Mittwoch, 29. April 2009
28./29.4.09 Zug nach Tatvan
Das Frühstück war wunderbar. Danach gehen wir zum Bahnhof, um die Tickets für den Vangölü Express zu kaufen. Der Zug verkehrt zwischen Istanbul und Tatvan 2x die Woche immer Dienstags und Sonntags, 1900 km vom Westen in den Osten der Türkei, in nur 40 Stunden, wenn alles glatt geht. Der Bus ist sehr viel schneller, braucht nur so ca. 24h. Durch Kayseri gehen vier Zugtrassen, sodass hier mit ein bis zwei Zügen pro Tag zu rechnen ist, die den wichtigen (!) Bahnhof Kayseri passieren. Bereits beim Ticketkauf erfahren wir von der einstündigen Verspätung. Für nur umgerechnet 25 Euro pro Person mit Liegewagen bekommen wir ca. 22 Stunden Bahnfahrt. Wir gehen zurück zum Hotel und räumen das Zimmer. Gehen danach zum Hilton Hotel in der Hoffnung, deutsch- oder englischsprachige Zeitungen kaufen zu können. Die eine vorhandene englischsprachige Zeitung kaufen wir. Angesichts des noblen Hiltons fragen wir uns, warum wir uns mit Drei-Sterne-Hotels mit Zwei-Sterne-Toiletten begnügen. Wir kaufen Vorräte für die Fahrt, Brot, Pastirma (luftgetrocknetes Rindfleisch in einer Würzpaste (Cemen) aus Knoblauch, Paprika und Petersilie), Schokolade, Kekse, Äpfel, Apfelsinen, Knabberzeug, getrocknete Aprikosen, Yufkabrote und Eier noch aus dem Dorf. Der Zug, so erfahren wir, hat einen Speisewagen, aber wir sorgen dennoch vor. Trinken danach Tee im Park bei Wind und kühlem Wetter und lesen Zeitung bis wir frösteln. Dann schleppen wir unser Gepäck zum Bahnhof. Wir sind stolz, daß wir die 1,5 km Strecke problemlos zurücklegen konnten. Im Wartesaal sitzen schon viele Menschen und warten geduldig. Keiner fragt nach, wann der Zug denn endlich kommt und keiner sagt von offizieller Seite etwas zu der Verspätung und der zu erwartenden Ankunft des Zuges. Das schönste Bild im Saal: Ein alter Mann sitzt neben seiner häkelnden Tochter. Während sie in ein kompliziertes Muster mit aufgesetzten Blumen vertieft ist, liegt das dicke weiche Wollknäul auf seinen zusammengedrückten Knien. Ab und zu führt er geduldig den Faden, scheint ansonsten mit seiner ganzen gebeugten Achtsamkeit und der Hilfe seiner knorrigen Fingern das Knäul zu bewachen. Für uns alle kommt irgendwann der Zug, während es draußen schon kräftig regnet. Wir beziehen unser kleines Abteil, das mollig geheizt ist, ein kleines Waschbecken hat, zwei Sitzplätze und für die Nacht die beiden ausklappbaren Betten. Wir sind ganz glücklich. Der Zug rollt an und wir sitzen und gucken in die wunderbare Landschaft, die am Fenster vorbeizieht. Es regnet noch ein bißchen, die Wolken hängen dunkel und tief, aber dazwischen scheint an einigen Stellen schon wieder die Sonne. Eine sehr schöne Stimmung mit interessanten Lichtverhältnissen. Im Zug sind nur wenige Leute und die Fahrt geht so langsam, daß wir manchmal fast meinen, neben dem Zug herlaufen zu können. Für das Gucken ist das aber wunderbar. Auf unserer Türkeikarte verfolgen wir, woher wir fahren. Die Streckenführung ist sehr alt und geht durch oftmals fast menschenleeres oder zumindest sehr dünn besiedeltes Gebiet. Hinter Kayseri fahren wir entlang des flachen Tuzla Gölü (einem See) und folgen dann lange und immer wieder dem breiten Fluß Kizilirmak, der sich durch die Landschaft schlängelt und gesäumt ist von Bergen. Ab Sivas folgt die Strecke dem Fluß Tecer Irmak. Wir machen kein Licht im Abteil und sehen wie die Dämmerung kommt. Lange schon scheint die Landschaft im Dunkeln zu liegen, aber der Himmel hat noch viel Helligkeit, ohne daß er die Landschaft mehr beleuchtet, nur für ihn reicht sein Licht. Hell glänzt der Fluß und die Pfützen und ein bißchen auch der ein oder andere weiße Stein, eine Spiegelung, alles andere versinkt mehr und mehr im Dunkel. Kaum Fremdlicht ist zu sehen. Selten haben wir so unbeirrt verfolgt, wie die Nacht kommt. Irgendwann brachte uns der Schaffner eine Kanne Tee, nachdem sich zu unserem Bedauern herausstellte, daß es keinen Speisewagen gibt. Das war wunderbar. Der Schaffner ist ein netter Mensch, er hat am Beginn seines Schlafwagens ein Abteil, in dem er haust. Er hat einen Gaskocher, einen DVD-Spieler, immer steht Mezze auf dem Tisch und sauer Eingelegtes und er scheint immerzu Raki zu trinken, was ihn aber nicht sichtbar beeinträchtigt. Irgendwann bauen wir das Bett und legen uns hin. Der Sternenhimmel fällt erst so richtig aus dieser Perspektive auf und wir genießen ihn lange in seiner Pracht. Irgendwann vor Hekimhan schlafen wir ein. Als wir früh am nächsten Morgen wach werden ist der erste größere Halt Elazig. Im frühen Morgenlicht ist die Landschaft wieder ein echter Blickfang und vertreibt die Müdigkeit. Noch auf der Bettkante sitzend, lassen wir uns nichts entgehen. Hinter Elazig kommt wieder eine Seenlandschaft und dann folgen wir dem Fluß Murat Nehri durch ein enges Tal und endlose Tunnel. Der Zug fährt wieder sehr langsam. Zweimal sehen wir abgestürzte verbeulte Wagons am Fuße der Böschung (angeblich von Bomben der PKK). Überhaupt mehren sich im Osten dann die Militärposten. Zwischen Sandsäcken stehen die jungen Soldaten und halten Wache und winken dem Zug zu. In einem Dorf namens Beyhani hält der Zug und macht keine Anstalten weiterzufahren. Wir erfahren, daß die Strecke vor der Weiterfahrt erst kontrolliert werden muß, da es in einem kurdischen Nachbardorf schon mal “Ärgerlichkeiten” gegeben hat. Wir steigen aus, machen Fotos und gehen schließlich Tee trinken in einem benachbarten Café, in dem alle kurdisch sprechen. Ich behalte den Zug im Auge, dessen Türen alle offen stehen, während Mine beruhigt meint, “die fahren nicht ohne uns”. Mine geht schließlich in einen Laden in der Nähe und kauft Brot und Tomaten und Gurken, weil unsere Vorräte sich neigen. Ich bewache den Zug und versuche Mine anzutreiben als die ersten Türen des Zuges schließen und alle schon im Zug sind. Wie immer ist das schwer, ihr Beine zu machen. Mit Tee im Zug ist heute schlecht, die Gaskartusche von unserem Conductör ist leer. Er nippt im übrigen schon wieder an seinem Raki und ist guter Dinge. Auf meine Frage, wann wir in Tatvan wohl ankommen, antwortet er “Euch gehts doch gut”. Wir schaffen es, an diesem Tag nichts anderes zu machen in diesem Zug als am Fenster zu sitzen oder auf dem Gang zu stehen und Ausschau zu halten. Der Tag ist mild und sonnig und wir haben das Fenster meist auf. Wir sehen viele Störche zu Luft und an Land, Reiher und viele andere Vögel. Hinter Mus läßt uns der Schaffner an einem Bahnhof aussteigen und vorlaufen zu Lok. Wir klettern auf die Lok und sitzen bis Tatvan bei den Lokführern und trinken Tee und gucken. Wir fahren über eine riesige fruchtbare Hochebene mit kleinen Dörfern und Hirten mit ihren Herden und schneebedeckten Bergen im Hintergrund. Einmalig schön. Die zahlreichen Tunnel sind eng und haben hier nie eine zweite Röhre. Wir fahren in immer neue schwarze Tunnel, die sich auch im Licht der Scheinwerfer der Lok nicht wesentlich erhellen. Man sieht hauptsächlich die Tropfen, die wie Regen von den Decken fallen und im Licht aufleuchten als wenn es schneite. Viele der Tunnel stehen jetzt auf freier Fläche, wegen Schneeverwehungen im Winter von beträchtlicher Höhe. Auch im Winter wird die Strecke befahren, Die Lok hat dann sowas wie einen Pflug vor sich. Mehrfach fliegen blaue Eisvögel neben uns auf und begleiten uns. Nach nur 24 Stunden erreichen wir Tatvan und laufen dann zu Fuß in das Hotel, in dem wir auch vor sechs Jahren schon waren: Hotel Kardelen. Gehen dann essen (Lahmacun und gegrillten Lammspieß). Wir haben ab und zu einen leichten Schwindel, was noch von der Zugfahrt kommt. Auf dem Rückweg probieren wir bei einem Straßenhändler Yayla muzu (Almbanane), ist ein bißchen wie roher Rhabarber, soll sehr gesund sein.
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Danke für Eure Postkarte, die Ihr uns geschickt habt! Wir wünschen Euch weiter eine gute Reise!
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