Freitag, 24. April 2009

19.4.09 Dorf

Nach dem Frühstück Duschen und Haarewaschen, da das Wasser warm ist (Solaranlage repariert). Danach sogar gefönt. Wir gehen dann mit Mines Mutter zum Haus der verstorbenen Tante zum Mevlüt, das heißt zum Totengebet mit anschließendem großen Essen. Jeder ist prinzipiell dazu eingeladen und willkommen. Seit gestern laufen die Vorbereitungen. Wir schätzen, daß mindestens 250 Leute da waren, vielleicht auch mehr. Vor dem Haus stehen auf einem Platz direkt an dem kräftigen Bach viele Plastikstühle aufgestellt für die Männer und den erwarteten Hoca und den Mann, der aus dem Koran singen wird. Oben auf einem großen Balkon und im Haus sind die Frauen und Kinder. Im Garten wurde in riesigen Kupfertöpfen und Kesseln Reis und Fleisch gekocht für das anschließende Essen. Wir sitzen bei den Frauen. Der Gesang und das Gebet mit Predigt dauern lang, alles läuft überwiegend in Arabisch, wird aber zum Ende auch in Türkisch übersetzt. Die Stimme des Hocas klingt eindringlich und rastlos, streng und belehrend. Das fällt mir auf, ohne das ich ein Wort verstehe und Mine bestätigt das später vom Inhalt des Gehörten. Zwei Töchter der Verstorbenen tragen Pece, sie sind komplett in wallendes Schwarz gekleidet und verschleiert (erinnern an afganische Frauen).. Die anderen Schwestern sind ganz modern gekleidet. Es ist in der Familie üblich sehr nah innerhalb der familie zu heiraten, in der Regel werden die Kinder der Geschister der Eltern geheiratet. Eine Schwester der Verstorbenen, hat drei taubstumme Kinder bekommen, auch mehrere gesund. Zwei der erwachsenen Kinder sehen wir, sie haben neben der Sprech-Hörstörung auffällige Überbewegungen. Wir beobachten während der Predigt auch eine Mutter die neben ihrem wahrscheinlich ca. 11jährigen Jungen sitzt. Er sieht wenn man ihn nur kurz und im richtigen Augenblick betrachtet ganz unversehrt und normal aus. Bei längerer Betrachtung sieht man aber immer wieder schwere Überbewegungen, in denen er sich hin- und herwirft, die Beine übereinanderwirft, zappelt, sich krümmt, die Arme in die Luft reißt, sich auf den Kopf schlägt etc. Auch er spricht nicht und wird später beim Essen gefüttert von seiner Mutter. Er ist sicherlich auch geistig behindert. Die Mutter versucht während der Hoca betet, ihn immer wieder zu besänftigen in seiner Bewegngsunruhe, ermahnt ihn aber auch manchmal in Gesten oder droht mit Schlägen, damit er ruhig ist, was er aber kaum zu beeinflussen vermag.. Das ganze beschäftigt uns sehr. Allein das Zuschauen macht unruhig und man fragt sich bescheiden, wie man auch nur einen einzigen Tag in diesem Körper verbringen könnte. Später erfahren wir, daßer sich bis zum dritten Lebensjahr normal entwickelt hat, auch sprechen konnte. Danach fing alles langsam an. Seine Familie hat alles unternommen und ihn überall hingebracht und man hat eine seltene, wahrscheinlich Stoffwechselerkrankung, diagnostiziert. Es ist das Enkelkind von der Tante mit dem einen Zahn, die leider kürzlich verstorben ist. Abends hatte sie Mines Mutter noch Börek aus selbstgesuchten Kräutern gebracht und morgens hat man sie in ihrer Schlafposition auf dem Sofa gefunden, die Hand noch unter die Wange geschoben. Das ist ein echter Verlust. Jedesmal im Dorf haben wir sie besucht und ihr weichen Kuchen gebracht und in ihrem Zimmer gesessen und sie war immer ungemein munter und zufrieden und hat uns gute Männer gewünscht.
Das Essen nach dem Gebet war lecker. Wir sind dann aufgebrochen auf einen Spaziergang, wollten uns die Staudammbaustelle mal anschauen. Die Sonne war wunderbar, die Landschaft herrlich. Wir sahen sowohl die Berge des Taurusgebirges als auch des Aladaglar in weiß gewandet am Horizont, die Bäume noch kahl oder mit ganz zartem ersten Grün. Auf dem Rückweg treffen wir Hüri und gehen nach dem Abendbrot zu ihr. Sie kocht Tee und brät rohe Kartoffelscheiben auf dem gußeisernen Herd im Zimmer und röstet später Sonnenblumenkerne für uns, die wir wegknabbern. Ihre Mutter erzählt muntere Geschichten und eine Nachbarin ist auch noch gekommen. Hüri erzählt von ihrem Liebeskummer und vielem mehr.

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