind. Ich bin der Tourist, das ist einfach. Mine aber ist das Enkelkind des “blauäuigigen Dervis” (Großvater mütterlicherseits kam aus dem Schwarzmehrgebiet und hatte blaue Augen) und “das Enkelkind von dem blonden Mädchen” = Sarikiz (das ist Fadime, Mines Großmutter väterlicherseits, die damals hier als einzige blond war im Dorf). Wenn das nicht gleich verstanden wird sagt Mine noch, ich bin die Tochter von Ali, dem Sohn des blonden Mädchens. Spätestens dann weiß jeder Bescheid. Seitdem Mines Mutter zurück ist aus Deutschland ist sie natürlich “die Tochter von Alamanci Seynep” (der Deutschländer Seynep). Gestern nahm uns ein junger Mann mit nach Ulukisla, er stellte sich vor als Enkel des “Kürt Huseyin” (des Kurden Huseyin) und Sohn des “Kürt Ali” (des Kurden Ali) und damit wußte auch Mine gleich Bescheid. Es gibt also einige wenige Stammväter und -mütter, auf die das ganze Dorf zurückzuführen ist. Sieben Sippen haben sich vor über hundert Jahren hier aus verschiedenen Regionen der Türkei getroffen und das Dorf gegründet. Eine Sippe kam z.B. aus dem Schwarzmeergebiet, eine aus dem Osten, eine aus der Region Adana, sie alle waren aus irgendwelchen Gründen geflüchtet oder sind vertrieben worden.

Viel großzügige Liebenswürdigkeit erlebe ich hier auch, viele offene Türen, viel Wärme und Entgegenkommen, die das Leben erleichtern und verschönern. In diesem Dorf war immer möglich alles zu organisieren, was wir wollten. Immer war ich hier irgendwie sorglos, weil sich die Dinge finden werden und man nicht allein ist mit allem.
Den Absprung zu finden aus diesem Dahintreiben und Mittendrinsein im Dorf ist schwer. Das sehen wir bei vielen Menschen, die einfach in der Form, in der sie sind, bleiben, nicht aufbrechen mögen, nicht ihre eigenen Ziele formulieren und mit Nachdruck verfolgen.

Wir treffen viele Menschen, die -wie Mine sagt- “ihren Weg verloren haben”. Das kann vieles heißen. Ich weiß auch nicht, ob es davon hier mehr gibt als anderswo. Wahrscheinlich nicht, aber man kriegt vielleicht unmittelbarer davon mit, jedenfalls beschäftigt es uns oft und immer wieder. An einem Abend landete z.B. Gülsüm hier auf dem Sofa von Mines Mutter, die sie schon einmal für ein paar Monate aufgenommen hatte. Gülsüm ist eine junge Frau, aufgemacht wie eine Natascha mit blonde Haaren, lila lackierten Fingernägeln, leider einer Zahnlücke im Frontbereich. Sie hat eine traurige Lebensgeschichte hinter sich. Ihre Liebenswürdigkeit ist klebrig, ihre Freundlichkeit devot, ihre Anhänglichkeit erschlagend. Sie bietet sich mit ihrer Art an für alles und man weiß schon vorher, daß sie dafür nix kriegen wird, was ihr ausreicht für irgendwas. Sie sagt, sie sei geboren worden als Nixe, ihre Beine waren am Unterschenkel zusammengewachsen und wurden als Kind operativ getrennt. Und wirklich sie hat etwas von einer Nixe, lockend und verträumt und wie aus einer anderen Welt. Auf dem großen Fest am 23.4., dem Kindertag, kam sie ketztes Jahr in Minirock und aufreizender Kleidung und wurde wegen der unangemessenen Aufmachung geschlagen und vertrieben von den Dörflern. Ihre Geschichte ist also tragisch ohne Ende und sie hat ihren Weg wahrscheinlich wirklich verloren, sie wird weiter der Spielball verschiedener Mächte sein und hat es selber nicht mehr in der Hand, so gestört wie sie ist in ihrem Verhalten. Sie hofft auf eine Unterkunft bei Mines Mutter, will im Haushalt helfen und sich um Mines Mutter kümmern. Ob sie das noch schafft, man weiß es nicht?
Es gibt zum einen hier weniger Institutionen, die Menschen auffangen, weniger Anonymität in dieser Dorfstruktur als in einer Stadt und halt viel direktere Abhängigkeiten von anderen Menschen.
Alle hier sind auch weniger abgelenkt durch anderes. Ich habe im Dorf noch nie eine Zeitung oder einen zeitunglesenden Menschen gesehen, auch Bücher (außer Schulbüchern und dem Koran) sieht man in den allermeisten Haushalten nicht, keine CD- und DVD-Sammlungen und auch keine Computer mit Internetzugang und Flatrate . Die einzelnen hier aufgezählten Posten gibt es natürlich alle im Dorf, aber bei weitem nicht in dieser Dichte, wie bei uns.
Dazu kommt auch, daß sich in Mines Mutter einiges vereint, das dazu führt, daß sich vieles in ihrer Nähe zuträgt. Sie ist auf eine burschikose Weise beherzt, sie greift oft kompromislos in das Geschehen ein, sie trägt das Herz auf der Zunge, sie ist gutmütig und in ihrer Deutlichkeit Dinge zu benennen völlig ungeschminkt.
Viele Gründe also, daß Sichtbares hier im Dorf deutlich zu Tage tritt.

19.4.09 Dorf

Nach dem Frühstück Duschen und Haarewaschen, da das Wasser warm ist (Solaranlage repariert). Danach sogar gefönt. Wir gehen dann mit Mines Mutter zum Haus der verstorbenen Tante zum Mevlüt, das heißt zum Totengebet mit anschließendem großen Essen. Jeder ist prinzipiell dazu eingeladen und willkommen. Seit gestern laufen die Vorbereitungen. Wir schätzen, daß mindestens 250 Leute da waren, vielleicht auch mehr. Vor dem Haus stehen auf einem Platz direkt an dem kräftigen Bach viele Plastikstühle aufgestellt für die Männer und den erwarteten Hoca und den Mann, der aus dem Koran singen wird. Oben auf einem großen Balkon und im Haus sind die Frauen und Kinder. Im Garten wurde in riesigen Kupfertöpfen und Kesseln Reis und Fleisch gekocht für das anschließende Essen. Wir sitzen bei den Frauen. Der Gesang und das Gebet mit Predigt dauern lang, alles läuft überwiegend in Arabisch, wird aber zum Ende auch in Türkisch übersetzt. Die Stimme des Hocas klingt eindringlich und rastlos, streng und belehrend. Das fällt mir auf, ohne das ich ein Wort verstehe und Mine bestätigt das später vom Inhalt des Gehörten. Zwei Töchter der Verstorbenen tragen Pece, sie sind komplett in wallendes Schwarz gekleidet und verschleiert (erinnern an afganische Frauen).. Die anderen Schwestern sind ganz modern gekleidet. Es ist in der Familie üblich sehr nah innerhalb der familie zu heiraten, in der Regel werden die Kinder der Geschister der Eltern geheiratet. Eine Schwester der Verstorbenen, hat drei taubstumme Kinder bekommen, auch mehrere gesund. Zwei der erwachsenen Kinder sehen wir, sie haben neben der Sprech-Hörstörung auffällige Überbewegungen. Wir beobachten während der Predigt auch eine Mutter die neben ihrem wahrscheinlich ca. 11jährigen Jungen sitzt. Er sieht wenn man ihn nur kurz und im richtigen Augenblick betrachtet ganz unversehrt und normal aus. Bei längerer Betrachtung sieht man aber immer wieder schwere Überbewegungen, in denen er sich hin- und herwirft, die Beine übereinanderwirft, zappelt, sich krümmt, die Arme in die Luft reißt, sich auf den Kopf schlägt etc. Auch er spricht nicht und wird später beim Essen gefüttert von seiner Mutter. Er ist sicherlich auch geistig behindert. Die Mutter versucht während der Hoca betet, ihn immer wieder zu besänftigen in seiner Bewegngsunruhe, ermahnt ihn aber auch manchmal in Gesten oder droht mit Schlägen, damit er ruhig ist, was er aber kaum zu beeinflussen vermag.. Das ganze beschäftigt uns sehr. Allein das Zuschauen macht unruhig und man fragt sich bescheiden, wie man auch nur einen einzigen Tag in diesem Körper verbringen könnte. Später erfahren wir, daßer sich bis zum dritten Lebensjahr normal entwickelt hat, auch sprechen konnte. Danach fing alles langsam an. Seine Familie hat alles unternommen und ihn überall hingebracht und man hat eine seltene, wahrscheinlich Stoffwechselerkrankung, diagnostiziert. Es ist das Enkelkind von der Tante mit dem einen Zahn, die leider kürzlich verstorben ist. Abends hatte sie Mines Mutter noch Börek aus selbstgesuchten Kräutern gebracht und morgens hat man sie in ihrer Schlafposition auf dem Sofa gefunden, die Hand noch unter die Wange geschoben. Das ist ein echter Verlust. Jedesmal im Dorf haben wir sie besucht und ihr weichen Kuchen gebracht und in ihrem Zimmer gesessen und sie war immer ungemein munter und zufrieden und hat uns gute Männer gewünscht.
Das Essen nach dem Gebet war lecker. Wir sind dann aufgebrochen auf einen Spaziergang, wollten uns die Staudammbaustelle mal anschauen. Die Sonne war wunderbar, die Landschaft herrlich. Wir sahen sowohl die Berge des Taurusgebirges als auch des Aladaglar in weiß gewandet am Horizont, die Bäume noch kahl oder mit ganz zartem ersten Grün. Auf dem Rückweg treffen wir Hüri und gehen nach dem Abendbrot zu ihr. Sie kocht Tee und brät rohe Kartoffelscheiben auf dem gußeisernen Herd im Zimmer und röstet später Sonnenblumenkerne für uns, die wir wegknabbern. Ihre Mutter erzählt muntere Geschichten und eine Nachbarin ist auch noch gekommen. Hüri erzählt von ihrem Liebeskummer und vielem mehr.

18.4.09 Dorf

Heute schon beim Aufwachen Sonnenschein über den verschneiten Bergen und dem Dorf. Wunderbarer Ausblick. Endlich ist es etwas wärmer. Man atmet richtig auf hinter seinem Ofen. Wir waschen die Gardinen in der oberen Etage und machen dort ein bißchen sauber nach dem langen Winter, in dem Mines Mutter immer in die untere Etage zieht. Bestaunen das ausgiebige Werk der Motten an den schönen handgeknüpften und strohgefüllten Sitzkissen. Schade. Das Glück ist fast perfekt an diesem Morgen, da der Mann kommt, der die Solaranlage auf dem Dach reparieren soll und kann, so daß wir wieder warmes Wasser haben.
Wollen die Sonne nutzen und gehen auf einen kleinen Spaziergang über den Fluß, durch die Gärten, auf den Rundweg im Südosten oberhalb des Dorfes. Treffen in einem der Gärten zufällig auf Fatma und Hüseyin, die Mine und ihre Mutter schon lange kennen und die 20 Jahre in Berlin gelebt haben. Sie haben ein mongoloides “Kind” von ca. 20 Jahren. Sie freuen sich sehr über das Wiedersehen und machen Kaffee. Wir sitzen auf der Terasse noch in Pullover und Jacke und genießen die wunderbare Wärme. Mine unterhält sich angeregt und ich kraule den Hund und spiele mit dem “Kind” Lego. Die Wärme auf der Brust ist Balsam für meinen Husten. Die Kirschen und die Wallnußbäume im Garten blühen noch nicht. Nach der Pause verabschieden wir uns und gehen weiter.
Treffen auf eine andere Frau in ihrem Garten. Sie sammelt Kräuter, steht da mit ihrem Küchenmesser in der Hand, mit dem sie die Funde aussticht und Mine bittet sie, uns zu zeigen, was sie sammelt. Im Nu ist auch für uns ein Salat zusammengestellt aus Citlik, Gömec, Kus cerezi (haben keine Worte in Deutsch dafür, alles Unkraut für mich). Natürlich ist Mine auch mit dieser Frau verwandt. Fast alle sind im Dorf miteinander verwandt und das ist sehr wahrscheinlich nicht übertrieben. Mine schätzt, daß von den Eheschließungen der Dorfleute immer noch ca. 90% Verwandtschaftsehen sind, oft auf der Ebene von Cousin und Cousine. Das war immer so und ist auch so geblieben.

Wir sehen auf unserem Weg auch das Staudammprojekt des Dorfes hoch in den Bergen auf der anderen Seite des Dorfes. Die Mauer scheint aus der Entfernung, verglichen mit der Größe der dort arbeitenden LKWs, bestimmt 20m hoch, es wird einem ganz bange, wenn man bedenkt, daß der Damm brechen könnte. Die Dorfleute wollten unbedingt mehr Wasser dort oben für ihre Gärten. Man fragt sich, ob es Sinn macht, Kirschen in einer Höhe von 2000m anzupflanzen und überhaupt so weit oben Gärten anzulegen. Aber alle versuchen ihr Glück mit dem Anbau von Kirschen, wofür das Dorf berühmt wurde. Schon lange verfallen aber die Preise für die ehemals lukrativen Kirschen und man versucht es jetzt mehr und mehr mit dem Anbau von Wallnüssen, weil die mehr Geld bringen. Man will gar nicht an die schönen Mischgärten mit ihren vielfältigen Obstbäumen denken, die den Glückssuchern mit ihren Kirschbäumen (und natürlich den Hausbauern) zum Opfer fielen. Also, der Dorfvorsteher mußte scheinbar dem Druck der Leute folgen, so wird also weit oben in den Bergen jetzt das Schmelzwasser aufgefangen. Mines Mutter hat ein großes Stück Land gespendet für das gemeinnützige Projekt. Die anderen Besitzern des Landes, das man für das Projekt brauchte, hat man kurzerhand auch zu Spendern gemacht, unabhängig von ihrer Zustimmung.

Weiter unten sammeln Leute Morcheln, die nach den feuchten Tagen und der folgenden Sonne rauskommen. Auch sie zeigen uns auf Nachfrage ihre Funde und geben uns großzügig eine Handvoll ab, die wir später braten.
Wir sehen andere, die Säcke voll Misteln sammeln, die man hier an die Ziegen verfüttert, da sie das ganz gerne mögen.
Auf dem Weg durchs Dorf reift dann der Gedanke, daß man die Sonne mit einem ersten Eis feiern muß. Wir setzen uns vor dem Internetcafe in die Sonne und essen ein Magnum Mandel. Köstlich. Das Mädchen Aysegül, die schon morgens bei Mines Mutter zu Besuch war, treffen wir erneut und sie kriegt auch ein Eis. Machen ein Foto eisessend in der Sonne. Danach geben wir wieder den Blog im Internetcafe auf und trinken scharfen Salgam dazu. Gehen nach Hause und machen Cigköfte und Salat. Ruhiger Abend.

Samstag, 18. April 2009

16.4.09 Mines Dorf

Lege mich nach dem Frühstück nochmals hin, während Mine den Trauerbesuch bei der Familie der Tante macht. Über Tage kommen Menschen zu der trauernden Familie, aus dem Dorf selber, aber viele reisen auch an, um ihr Beileid auszudrücken. Über mindestens eine Wochen empfängt man als trauernde Familie Besuch, es ist ein Kommen und Gehen und die Familie ist tagsüber wahrscheinlich fast nie allein, eher im Pulk. Die Nachbarn kochen und bringen Essen für die Familie und die Gäste in dieser Zeit, damit sich die Familie um nichts kümmern muß und alle versorgt sind. Wer zu den Mahlzeiten da ist, ißt mit. Man erinnert sich gemeinsam an den oder die Tote, erzählt, singt auch mal ein Klagelieder oder weint. So war es auch als Mine da war. Am 7. Tag gibt es meist noch ein großes Essen und es wird nochmals gebetet für die Tote. Nach dem 7. Tag wird es in der Regel ruhiger.
Wir gehen um 13 Uhr in die Schule des Dorfes, da die Nachbarkinder Mehmet und Süreyya uns ihre Schule zeigen wollen. In diese Schule ist schon Mine gegangen und wir gucken alle Räume an und werden den Lehrern vorgestellt, die uns alle freundlich begrüßen. Sie haben Pause und plaudern gerne ein bißchen, unterbrechen ihr Tischtennisspiel. Sie erzählen von dem Lehrermangel und der Notwendigkeit hier sehr flexibel zu arbeiten, um den Betrieb zu ermöglichen. Wir machen noch ein Foto von den Kindern vor der Atatürkbüste, der türkischen Fahne und dem daneben hängenden Bild eines kürzlich umgekommenen jungen Soldaten aus dem Dorf.
Gehen danach ins Internetcafe, wollen unseren lieben Efkan begrüßen, der aber zur Zeit beim Militär ist und durch seinen Bruder Özkan vertreten wird. Senden unseren Blog, trinken Tee und erzählen ein bißchen mit Özkan, seiner Schwester, seinem Vater und die kleine Nichte kommt auch immer mal rein.

Gehen dann nach Hause und essen Linsensuppe. Danch kommt eine der alten Frauen, die wir besonders mögen, eine echte Tante von Emine, die wir immer besuchen, wenn wir im Dorf sind. Sie ist schon etwas über 90 Jahre alt, und noch sehr munter, betet noch im Stehen. Sie hat an diesem Tag schon fünf Häuser besucht. Ißt mit uns Suppe und danach noch Fladenbrot mit eingewickeltem Käse. Sie ist hager und bescheiden und strahlt Ruhe aus und Gutmütigkeit. Sie ist als junge Frau noch mit dem Pferd zum Melken der Ziegen und Schafe in die Berge geritten und hat danach die Milch im Eimer, ohne etwas von dem kostbaren Inhalt zu verschütten, nach unten ins Dorf geritten. War eine gute Reiterin. Hat Mine immer mal Milch gegeben als Kind. Sie hat sechs Kinder, was für ihre Zeit eher wenig war. Sie lebt alleine in einem alten Haus, hat dort zwei Zimmer, in einem wohnt sie, in dem anderen lagert sie Vorräte hinter einem Vorhang. Die Wände und der Boden sind noch aus Lehm und isolieren gut und machen auch ein gutes Klima. In dem Zimmer ist ein Ofen, ein Bett bzw. Sofa, eine Art Regal mit einem Vorhang davor (dahinter meist Bettzeug), Kissen auf dem Boden als Sitzgelegenheit und ein kleines Fach in einer Wandnische, das man mit einem Türchen verschließen kann. Darin liegt ein Guckkasten aus Plastik, durch das man, hält man es gegen das Licht, Dias sehen kann. Drückt man auf einen Knopf wechseln die Bilder, die sämtlich Aufnahmen aus Mekka sind. Die Tante ist nämlich schon in Mekka gewesen. Sonst können wir uns an wenig erinnern in diesem Schrank, ein paar Fotos vielleicht und einzelne Papiere. Wenn wir sie besuchen in ihrem Zimmer kriegen wir immer Tee und sitzen auf dem Sofa, auf dem sie auch schläft. Letztens hat sie von Verwandten, die in Deutschland waren, eine Tüte Haribo mit bunten Tieren bekommen. In ihrer ruhigen Art hat sie ihre ganze Ratlosigkeit und Verwunderung berichtet angesichts dieses Geschenks. Sie hat erzählt , daß da Mäuse und Frösche drin waren und das sie so was noch nicht gesehen hat und es eklig fand. Sie wußte nicht, was sie damit machen soll. Es könnte etwas Süßes sein, dachte sie, traute sicher aber nicht, es zu versuchen. Dann viel ihr ein, daß vielleicht Kinder etwas damit anfangen können und hat es einem ihrer Enkel gegeben. Sie verabschiedete sich dann, sagte, sie würde jetzt den Ofen zu Hause anmachen. Man würde dann sehen, daß sie zu hause ist und wenn keiner kommt, würde sie wieder jemanden besuchen gehen, damit sie nicht alleine ist. Danach kommen nach und nach bestimmt an die zehn Frauen zu uns, die sich alle in unserem Wohnzimmer knubbeln und den Raum ausfüllen und Orangen essen und erzählen, schimpfen, lachen. Es ist der einzige beheizte Raum im Haus und so spielt sich alles hier ab. Viele bauen Häuser im Dorf, meist auch noch sehr große, bis zu vier Stockwerke hoch, für die gesamte Familie. Die Häuser passen eigentlich nicht in ein Dorf diesen Zuschnitts und Charakters, sind viel zu groß und prozig und sind auch für die hohe Lage in den Bergen mit den langen schneereichen kalten Wintern irgendwie ungeeignet, nur aus Beton und Stahl, fragt man sich, wie sie beheizt werden sollen, den es gibt hier ja keinen Gasanschluß oder eine Versorgung mit großen Öltanks oder Fernwärme und alles läuft über Kohlen und Holz. Man wird also im Winter auch nur ein oder zwei Räume heizen können und in denen wird sich alles abspielen. Die schönen alten Häuser aus Bruchstein und Lehm, die nur eine Etage hatten, paßten wunderbar in die Landschaft und waren im Winter leicht zu heizen und im Sommer in der großen Hitze gut isoliert. Sie werden bedenkenlos niedergerissen. Man sieht nur noch einzelne alte Häuser, von Jahr zu Jahr verschwinden sie oder werden zu Ställen umfunktioniert. Die Frauen bei uns schimpfen an diesem Abend über Pfusch am Bau, Unzuverlässigkeiten und mangelndes Vorankommen auf ihren Baustellen. Richtig gelernte Handwerker gibt es hier kaum, jeder wurschtelt so rum, alles hält daher nicht lange, ist ein bißchen schief, tropft seit eh und je, schließt nicht ganz, steht ein bißchen über, abenteuerliche Konstruktionen kommen dabei raus, die anfällig sind für den normalen Alltag und Quelle sind für weiteren Behelf. Wir sind froh, daß wir so was nicht am Hals haben. Mine erinnert sich, daß sie vielleicht irgendwann für ihre Mutter solche Angelegenheiten regeln muß. Wegen des Regens kommen die Frauen dann nicht richtig weg, zögern lange und einige wollen hier übernachten. Mal sehen wer morgen früh noch da ist.

15.4.09 Darboğaz, Mınes Dorf

Das Frühstück ist wunderbar mit allem drum und dran. Meine Nase läuft inzwischen ohne Ende, richtige Erkältung. Das schlimme ist, daß die Türken es absolut ekelig finden, wenn sich jemand öffentlich die Nase putzt. Weiß aber nicht, wie ich das Problem anders lösen soll und werde so immer wieder zum Ärgernis. Wir erledigen die Bankgeschäfte von Mine. Nach nur gut einer Stunde in der Bank und zahlreichen mit der Hand ausgefüllten Formularen (keinen Computer gesehen) haben wir das Geld. Trinken noch einen frisch gepressten Saft an der Ecke und nach Stöbern (von Mine) in einem Buchladen holen wir unser Gepäck, verabschieden uns im Hotel. Nehmen ein Taxi zum Otogar, dem Busbahnhof. Hier fährt jeden Mittag um 14 Uhr ein Dorfbus nach Darbogaz. Im strömenden Regen fahren wir durch die üppig grünen Berge mit blühendem Ginster. Steigen mit Sandalen und strumpflosen Füßen aus dem Bus und es empfängt uns in dieser Höhe feuchte Kälte. Es hat tagsüber noch in den Beren geschneit. Holen gleich wieder lange Unterhose raus. Empfang bei Mines Mutter. Wir kochen erstmal Nudeln mit Sauce und essen gemeinsam. Sitzen alle in der guten Stube am Ofen wegen der Kälte. Schon bald erster Streit mit der Mutter (immer kommt Mine nur kurz, zudem noch selten und immer will sie jetzt reisen, woran ich mitschuldig bin). Die Nachbarkinder sind gekommen, um uns zu begrüßen, ziehen sich dann aber bald zurück. Mines Mutter will mit allen Kindern telefonieren, da sie endlich jemanden hat, der für sie die Nummern wählt (was sie alleine nicht mehr kann) und erzählt überall wir wären gerade aus “Arabistan” gekommen. Richten das Bett für uns oben, in dem es noch lange nach dem Betreten gefühlt kalt bleibt.

14.4.09 Adana Türkeı

14.4.09
Am Morgen gehen wir noch in die Konditorei und holen von den Köstlichkeiten. Danach ist es kein großes Problem, einen Bus zur Fahrt nach Antakya zu finden, auch Taxis könnte man jede Menge haben. Wir warten lange im Büro unseres syrischen Busunternehmens, machen dann einen kleinen Spaziergang und kommen zu einer türkischen Konkurenz. Sofort werden wir zum Tee eingeladen und Mine unterhält sich nett mit den Leuten. Bald darauf fährt unser Bus. Dort treffen wir Steff, eine junge Deutsche, die wir schon aus Mar Musa flüchtig kennen. Sie ist Tischlerin und ist als Wandergesellin seit 4 Jahren unterwegs durch die Welt, wir unterhalten uns gut. Wir kamen im Gespräch mit ihr auf eines unserer Erlebnisse aus Aleppo, das wir an dieser Stelle erzählen. Natürlich ist Syrien kein demokratisches Land. In jedem Büro und öffentlichen Gebäude hängen Bilder des regierenden Saatspräsidenten, meist sogar des Dreigestirns aus Bashar al-Asad (Staatspräsident seit 2000), seinem Bruder Basil (verstorben) und seinem Vater Hafiz (war 30 Jahre Staatspräsident bis 2000). Wir kamen aus dem Nationalmuseum als uns ein Mann ansprach. Nachdem geklärt war, woher wir kommen und was wir von Beruf sind, erzählte er uns, daß es 30km von Damaskus entfernt ein Gefängnis mit 3000 politischen Gefangenen gibt, die dort ein mindestens jämmerliches Leben führen (seine genaue Wortwahl wissen wir nicht mehr). Er bat uns, uns in Deutschland unbedingt an Amnesty international zu wenden und das zu berichten. Während des Gespräches schaute er sich immer wieder um, als wolle er sicher gehen, unbeobachtet zu sein. Plötzlich schwenkte das Gespräch um und er erkundigte sich, was man gegen sein gelegentlich auftretendes Hautjucken machen könne. Außerdem gab er an, Münzen zu sammeln und fragt, ob wir Münzen aus unserem Land hätten. Von der Mischung seiner Anliegen sind wir erst mal verwirrt. Er gibt vor, Englischlehrer zu sein, ist einfach gekleidet. Wir verabschieden uns nach einigem hin un her höflich von einander, nachdem er seine erste Bitte nochmals eindringlich wiederholt hat. Wir trennen uns und es vergehen nur wenige Sekunden, bis uns ein gut gekleideter junger Mann anspricht, sich auf das Gespräch mit dem Englischlehrer bezieht und sagt, er kenne den Mann, er sei nicht ganz in Ordnung und wir sollten uns nicht irritieren lassen von dem, was er uns vielleicht erzählt hat. Wir versichern, daß alles in Ordnung ist und gehen weiter. Es scheint keine Frage, daß dieser Staat in großem Maße, seine Bürger observiert und sicher auch ggf. sanktioniert. Das Schreiben einer systemkritischen Internetseite reicht sicher, um in den Maschen des Netzes hängenzubleiben und ins Gefängnis zu wandern oder ähnliches.

An der Grenze, gab es natürlich Komplikationen wegen uns, weil unser Visum nicht verlängert war (!!) und nur 14 Tage galt. Wir mußten nach einigem Erklären, daß das die Information im Immigration office war, zu einem der oberen Beamten (großes Büro, drei goldene Sterne auf jeder Schulter), der sein Gespräch aber für einen Blick auf uns nur für den Bruchteil einer Sekunde unterbrach, ein für uns nicht erkennbares Zeichen gab, so daß wir wieder in der Schlange am Schalter unseren Stempel bekamen und ausreisen konnten. Er hat sicher gesehen, daß wir kleine Fische sind. Dann gab es die Gepäckkontrolle. Alles wurde aus dem Bus gezerrt und geöffnet zum Durchsuchen angeboten. Ein Mann der mich gebeten hatte, für ihn ein Packet Zigaretten anzunehmen und über die Grenze zu bringen (was ich nach Aufschrei von Mine und eigener Überlegung nicht tat) wurde neben mir gefilzt und die Grenzpolizei holte bestimmt 20 Handyakkus aus einem Seitenfach seines Koffers. Die Busfahrer waren da resoluter. Sie stellten eine Flasche Hochprozentiges neben eine junge Frau aus Frankreich und ihren Rucksak mit dem Kommentar, “Die bleibt hier stehen”, was irgendwie keinen Einwand duldete und auch nicht erhielt. Benzin wurde sowieso geschmuggelt. Wurde im Niemansland aus kanistern in den Tank umgefüllt, wie man gut sehen konnte (1l Benzin in Syrien ca. 0,35 Euro, in der Türkei 1,50 Euro). Danach ging es weiter. Die Türkei kam uns vor, wie ein grünes, saftiges, üppiges, reiches Land in dem alles propper ist und wohl geordnet, im Vergleich zu Syrien auch ist. In Antakya bekamen wir gleich eine Weiterfahrt nach Adana in einem der luxuriösen türkischen Busse mit Angebot von Tee und Kaffee und Kaltgetränken und Cologne. Wir fuhren dort mit dem Servicebus in die Stadt und schleppten unser Gepäck dann zu unserem Cukurova Parkhotel, bekamen auch ein Zimmer, merkten aber erst spät, daß das Fenster nur eine Atrappe war und fühlten uns fortan wir gefangen. Konnten erreichen, daß der Lärm aus dem Versorgungsschacht hinter dem Fenster für die Zeit der Nachtruhe abgeschaltet wurde. Nun ja. In dem Hotel arbeiten, wie schon gesagt, viele Leute aus dem Dorf von Emine und wir erfahren gleich, daß Mines Tante (Frau des Bruders von Emines Mutter) am Vortag beerdigt worden ist. Gingen danach essen (dicke Bohnen mit Reis und Okraschoten mit Lamm). Danach haben wir versucht, für morgen die Märkische Bank zu finden, wo Mine was erledigen muß wegen der Rente ihrer Mutter. In unserem Verlies mit bereits tropfender Nase widerwillig eingeschlafen (wegen des fehlenden Fensters, was wirklich sehr irritierend ist).

13.4.09 Ostermontag Aleppo

Wir erwachen nach einer ruhigen Nacht in einem sonnendurchfluteten Zimmer. Wir überlegen kurz, ob wir noch länger bleiben, entschließen uns aber doch heute aufzubrechen. Nach der Morgenandacht (selten haben wir so viel Zeit in Kirchen verbracht wie in den letzten drei Wochen, aber es hat sich einfach immer wieder neu ergeben) und dem Frühstück tragen wir mit Hilfe eines jungen Syreres unser Gepäck vom Berg. Er heißt Charly und handelt mit Gewürzen, Olivenöl und ähnlichem. Er erzählt, dass er sich ein Visum für Rußland besorgen, sich dort ein Boot kaufen und aus einem der baltischen Länder nach Schweden übersetzen will (??? , er hat überhaupt keine Erfahrung mit dem Meer, aber er baut auf seine zwei kräftigen Arme zum Rudern ), wo seine Schwester wohnt. Nach einem Besuch in Schweden, will er weiter durch Europa reisen und dann zurück nach Syrien. Wovon die Menschen träumen, ist immer wieder verrückt. Wir fahren zusammen mit einigen anderen Leuten in einem herbeitelefonierten Minibus bis in das 14km entfernte Nebek. Dort hilft uns ein junger Mann, der mit in dem Minibus aus dem Kloster war, weiter nach Homs zu kommen. Er verhandelt mit dem Fahrer des Minibusses um den Preis und die Fahrt geht los (sonst geht es in Syrien immer erst los, wenn der Minibus voll ist, was Stunden dauern kann). Wir werden von unserem freundlichen Helfer einem unterwegs zugestiegenen Mann ans Herz gelegt, der von Homs auch weiter nach Aleppo will. Unser Mann bringt uns aber in Homs noch in ein Taxi, dass uns zusammen mit dem Nachfolgelotsen an den richtigen Busbahnhof bringt. Dort kriegen wir gleich einen Bus nach Aleppo. In Aleppo schaffen wir es wegen wiedersprüchlicher Informationen nicht unsere Weiterfahrt zu organisieren. Wir nehmen eine Taxi und fahren wieder ins Hotel Baron. Dort folgen zähe Preisverhandlungen. Wir fühlen wir uns an diesem Tag in Aleppo - im Unterschied zum ersten Aufenthalt dort - wie die Könige. Wir wissen wo alles ist, können uns gut orientieren, tauschen Geld, kaufen Kaffee, suchen die Konditorei aus, wo wir am nächsten Morgen noch ein paar arabische süße Köstlichkeiten kaufen wollen. Wir gehen in ein Restaurant und essen ohne Sorge alles nach Herzenslust, frischen Salat, frische Minze, Humus, Auberginensalat, Pommes, Hähnchen- und Lammspieß. Wir fühlen uns sehr wohl und schwimmend wie ein Fisch im Wasser, kein Vergleich mit den ersten Tagen hier, wo alles unsicher war und beklommen machte. Wir sind ja relativ unvorbereitet nach Syrien gefahren und die drei Wochen im Land haben uns doch viel gelehrt und wir wissen jetzt ein bißchen wie der Hase läuft. Wir feiern das gute Gefühl mit einem Glas Wein in der Bar vom Baron und sinken dann ins Bett.

12.4.09 Ostersonntag Mar Musa

Wir genießen auf der großen Terasse die Morgensonne und ein gemeinsames Frühstück (Brot, Satar und Öl, Käse, Oliven, Aprikosenmarmelade) in großer Runde. Wir unterhalten uns mit einer französischen Logopädin Pauline, die im Rahmen eines kirchlichen Projektes 2 Jahre in Damaskus behinderte Kinder logopädisch behandelt und dabei eine junge syrische, Frau anleitet in dieser Tätigkeit. In Syrien gibt es bisher weder Logopäden noch Ergotherapeuten, geschweige denn eine Ausbildung dafür. Sie hat dort die Arbeit aufgenommen, ohne ein Wort Arabisch zu sprechen. Wir erzählen von den armen Rollstuhlfahrern, die wir gesehen haben und die sich in Syrien in Ermangelung von richtigen Bürgersteigen in den normalen, chaotischen, anarchischen Straßenverkehr mischen müssen, was gefährlich aussieht. Sie erzählt wie glücklich sich jene schätzen können, die in diesem Land einen Rollstuhl haben.Täglich kommen in ihr Zentrum Eltern, um um einen Rollstuhl zu bitten, da sie ihre größer und schwerer werdenden behinderten Kinder nicht mehr allein tragen können. Man muß sie leider wegschicken, weil das Zentrum seine wenigen Rollstühle für die eigene Arbeit braucht. Dann nehmen sie also wieder ihre Kinder und ziehen davon, “Insallah”. Also: glücklich, wer einen Rollstuhl hat. Die junge Frau, die sie anlernt, soll ihre Arbeit später weiterführen. Die Arbeit ist chaotisch und die junge Logopädin bleibt natürlich wegen der Sprachbarriere hinter ihren Möglichkeiten zurück, aber sie ist geblieben, weil sie die Arbeit immer wieder sinnvoll findet. Inzwischen kann sie einigermaßen Arabisch und die junge syrische Praktikantin hat einen Englischkurs belegt. Langsam kommt die Sache in Gang. Nach dem Frühstück sprechen wir mit unserer französischen Nonne Dian und bitten, dass wir wieder umziehen dürfen in das alte Zimmer. Die ungarische Familie ist nach dem Frühstück abgereist. Wie ziehen erleichtert und glücklich aus dem anderen Zimmer aus. Den ganzen Vormittag trödeln wir rum und genießen das Leben im Kloster. Nach dem späten Mittagessen kommt langsam Wind auf und das Wetter wird wechseln. Am Himmel sehen wir plötzlich weit oben einen scwarzen Gegenstand fliegen. Wie überlegen. Es ist kein Drachen und kein Vogel. Der Gegenstand steigt mit der Termik in der Schlucht weit hoch und sinkt dann langsam in Spiralen wieder nach unten bis wir ihn erkennen, eine Plastiktüte, in die der Wind am Boden gefasst hat. Wir sehen noch mehrere solche Phänomene, die so ihre eigene Ästhetik haben. Dann fallen ein paar Tropfen. Dennoch gehen wir auf einen Spaziergang in die Schlucht, steigen auf einen kleinen Berg und genießen die fantastische Aussicht. Dann kommt richtig Regen und wir gehen rasch Richtung Kloster. Inmitten des Regens beginnt die Sonne wieder zu scheinen und wir sehen einen wunderbaren Regenbogen über dem Kloster stehen. Das ist immer wieder ein Erlebnis, einen Regenbogen zu sehen. Danach bekommen wir eine kurze Führung in der Kirche mit und erfahren mehr über die schönen alten Fresken. Pater Paolo hat das verlassene Kloster 1982 entdeckt und es Jahre später wieder als Kloster belebt. Die Fresken wurden in der Zwischenzeit restauriert, das Dach wieder gedeckt. Es folgt die Abendandacht, die uns diesmal schon viel besser gefällt, weil wir über den Abkauf schon ein bißchen orientiert sind und mehr mitkriegen. Danach versammeln wir uns wegen des kühlen Wetters nach dem Regen in dem großen Zelt auf dem Hof, das auf hohen Stelzen steht, der Ofen wird angemacht und wir essen gemeinsam zu abend. Gehen danach glücklich in unser Zimmer und haben eine ruhige Nacht.

Donnerstag, 16. April 2009

11.4.09 Kloster Mar Musa

Wir geben unsere Donation bei den Schwestern im Kloster ab. Frühstück läßt sich nicht organisieren bei den Nonnen. Wir gehen wieder in das kleine Restaurant und bestellen Brot und Omlett und Jogurt und Tee. Packen danach den Rucksack und stellen uns wartend auf den Parkplatz. Es ist viel los am Kloster, viele Busse und Menschen kommen und gehen. Aus
einer nahegelegenen Bäckerei werden lange Bretter mit Bergen von dampfendem Fladenbroten geschleppt, die auf einem Gestell abkühlen und dann verpackt werde. Mine holt uns einen Fladen. Der Bäcker will kein Geld. Ein Fladen allein hat keinen Preis, die Leute holen ganze Stapel in der Regel. Wie verabredet kommt der Fahrer, den wir uns organisiert haben, gegen 11 Uhr und fährt uns wie verabredet zum Dair Mar Musa. Die Landschaft ist zum Teil sehr schön hügelig, wir sehen im Westen noch Schneereste in den Bergen, die wahrscheinlich schon in den Libanon gehören. Er setzt uns am Dair Mar Musa El Habashi nach ca. 40km Fahrt ab. Wir sehen das entlegene Kloster, das sich an die Felswand schmiegt, vom Parkplatz aus in einiger Höhe vor uns liegen, hoch führt ein schmaler Weg mit sehr vielen Stufen. Wir haben viel Gepäck, wie immer, zudem fast 3 Liter Wasser, weil wir nicht wissen, wie die Trinkwasserversorgung dort ist. Das Kloster liegt ganz entlegen, öffentliche Transportmittel fahren nicht hierhin und die nächste Ortschaft ist 14km entfernt. Wir schlucken ein bißchen machen uns dann aber daran, unser Gepäck hochzuschleppen. Sehr mühsam, aber es gelingt. Oben angekommen am alten Kloster steht man vor einer hohen Mauer, die den Komplex umschließt. Der Eingang ist winzig, geht mir nicht mal bis in Brusthöhe, es gibt auch keine Fenster, nur kleine Spalten in derhohen Wand. Jemand hilft uns die Rucksäcke durch die kleine Tür und den dahinter liegenden engen Gang zu hieven. Wir kommen auf einen beschatteten Platz mit vielen Menschen aller Altersgruppen und werden freundlich aufgenommen. Hier ist jeder willkommen, keiner wird abgewiesen, Gastfreundschaft wird als “sacred activity” verstanden. Keiner wird nach seiner Gesinnung, seinem Glauben, dem Grund seines Kommens oder dem, was er mitbringt gefragt. Es ist ein Ort der Begegnung, des interkulturellen und interreligiösen (islamisch-christlichen) Austausches. Das Kloster ist syrisch-katholisch in seinen Wurzeln, letztlich aber ökümenisch im Grundverständnis. Um das christlich-islamische Miteinander zu stärken, wurde auch arabisch als die Alltagssprache und die Sprache der religiös-liturgischen Aktivitäten gewählt. Die Seele von allem scheint der italienische Pater Paolo zu sein. Eine französische Nonne fragt, ob wir über Nacht bleiben wollen und kündigt dann an, uns gleich ein Zimmer zu zeigen, wir sollten erstmal Tee trinken. Der Ausblick ist grandios in eine weite Ebene mit Hügeln weit hinten am Horizont und wenigen Häusern in großer Entfernung. Wir trinken Tee und schauen eingenommen dem Treiben der Menschen zu, drehen der schönen Landschaft lange den Rücken zu. Das Kommen und Gehen der Menschen unterhält uns wunderbar, es ist alles recht bunt gemischt aus Syrern, Franzosen, Italienern, wenigen Deutschen und einzelnen Menschen aus anderen Nationen (Japan, Dänemark, Holland, Armenien). Sehr viele junge Menschen, die hier erzählen und Tee trinken und auch rumalbern, die Sonne genießen. Die französische Nonne führt uns dann über eine schmale Brücke, die über die Schlucht führt, rüber zu einem neueren Klosterteil, wieder ordentlich bergauf. Das Zimmer ist einfach und nett, hell, Holzdecke mit dicken Balken, dicke Bruchsteinmauern auf einer Seite des Raumes mit kleinen schartenartigen Fenstern und einer großen Wandische zur Raumdekoration. Zur Ebene hin lassen zwei größere Fenster den Ausblick zu. In den Fensternischen könnte man sitzen. Ein paar Matratzen und Wolldecken liegen am Boden. Bettwäsche bekommen wir gestellt. In der Mitte des Raumes steht einer der landesüblichen Öfen, die mit Diesel, der tropfenweise in eine Brennkammer fällt, betrieben wird. Es riecht immer ein bißchen nach Tankstelle aber dafür ist nicht überall Asche. Schon bald kommt das Mittagessen auf dem großen Klosterhof. Gemeinschaft vertieft sich ja immer mit dem gemeinsamen Essen. Alle stehen in einer langen Reihe, viele freiwillige Helfer packen mit an. Überhaupt lebt alles von der Mithilfe der Gäste, zu der jeder aufgerufen ist, ohne ermahnt zu werden. Es gibt eine Mischung aus Bulgur und Linsen mit Salat und einer Jogurt-Gurkensäuce. Sehr lecker,
danach eine Orange und wieder Tee. Wir gucken die alte Kirche, den Stolz des Klosters an, die wunderschöne alte Fresken aus dem 11. Und 12.Jahrhundert zeigt, die zumindest noch relativ gut erhalten bzw. restauriert sind. Keine Bestuhlung darin, dafür viele Teppiche und Kissen auf dem Boden, auf dem alle bunt gewürfelt sitzen und eine schöne Beleuchtung. Bibeln in allen Sprachen sind vorhanden. Danach kleiner Rundgang in die angrenzende Schlucht hinter dem Kloster. Wir starten dann die Duschaktion mit halbwegs warmem Wasser, das man sich aus einem Wasserhahn überschütten kann. Danch werden wir gebeten nochmals umzuziehen, es kommen zum Abend hin viele Leute wegen des Osterfestes und eine ungarische Familie soll unser Zimmer bekommen. Wir willigen gutmütig ein und kommen in ein Zimmer, das eine Etage tiefer direkt an die Felswand gebaut wurde. Der Fels als Zimmerwand ist beeindruckend besonders wenn man darauf Kerzen stellt, was man muß, da fast nie Elektrizität da ist. Außen wie innen hantieren wir in Mar Musa nach Einbruch der Dunkelheit dauernd mit Kerzen und unserer Taschenlampe. Eine Steintreppe führt im Zimmer zu einer kleinen Empore, auf der man schlafen kann. Darunter liegt hinter einer Tür eine Toilette und - schlimmer noch, nahe dabei - irgendeine Sammel-Sicker-Grube. Erst nach und nach bemerken wir, wie schrecklich es riecht. Wir gehen erstmal rüber zur Andacht und Meditation in die Kirche. Viele Leute sind da, leider verstehen wir wenig, da wenig in Englisch übersetzt wird für die vielen Gäste. Pater Paolo steht und sitzt mitten in der Menge, man sieht ihn am Boden sitzend gar nicht. Es ist mühsam, ihm so lange arabisch sprechend zuzuhören. Aus seinem immer wieder kehrenden Husten gewinnt man fast mehr Information als aus seinem Sprechen. Er trägt wie immer seine graue Kutte mit einem Ledergürtel, eine graue abgenutze Jacke darüber, eine schwarze Kappe auf dem Kopf, die nackten Füße in Schlappen. Er ist ein großer stämmiger bärtiger Mann, mit einer kraftvollen Stimme, die dennoch ein bißchen erschöpft wirkt, mit der er aber sehr schön singt. Er wirkt auf den ersten Blick nicht sehr charismatisch, aber wir merken im Laufe der Zeit wie wichtig seine fast permanente Präsenz unter den Menschen dieses Ortes ist. Er spricht alle an (er spricht natürlich Italienisch, Arabisch, Englisch, Französisch und ein bißchen von diesem und jenem), hat alles großzügig im Blick. Mal sieht man ihn in einer großen Schürze am Herd Eier für das Frühstück braten, mal im Gespräch versunken am Boden hocken, mal Gäste durch die Kirche führen, mal Leute ermahnen, den Tisch nach dem Essen auch abzuräumen, mal predigend und segnend. In seiner Kontinuität wird er uns irm Laufe der Zeit immer vertrauter und sympatischer und irgendwie die zentrale Figur dieses besonderen Ortes. Er scheint immer gerade aus einem der Weinberge des Herrn zu kommen, ein bißchen staubig, ein bßchen müde, aber irgendwie konsequent, verläßlich, präsent, mit einem ganz eigenen Selbstverständnis und Charisma. Die Messe dauerte gut 1,5 Stunden. Die Andacht ist “Syrianik” oder so ähnlich, scheinbar nach dem Ritus der ersten frühen Christen. Wir sind etwas frustriert, weil wir so wenig verstanden haben. Danach Abendessen, Suppe und Brot und Tee. Wir gehen in unser Zimmer und richten das Bett und gewöhnen uns nur mäßig an den Geruch. Der Schlaf kommt Gott sei Dank schnell. Mine hält sich die Decke über den Kopf, meint so ginge es am besten mit dem Geruch- Nachts um 3:30 Uhr werden wir geweckt zur Ostermesse. Gerne wären wir gegangen, wußten aber daß wir nicht viel verstehen werden und sind dann liegen geblieben. Um sechs aufgestanden und den frühen Morgen mit ein paar Fotos auf der Terasse begrüßt.

10.4.09 Karfreıtag ın Maalula

Später Beginn des Tages. Endlich mal ausschlafen und nicht gleich aufstehen. Im Kloster ist viel los, ein Kommen und Gehen von Schulklassen und Touristen (Einheimischen und Weitgereisten). Köstliches Frühstück im einzigen Restaurant am Ort mit Omlett und Oliven und Humus und Käse und Aprikosenmarmelade (aus getrockneten Früchten gemacht wie es scheint), Jogurt. Danach rüber zum Kloster zum Zähneputzen etc. Auf dem Weg erstehen wir endlich eine CD mit Beduinenmusik. Daraufhin gehen wir wieder durch die Theklaschlucht und dann in die dahinter liegende hügelige Landschaft. Alles wirkte von weitem trist und staubig, beige, trocken, steinig, weitläufig. Doch je länger man geht, umso mehr entdeckt man und gewinnt der Landschaft doch mehr und mehr ab. Rasten unter einem blühenden wilden Mandelbaum. Sehen ein paar Gärten, in denen mit Bewässerung etwas Grün kultiviert wird, Olivenbäume, Wallnussbäume, Essigbaum, (wahrscheinlich) Aprikosenbäume, einzelne Pinien, alte Weinstöcke, niedrig, am Boden wachsend, in kleinen Feldern. Zwischen den Steinen hier und da ein zarter gelber Blütenteppich und andere kleine bodennahe Blüten. Wir verschonen Euch heute mal mit Berichten vom Müll und den ewigen Plastiktüten. Auf dem Rückweg am Ende oder Anfang der Theklaschlucht Einkehr in einem kleinen “Kiosk”, aus dessen Lautsprechern gute Beduinenmusik zu uns dringt. Trinken türkischen Kaffee und Tee und Saft und die jungen Leute vom Nachbartisch geben uns zum Probieren von ihrem Fladen mit dieser interessanten Würzpaste (Satar oder so ähnlich), die wir schon kennen (Sesam, Thymian, Salz, Kreuzkümmel, etwas Säuerliches und vielleicht auch Fenchel; das ganze wird in ein bißchen Olivenöl angerührt zu einer Paste). Gehen dann zurück zum Kloster, wo sich ein libanesischer Harly Davidson Club versammelt hat und neugierige Menschen anzieht. Gehen in unsere Bäckerei vom Vortag und essen dort und regeln dann Taxifahrt für morgen zum Dair Mar Musa (Kloster Mar Musa). Gehen nochmals in die Grotte unseres Klosters zur heiligen Thekla und zünden Kerze an. Mine besorgt dann Tee aus der Küche des Klosters und wir sitzen in unserem Zimmer und essen Mandeln und trinken Tee und schreiben für den Blog.

9.4.09 Maalula

Frühstück zwischen den auf den Sofas rechts nund links schlafenden Söhnen des Hauses. Die Eltern sitzen uns gegenüber auf dem Sofa. Wir sind die einzigen die essen, wie immer. Die anderen fasten wegen Ostern oder begnügen sich später mit einer Zigarette zum Kaffee. Jeder zu seiner Zeit. Der Fernseher läuft schon. Wenig später herzliche Verabschiedung und gute Wünsche und Küsse, großer Dank unsererseits für die liebenswürdige Aufnahme in der lieben Familie. Pater Eliass bringt uns zum Minibus nach Maalula. In Maalula steigen wir am Thekla-Kloster aus und gehen gleich ins Kloster hinein. Nach einigem Warten auf dem Hof kommt eine Nonne auf uns zu: “Sleep?”. Wir bejahen und sie bringt uns ohne weitere Fragen in ein schönes, sauberes, geräumiges Zimmer mit Balkon. Wir freuen uns, daß alles geklappt hat und wir bleiben können. Einen Preis gibt es nicht, man gibt hinterher eine Donation für das Kloster. Gerne. Ziehen erstmal die lange Unterhose an und noch etwas Langärmeliges zusätzlich, da es doch recht frisch ist. Der Ort liegt auf ca. 1400m. Neben uns im Kloster wohnen drei irakische Flüchtlinge, einer von ihnen, ein älterer Mann, erzählt uns das kurz. Die zwei Frauen, sehen wir meist nur im Morgenmantel über den Flur huschen. Maalula ist wirklich recht malerisch direkt an eine steil aufragende Felswand gebaut. In Maalula ist die Sprache Aramäisch noch nicht ganz ausgestorben. Es gibt am Ort auch ein Sprachinstitut für Aramäisch. Es ist die Sprache, die auch Jesu und seine Jünger gesprochen haben. Außer hier lebt sie nur noch in der Nähe von Midyat in der Türkei, wo wir auch schon waren. Über dem Ort liegt permanent ein Teppich aus religiösen Gesängen, als lausche man einem Gottesdienst. Es muß sich aber doch um eine oder mehrere Konserven handeln, kein Mensch kann doch ewig singen, auch nicht kurz vor Ostern. Wie gucken zunächst die kleine griechisch orthodoxe Kirche des Klosters an, dann die schöne Grotte der Heiligen Thekla voller Ikonen und beleuchtet mit Kerzen. Eine Nonne sitzt da und wacht über den Ort, flechtet kleine Armbänder mit einer besonderen Knüpftechnik. Ein sehr beschaulicher Ort, an dem man gerne verweilt. Gehen dann in den kleinen Ort und finden eine Bäckerei, in der schon zwei alte Männer sitzen und Tee trinken und frisches Brot essen. Das tuen wir dann auch und sind mit allem ausgezeichnet zufrieden. Dann erster Gang durch die verwinkelten und überbauten Gassen des alten Ortes mit seinen vielen Kirchen. Wir kommen nach einem Anstieg am zweiten Kloster des Ortes, dem Kloster des Sergius und Bachus, an. Hier ist eine alte Kirche, die auf den Maueren eines heidnischen Tempels aus dem 4. Jahrhundert errichtet wurde. Die Kirche ist sehr sehr alt, wahrscheinlich ist sie eine der ältesten noch genutzten Kirchenbauten der Christenheit. Nach der Probe des Hausweins (hier haben schon immer viele Christen gelebt und Wein angebaut) im Giftshop gehen wir in das benachbarte Café und trinken Café und essen Kuchen (recht teuer, 450 syrische Pfund). Dabei scheint die Frühlingssonne wunderbar auf uns. Wir gehen an einem Neubaugebiet vorbei durch die trist wirkende Landschaft bis zum Eingang der Theklaschlucht. Wir durchqueren die interessante enge Schlucht, die zum Teil von alten Gräbern gesäumt ist und kommen quasi unter unserem Balkon im Kloster wieder raus. Wollen dann die Haare waschen und sie in der letzten Sonne des Tages trocknen lassen. Im Kloster weiterhin kein Strom, daher liegt alles im Dunkeln. Die Nonnen helfen uns mit ein paar Kerzen aus der Kirche aus und die Aktion kann steigen. Leider mit nur kaltem Wasser. Wieder im Hof des Klosters spricht uns eine Nonne an “Eat?”. Natürlich gerne. Sie bringt uns in den Speisesaal der Nonnen und gibt uns Brot und Oliven und eingelegte kleine Auberginen (erst gekocht, dann viele Stunden gepresst, dann aufgeschgnitten und gefüllt mit Paprika und Wallnüssen und eingelegt in Olivenöl), gebackene Kartoffeln und Aprikosenmarmelade. Es war köstlich. Dann wieder Gang durch einen neueren Teil des Ortes, was wenig bietet für das Auge und die anderen Sinne. Gehen in das einzige Restaurant des Ortes. Hier wie überall Stromausfall. Trinken Tee, Mine raucht Wasserpfeife (Grape), später ein Glas des heimischen Rotweines (geht so) und dazu wieder Möhren mit Zitronensaft drüber und Salz. Tippen dazu endlich mal wieder für unseren Blog, was in Damaskus nicht so möglich war. Gehen nach einem schönen Abend dann zurück ins Kloster. Weiterhin kein Strom. Dusche im Licht einer Kerze und dann ins Bett, wo es einem nur verzögert warm wird.

8.4.09 Damaskus

Morgens wie zerschlagen. Frühstück bei laufendem Fernseher, heute altes Musical mit Fairuz. Mit Pater Eliaas, der zur Arbeit mußte, in die Stadt gefahren. In der Apotheke Antibiotikum gekauft für Mines Blasenentzündung. Dann ins Café gegangen. Langsam zu sich gekommen. CD-Laden entdeckt mit interessantem Sortiment. In dies und das reingehört und wieder vier CDs gekauft. Danach Azm-Palst mit Ethnographischem Museum angesehen. Nett. Dann in den Schmuckladen geraten, den wir schon am Vortag besucht hatten, weil ein schöner Armreif im Fenster lag. Hier gibt es jede Menge Antiquitäten- und Schmuckläden. Zufall, daß wir in diesen gerieten. Dann größere Einkäufe gemacht und den Besitzer des winzigen Ladens glücklich hinterlassen, der uns vorher auf seinem kleinen Kocher schönen Tee kochte. Wir waren noch so traurig vom Vortag, mußten uns irgendwie mit den kleinen Freiheiten und der Unvernunft des Lebens trösten. Haben Nüsse gekauft für unsere Gastgeber und den Einkauf für das geplante Abendessen getätigt. Schon im Vorfeld hatten wir damit Konfusion, Skepsis und Verwunderung gestiftet, daß wir für die Familie kochen wollten. Wir hatten angeboten, alle ins Restaurant einzuladen oder einen Abend für sie zu kochen. Letzteres wurde mit großer Iirritation angenommen. Nach einigen Erklärungen unsererseits, daß wir einfach der Hausfrau eine Freude machen und Entlastung sein wollen, konnte die Aktion starten. Die Mutter ging aber nicht wie geplant zur Kirche, sondern blieb zu Hause, um die Sache im Auge zu behalten. Immer wieder kam sie in die Küche und drohte einzugreifen und zu helfen. Wir ließen uns jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Mit Worten war wie immer nicht weiterzukommen, da kein Übersetzer zugegen war ( Hani und Eliaas waren weg). Es gab: Imam bayildi ohne Fleisch wegen Fastenzeit (Der “Imam fiel in Ohnmacht”, weil es so lecker war, unsere Gäste leider nicht), frische Erbsen mit Möhren, Reis, Salat mit Rucola und Petersilie und Minze Köstlich wie wir fanden. Zum Essen war um acht Uhr nur die Mutter da. Wir fingen trotzdem an. Der Vater kam später und hatte schon gegessen, Eliaas hatte ebenfalls keinen Hunger. Haben beide aber noch ein bißchen probiert und es schien ihnen zu schmecken. Haben uns Mühe gegeben und sicher eine kleine Revolution begangen inmitten der orientalischen Gastfreundschaft. Dann gab es gesalzenes Popcorn selbstgemacht vom Vater und türkischen Kaffee. Alles natürlich zu den türkischen Serien. Sind nicht so spät zu Bett gegangen wegen der Abreise am nächsten Morgen.

7.4.09 Damaskus

Sind wieder sehr müde nach dem Schrecken des letzten Abends und Mine ist ein bißchen kränklich. Nach dem Früstück in die Stadt gefahren. Dort erstmal Kaffee getrunken. Danach Umayyadenmoschee. Ein beeindruckender Bau mit reicher Geschichte, ein Heilgtum für Christen und Muslimen, das 2001 Papst Johannes Paul II zusammen mit dem syrischen Obermufti besuchte. Um 14 Uhr treffen wir uns mit Pater Eliaas. Essen in seinem Büro ein Sandwich, das er für uns telefonisch bestellt hat. Er erzählt von den finanziellen Sorgen, dem Ausbau seiner Wohnung, den Kosten für die Herz-OP seines Vaters, dem Ärger und der Kränkung durch den Patriarchen, ist dann wieder ausgelassen und hantiert in seinem Büro mit einem Luftgewehr, das er einem Jungen auf einer Freizeit der Pfadfinder abgenommen hat. Gehen dann mit ihm in die Stadt. Er zeigte uns einige Geschäfte mit Intrasienarbeiten und Kirchenbedarf (Kelche, Kreuze). Als wird den Azm-Palast erreichen hat dieser leider Ruhetag. Wir trinken Tee und er läßt seiner Traurigkeit über seine schwierige Lage und die anstehenden Entscheidungen freien Lauf. Wir werden auch traurig. Er muß dann wieder in die Kirche und wir wandern noch ein bißchen hin und her. Verlaufen uns in der Altstadt, ergattern spät ein Taxi, daß uns herausführt aus dem Gewirr enger Gassen. Beim Abendessen kommen Mine und ich wieder schwer aneinander und es folgt eine trauriger Abend. Wir wollen an dieser Stelle keine Einzelheiten erzählen. Aber aus dem Reisen und dem Umgang mit den sich darus ergebenden Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten, Verunsicherungen und Einblicken ergibt sich logischerweise einiges an Konfliktpotential, das man austragen muß. Das is Teil unseres Beschäftigtseins und muß hier erwähnt werden. Es ist der Grund, warum wir morgen früh so müde sein werden und Sightseeing irgendwie nicht immer der Nabel des Tages ist.

6.4.09 Damaskus

Heute ist unser 14. Tag in Syrien, unser Visum gilt laut Paß 15 Tage. Wir lassen uns mit dem Taxi in das Immigration Office von Damaskus bringen, um das Visum zu verlängern. Man läßt uns auf ein Haus deutend aus dem Taxi und wir sehen ungläubig ein etwas schäbiges, unscheinbares Gebäude, eingebettet in wartende Menschen. Wir kämpfen uns mit Nachfragen in den dritten Stock, der unser Anliegen zu bearbeiten scheint. Auch hier alles voller Menschen. Hinter den langen Tresen sitzen Schulter an Schulter rauchende und arbeitende Polizisten. Kein Computer ist zu sehen, dafür Unmengen von Papier, gestapelt, gebündelt, aufgereiht, zum Teil in Säcke genäht, in langen Regalen und ab der Erde aufwärts. Die Beleuchtung ist zwielichtig. Die Menschen mit den Anliegen beugen sich über die Tresen, versuchen, sich Gehör zu verschaffen. Uns sinkt angesichts der Undurchschaubarkeit dieses trubeligen Ortes und seiner Arbeitsweise ein wenig der Mut und wir beginnen zu bedauern, daß wir Pater Eliaas nicht mitgenommen haben, der das angeboten hatte. Wir sehen, daß hier mit vornehmer Zurückhaltung kein Weiterkommen ist. Mine und mir stehen die Haare zu Berge. Mine weist mich a n, irgendeinem Beamten unsere Pässe einfach entgegen zu strecken, was ich tue. “What do you want?”, “Stay one more week.” Ein junger Mann erklärt, daß unser Visum sowieso vier Wochen gilt, obwohl unser Visum im Paß unter Duration nur 15 Tage als Dauer ausweist. Er erklärt, unser Visum verwende noch einen veralteten Stempel/Aufkleber. Da unser Syrienführer von 2006 schon so etwas schreibt und wir von der Aussicht, in dieser Behörde keine weiteren Formalitäten erledigen zu müssen, so ungemein erleichtert sind, sind wir gewillt der Aussage des Beamten zu glauben. Das eine Botschaft allerdings seit Jahren nicht schafft, einen Visumaufkleber zu berichtigen, zieht einige Fragen nach sich. Mine faßt in einigen empörten und markanten Sätzen zusammen, die man hier nicht zitieren kann. Jedenfalls erinnert sie in Syrien viel an die Türkei in den 70er Jahren. Wir schlendern an der nahegelegenen Uni entlang und finden schließlich das Nationalmuseum. Sehr viel ist zu sehen aus den vielen Ausgrabungsstätten Syriens. Endlich versteht man warum dort draußen vor Ort alles so leer und abgegrast ist. Doch hier im Museum ist alles wie eine endlose, irgendwie entseelte Aufzählung, aus dem Zusammenhang genommen, man flaniert an allem entlang, ohne wirklich etwas zu begreifen vom Gang der Zeit. Die Beschriftungen sind dürftig, dazu nur in Französisch und Arabisch. Wenig Fantasie ist auf die Darstellung verwendet. Naja wenigstens ist ein bißchen was gerettet vor den Menschen, die die alten Bauwerke abtragen, um aus den Steinen neue Häuser und Ziegenställe zu machen, vor Grabräubern, die alles ein paar Sammlern verkaufen, der Feuchtigkeit und dem Vandalismus. Gehen dann zu dem von Sinan erbauten Tekkiye Sulaimaniya, einem Komplex aus Moschee und Madrasa. Seit Jahren wird hier alles im Zeichen der syrisch-türkischen Freundschaft gemeinsam restauriert, was aber noch nicht dazu geführt hat, daß man einen Blick hineinwerfen könnte. arbeiten sieht man leider auch niemanden. Mal abwarten...Gehen dann zum ehemaligen Hidjaz-Bahnhof. Später Gang in die Altstadt: Kaufen in einem CD-Laden Raubkopien von CDs der berühmten Sängerin Fairuz und Umm Kulthum und einem dritten Sänger, klassische arabische Musik alles. Zahlen für 3 CDs 75 syrische Pfund (= 1,25 Euro). Als wir abends nach Hause kommen, es wird schon dunkel und es kühlt sich merklich ab, ist keiner zu Hause und wir sitzen lange vor der Tür. Haben wir etwas falsch gemacht und unsere Gastgeber verärgert, etwas mißverstanden? Sitzen wir vor dem falschen Haus (Türschild in arabisch kann man nicht lesen, Hausnummer gibt es nicht, Straßennamen gibt es auch nicht, kein Vorgarten, an dessen Bewuchs man was erkennen kann, die Häuser alle irgendwie ähnlich, wenn man vor ihnen steht und an ihnen hochguckt (zurücktreten ist ja in den Gassen nur eingeschränkt möglich)? Gehen nochmals um den Block, finden nix erfolgversprechenderes. Streiten wieder. Rufen schließlich Pater Eliaas an, der in der Kirche ist. Seine Eltern besuchen den Bruder, kamen dann von Eliaas herbeigerufen. Wir waren verunsichert und durchgefroren und mußten uns unter den “sorrys” der sehr lieben Mutter wieder beruhigen. Abend auf dem Sofa, mit den türkischen Serien und der raren Unterhaltung. Essen (Reis mit kleinen Nudeln und Kartoffeln, dazu Salat und Brot) mit den Eltern.

5.4.09 Damaskus

5.4.09
Palmsonntag. Wir fahren mit Pater Eliaa im Taxi in einen Stadtteil mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Hier leben nur 150 griechisch orthodoxe syrische Familien, aber 1500 christliche irakische Familien. Es gibt keinen Kirchenbau in diesem Stadtteil, aber die Kirche bzw. Die Gemeinde hat ein normales Wohnhaus angemietet und umgestaltet. Wir finden an diesem Morgen nur schwer ein freies Taxi und kommen mit unserem Abuna Eliaa (Abuna = Pater) ein bißchen verspätet in dem Ortsteil an. Er hielt mit uns vor der Tür eines unscheinbaren Wohnhauses kurz inne, sammelte unseren Blick und öffnete dann die Tür weit, “Seht Euch das an”, sagt er nicht ohne Stolz. Den ersten Blick in den kleinen Vorraum und den dahinter liegenden Hauptraum werden wir nicht vergessen. Die Menschen und der Chor sangen schon und alles war dicht gedrängt und voller Menschen, die saßen und an den Wänden entlang standen. Die Kronleuchter an den Decken und die Lampen an den Wänden leuchteten, alles war hell, die Luft schwer vom Weihrauch. Mühsam schlängelten wir uns zwischen den Menschen in den Hauptraum. Jemand brachte noch zwei Stühle für uns, die vor die erste Bank gestellt wurden, kaum hatte der Pater noch Platz zwischen Altar und Gemeinde. Die Menschen begrüßten uns freundlich mit Blicken. Der Gottesdienst dauerte 1,5 Stunden inclusive eines langen Abendmahls, viel inbrünstiger kräftiger Gesang, mehrere Soli von Gemeindemitgliedern. Das Verteilen der gesegneten Olivenzweige und kleiner Kerzen ähnelt einem Tumult, alle wollen etwas abbekommen, unser Pater duldet alles mit Nachsicht und Herzlichkeit. Wir wurden persönlich in der Messe als Gäste vorgestellt. Es sind wie immer mehr Frauen als Männer und mehr mittelalte als junge Menschen gekommen. Alles endet in einem mehrfachen Zug durch die Kirche unter Gesang, in den sich Zilgit (ein wildes, unvermittelt eingeworfenes, überschwengliches Trällern mit der Zunge unter Produktion eines unverwechselbaren Lautgebildes.. Die Türken kennen das auch und sprechen von “Zilgit atma”, was so viel heißt wie dieses Zilgit zu “schmeißen”, was die Sache akustisch irgendwie trifft, etwas ist gelungen oder erreicht und man freut sich darüber ausgesprochen.Das machen eigentlich nur Frauen. Die Syrer finden das irgenwie ein bißchen primitiv, es kommt aus der arabischen Tradition, aber unser guter Eliaas läßt alle gewähren. Selten sind wir an einem Vormittag so viel geküsst und gedrückt worden. Sehr herzlich ist unsere eigentlich unwirksame Gegenwart begrüßt und verabschiedet worden. Syrien mit seinen ca. 17 bis 18 Millionen Einwohnern hat im Verlauf weniger Jahre 3 Millionen flüchtende Iraker aufgenommen, die viel Probleme ins Land brachten, aber erstmal einfach kommen konnten. Beglückt sind wir mit unserem Pater dann in seine eigentliche Gemeinde und Kirche in der Altstadt von Damaskus gefahren. Hier schuckte uns ein wüster Osterumzug, mit lauter Musik und sehr vielen herausgeputzten Menschen. Unter den Trommelwirbeln rebellierte Mines Tinnitus und wir mußten einen ruhigeren Ort suchen. Kamen in einem Café langsam zu uns. Wieder gestritten. Wieder beruhigt. Nach dem Ende des Umzuges erneutes Treffen mit unserem Pater. Trinken gemeinsam Kaffee in seinem Büro. Ein anderer Pater aus der maronitischen Nachbargemeinde kommt zu Besuch und wir bekommen mit ihm die wunderschöne griechisch orthodoxe Kirche in der Altstadt gezeigt. Unser Pater ist inzwischen etwas schwermütig geworden, hat uns von seinen Problemen mit der Obrigkeit erzählt. Wie gehen danach hungrig in den Speisesaal der Kirche, der überaus prachtvoll und schön ist, große Schränke und üppige Sitzgarnituren aus Intarsienarbeiten. Hier hat schon Papst Johannes Paul der II bei seinem Besuch in Syrien gegessen und auch der Staatspräsident Bashar al-Asad. Es gibt Fisch, Pommes, Humus, Tabule (Salat mit ganz viel Petersilie und auch Tomaten und Bulgur), Oliven und Obst, dazu Knabberzeug und sehr leckeren trockenen Wein aus dem Orontestal. Danach gehen Mine und ich alleine los und bummeln durch die Altstadt, trinken Tee und schreiben ein bißchen an unserem Blog. Fahren dann erstmals alleine mit dem Taxi zu unserer Gastfamilie Faddoul nach Duelaa, Mafrak Abu Ataf. Pater Eliaa hat uns einen Zettel mit der Adresse in Arabisch geschrieben, den wir immer vorzeigen. Kommen stolz an. In diesem Stadtteil von Damaskus hat der Tourismus noch keinen Fuß in der Tür, entlang einer belebten, verkehrsreichen, aber engen Straße mit vielen kleinen Geschäften gibt es zahllose Seitengassen. Hier stehen die Häuser dicht an dicht nebeneinander, aneinander, hintereinander, sodaß Sonnenlicht selbst in diesem warmen Land ein rares Gut ist und es ein Fenster mit Aussicht gar nicht gibt. Wir verbringen den Abend mit den heißgeliebten türkischen Fernsehserien, die arabisch synchronisiert sind und die uns in den kommenden Tagen ein täglicher Begleiter werden. Die Verständigung ohne Pater Eliaas mit der Familie ist schwer. Hilfreich ist, daß alle den Umgang mit dem taubstummen Bruder des Vaters von Pater Eliaas gewohnt sind und in Gebärden sprechen können. Heute wurde zu unserer Freude der Badeofen angeworfen und es gab eine heiße Dusche.

Montag, 6. April 2009

4.4.09 Damaskus

Das Frühstück wiedereinmal in der bekannten unspektakulären Formation. Neben uns allerdings zwei entsetzlich schmatzende Südkoreaner, die alles bis auf den letzten Krümmel aufaßen und auslöffelten. Der Tag beginnt eigentlich mit unserer Fahrt zum Bus nach Damaskus. Wir werden gebracht und ausgesetzt in einer landesüblichen etwas größeren Lokanta, einem Imbiß, keinem Busbahnhof. Wie immer kann man das Geschehen nicht hinterfragen und nimmt das Unvermeidliche hin. Neben dem Tresen für die Speisen stand ein kleiner Schreibtisch, an dem wir ein Ticket erwarben. Unser Bus sollte um 10:30 Uhr abfahren. Wir warteten zusammen mit ein paar anderen irritierten Touristen bis 12 Uhr. Es kam ein arabischer Bus in reduziertem Zustand (nur noch ein Scheibenwischer, Windschutzscheibe gerissen, offenbar vorne rechts schon Unfall und dann ausgebeult) und ein zweiter iranischer Bus. Die meisten Busse sind in gutem Zustand, nicht so gut wie in der Türkei, aber ok. Fahrt kostet 200 syrische Pfund, das sind 3 Euro und schien uns für hiesige Verhältnisse etwas viel. Es stiegen jeweils interessant aussehende Leute aus und wir guckten uns das kurzweilige Treiben - stets in der Hoffnung es sei unser Bus - an. Endlich kam unser Bus, sehr verspätet, dennoch wurde erst einmal im Restaurant gegessen. Im Bus war es sehr warm und wir bekammen die letzten Plätze auf der Rückbank. Mines Sitz kippelte bei jeder Verlagerng des Körpergewichts hin und her und die Lehne sackte ihr immer wieder ins Kreuz. Neben uns, wie sich herausstellte, eine syrische Mathelehrerin, mit der wir uns hartnäckig durch wenige Wort Englisch und Arabisch (abgelesen von den letzten Seiten unseres Syrienführers) zu verständigen suchten. Die Essenz: Mann tot (hat sie sehr schön pantomimisch dargestellt, schräg liegend im Sitz, mit Zunge im Mundwinkel und verdrehten Augen), sechs Kinder, kein Geld, Einladung mit ihr nach Hause zu kommen. Unter den Wiederholungen dieser Botschaften fielen wir in einen leichten, erschöpften Schlaf. Nach drei Stunden Ankunft irgendwo in Damaskus. Damaskus wächst zumindest wenn man von Osten kommt quasi aus der Wüste heraus, aus dieser kargen trockenen Landschaft, erst kommen viele kleine ölverschmierte dunkle Auto- und LKW-Werkstätten, dann die erleuchteten großen Autohäuser (alle erdenklichen Marken inklusive Mercedes, BMW, Jaguar, LandRover und natürlich Peugot, KIA, Hunday Keine Ahnung, wo wir uns befanden. Nach einigem erhitzten Hin und Her mit Mine über die weiteren zu unternehmenden Schritte, riefen wir Pater Elia mit dem Handy an. Der Empfang war mittelgut und es kam die unvermeidliche Frage, wo wir seien. Kurzerhand gaben wir das Handy einem neben uns stehenden jungen Araber und baten ihn mit Pater Elia zu sprechen. Mehrere Taxifahrer und unsere Lehrerin unterbreiteten gleichzeitig Angebote. Der Araber mit meinem Handy konnte zumindest unseren Standort bestimmen. Danach sagte Elia zu uns, wir sollten uns am Bab Touma treffen. Dreimal wiederholten er und ich die Silbenfolge, die mir nix sagten und bedeuteten und die ich schnell wieder zu vergessen drohte. Ich probierte die Silben wie behalten bei dem ersten Taxifahrer aus und sie schien ihm etwas zu sagen. Wir stiegen ein und er ließ uns beim Bab Touma raus. Dort hielten wir Ausschau nach Pater Elia “in a yellow coat”. Wir nahmen den Rucksack nicht ab, um uns damit erkenntlich zu machen. Nach längerem Warten tritt ein junger Mann mit zwei kleinen Blumensträußen - je eine rote Rose und eine weiße Nelke - auf uns zu und fragt lachend, ob wir Barbara und Emine seien. Freundlich werden wir begrüßt, Kuß rechts, links und nochmals rechts auf die Wange. Da wir hungrig sind, gehen wir mit ihm in sein Lieblingsrestaurant: Kimora (Die Harfe), schlängeln uns mit unserem Gepäck durch die engen Gassen der Altstadt. Dann Festessen mit einfach allem: Humus, gefüllte Weinblätter, frittierte kleine
Hühnerfleischstücke mit Dip, frittierte Champignons mit Dip, Pommes, Spring roll, Kibbi, Tabule, dann Hauptspeise mit Huhn und Reis in leckerer Sauce, dann Kaffee mit Schokoladenkuchen und Vanilleeis. Wunderbar. Dazu nette und unkomplizierte Unterhaltung. Keine Erlaubnis bekommen, ihn zu dem Essen einzuladen. Danch kurzer Blick in seine griechisch orthodoxe Kirche, wo die Vorbereitungen für Palmsonntag laufen. Dann mit dem Taxi zu ihm nach Hause, wo uns eine reizende Familie empfängt: Mutter Amel, Vater Camil, jüngster Bruder Hani. Wir verbringen einen kurzweiligen Abend auf den Sofas im Wohnzimmer bei schwarzem Tee, Ingwertee und Matetee. Angucken vieler Fotos aus der Kirche von Pater Elia und von seiner Priesterweihe. Zwei Freunde von Hani und die Verlobte des Bruders, der in Katar lebt, kommen dazu. Dann bekommen wir das Zimmer von Pater Elia und seinem Bruder Hani. Die Nacht ist unruhig wegen der vielen Eindrücke und Reize, Geräusche und der Anstrengung des Tages und Abends.

3.4.09 Palmyra

Heute nach dem Frühstück losgelaufen und dann ins Tal der Gräber fahren lassen. Dort finden sich außerhalb der Stadtmauern eine Reihe unterschiedlich gut erhaltener Grabtürme, in denen bis zu 300 (scheint uns etwas hochgegriffen) Tote in kleinen Wandnischen beigesetzt wurden. Jedes Grab wurde mit einer oft verzierten Steinplatte, die zum Beispiel das Abbild des Toten als Halbrelief zeigt, verschlossen. Manche der Türme sind innen reich verziert gewesen, wobei viel in Museen abgewandert ist. Am schönsten ist aber nicht irgendein einzelner Turm, sondern wie immer die Idee und das Zusammentreffen von Landschaft und Bauwerk.
Es war sehr heiß und wir sind dann in die Lobby des luxuriösen Hotels Dedeman gegangen und haben da einen (seht teuren und sehr leckeren) Cappucino getrunken und aus dem Syrienführer vorgelesen was die Schiiten von den Sunniten unterscheidet und über die Geschichte der Umayyadenmoschee in Damaskus. Das war wunderbar erholsam.
Sind dann an die Afqa-Quelle gegangen, in der Kinder badeten und spielten und dann folgerichtig fotografiert werden wollten und wurden. Sind dann zwischen den Lehmmauern der Oasengärten Richtung Stadt gegangen. Die Kinder verfolgen uns ein ganzes Stück wollten “Pencil”, wollten “Money” und es war irgendwann unangenehm und ein bißchen schwierig, sie auf Distanz zu halten. In der Stadt kurz Geld getauscht bei einem Juwelier. Dann die leidige Nahrungssuche. Das ist wirklich nicht so leicht. Im ersten Restaurant keine Speisekarte und keine Möglichkeit irgendwelche Speisen in einer Vitrine oder ähnlichem zu sehen. Wie immer gibt es Humus und Salat und Gegrilltes/Kebap, was man aber auch nicht immer essen will. Heute ist Freitag, der freie Tag der meisten und ein richtiger syrischer Familientag, an dem man viele Familien gemeinsam sieht und auch die Frauen mehr in der Öffentlichkeit sind. Am Nachbartisch zwei ältere syrische Paare, die aus eigenen Töpfen lecker ausehende Speisen holten und mit großem Appetit aßen, was uns bestimmt auch gut geschmeckt hätte. Wir sagen dem Kellner, das wir so was auch wollen, werden aber nicht erhört. Gehen in das nächste Lokal. Neben uns wieder eine große syrische Familie mit Kind und Kegel und mitgebrachtem Essen. Lange Verständigungsversuche mit dem Kellner über unsere Möglichkeiten: wir bekommen eine chinesische Fertigsuppe (die mit den Nudeln, die man nur überbrühen, nicht kochen muß), Jogurt, dicke Bohnen in einer Soße mit Kreuzkümmel, frittierte Kartoffeln und Aubergine, dazu Brot. Naja. Endlich hatte die Familie am Nachbartisch ein Einsehen und hat uns Kokoskuchen angeboten, den wir dann mit türkischem Kaffee genossen haben. Also das Essen ist sehr einseitig und man bekommt immer das Gleiche angeboten. Vielleicht ist das aber in den Familien anders. Sind dann zurückgelaufen über den großen freien Platz, sahen dort fünf Esel, die mit Draht am Fuß ganz kurz angebunden waren, sie standen regungslos in einer kleinen Senke und waren ein jämmerlicher Anblick wie sie dort zwischen dem Müll und den Plastikflaschen standen. In einer anderen kleinen Senke unmittelbar daneben lagen zwei tote Esel, die dort sicher schon Wochen liegen, nach dem Zustand zu urteilen. Nicht weit davon entfernt picknickte eine Familie. Eine Junge kam auf uns zu und bot uns an, auf den Eseln zu reiten. Eine schreckliche Vorstellung.
Heute waren wie gesagt die Familien unterwegs, fahren raus, essen irgendwo. Sie fahren auf offenen kleinen LKWs hinten auf der Ladefläche, die Kopftücher wehen im Wind, ganze Familien auch auf einem Motporrad, Vater, Mutter und drei Kinder. Zwei Kinder vorne vor dem Vater auf dem Kühler und eins bei der Mutter im Arm oder so ähnlich. Schlechtes Wetter kam auf, es wurde sehr windig, die Dämmerung kam. Auf der sonst so ruhigen Straße vor unserem Hotel, die hoch zur Burg führt, setzte die Welle der Heimkehr ein, alle strömten nach Hause nicht wissend ob Regen oder gar ein Sandsturm kommen, in verschiedenen Formationen ging es motorisiert und zu Fuß Heim. Wollten uns das ungewohnte Schauspiel angucken und saßen vor dem Hotel. Redeten ein bißchen über dies und das, fanden das ein oder andere Problematische, was uns immer gern beschäftigt. Wurden dann - wehrlos in dieser Hinsicht wie so oft - unterbrochen durch die Probleme von unserem Mann im Hotel Ali, der gerne erzählen wollte, daß er sich in eine Polin verliebt hat, heiraten will und nicht so richtig weiß, was man eben nie so richtig weiß.