Samstag, 25. April 2009

24.4.09 Dorf

Wir schlafen mittlerweile wie die Bären, 10 Stunden sind nix. Nach spätem Frühstück erste und bald zweite Auseinandersetzung mit Mines Mutter. Wir suchen das Weite. Gehen bei dem regnerischen und kalten Wetter zu Özkan ins Internetcafe. Er erzählt seine Mutter sei krank, hätte einen Asthmaanfall gehabt und sich noch nicht richtig erholt. Schon kommt sie mit einem Beutel Medikamente zu uns, ein zu injizierendes Antibiotikum und ein zu injizierendes Schmerzmittel. Ob ich ihr das spritzen könne? Wir lesen erstmal in den türkischen Beipackzetteln, worum es sich handelt (die Medikamente heißen ja nicht wie bei uns). Meist versteht man ja doch ein bißchen. So richtig begeistert bin ich nicht von der Idee. Es stellt sich heraus, daß es die Medikamente der Oma sind. Wir bieten Özkans Mutter von unseren Paracetamol an, was gegen ihre Gliederschmerzen geeignet und harmlos erscheint Ob ich denn der Oma ihre Medikamente spritzen könnte? Ich willige ein. Hoffentlich ist sie nicht so dünn, denke ich, wenigstens ein bißchen was sollte an dem Mütterchen dran sein für so eine dicke Sprize in den Po. Wir gehen rüber zu Özkans Oma (83Jahre), die auf dem Sofa sitzt. Weitere vier Frauen unterschiedlichen Alters sitzen mit in dem engen Raum. Wir werden herzlich begrüßt und geküsst. Wozu die Oma das denn bekommen soll? Sie soll sich 15mal das Antibiotikum und das Novalgin spritzen lassen, laut Arzt. Nach den Spritzen könne sie für kurze Zeit immer viel besser laufen. Mmh. Die Oma ist höchstens noch 1,40m groß und hat sicher eine dicke Hüftarthrose. Die Indikation für die Spritzen bezweifeln wir nicht weiter, wo sie doch so gut zu helfen scheinen. Die süße Oma manövriert sich auf den Boden. Selten einen so runden und kräftigen Po bei einer Greisin gesehen. Wirklich. Keine Falte, tadelloses weiß. Mine und ich sind beeindruckt. Wir fragen höflich, ob die anderen nicht rausgehen sollen. Nein, braucht nicht. Geben die Spritze vor dem Publikum. Die Oma findet alles gut. Dann wird Tee gekocht. Ein alter Mann kommt, der Ehemann und Vater von zwei der anwesenden Frauen. Er hat Fragen wegen seiner Rente aus Deutschland. Er ist mit Mitte dreißig (1971) nach München gegangen, hat dort auf dem Bau gearbeitet. Seine Familie hat er nicht nachkommen lassen, hat zu Frau und Töchtern gesagt, “ihr paßt nicht nach Deutschland, die haben da Rolltreppen, die Menschen bewegen sich dort ganz anders als hier. Ihr seid Steine und Grümpel gewohnt und mit sowas Feinem kommt ihr nicht klar”. Er hatte Angst, daß seine Töchter in Deutschland unter die Räder kommen, nachdem er die jungen, geschminkten, lockeren deutschen Frauen gesehen hat. Dann passierte ein Unglück, der Ehemann der Tochter erschlug diese offensichtlich. Der Vater kehrte daraufhin in die Türkei zurück und erholte sich nie mehr ganz von dem Schock und der Trauer. Er brachte es nicht über sich, wieder nach Deutschland zu gehen (war damals ca. 50 Jahre alt). Nach 2 Jahren zahlte man ihm die Rente aus mit 36.000DM und er kaufte ein bißchen Land und lebte davon im Dorf. Alle zwei Monate erhielt er dennoch ca. 100Euro, die jetzt schon länger ausgeblieben waren. Anhand der Papiere, die er mitgebracht hatte, konnten wir nicht rekonstruieren, was das für Geld war und warum die Zahlung ausblieb. Alle mochten uns dennoch sehr und der Mann schlug vor, ein bißchen Fleisch zu holen “und es für die beiden zu braten”. Wir lehnten dankend ab, weil wir weiter wollten. Verabschieden uns höflich und mit vielen Küssen. Immer wieder sind wir beeindruckt und gerührt wieviel Sympathie und Aufmerksamkeit uns geschenkt wird, ohne daß wir dafür etwas geleistet oder uns das erarbeitet haben. Das ist wirklich besonders hier. Die Menschen freuen sich einfach, daß man gekommen ist und ein bißchen was Neues brachte und ihnen interessiert begegnete. Das alles geht natürlich nur, weil Mine die Sprache spricht, sonst würde uns viel Liebenswürdigkeit verborgen bleiben. Gehen zu Özkan. Dort unterhält sich Emine lange mit der Schwester von Özkan. Sie ist geschieden, lebt wieder im Elternhaus, schwimmt dort so mit, hilft hier und da im Haushalt und kommt für sich zu nichts. Auch sie kann sich wie so viele junge Menschen in der Türkei nicht abgrenzen, sich nicht besinnen auf sich und die eignen Ziele. Es ist die Kultur, immer verfügbar zu sein für den, der anklopft und sei es weil der Langeweile hat. So kommt kein Mensch zu irgendwas. Mine hört geduldig zu und gibt ihr ein paar Ratschläge und sie bedankt sich sehr für das Gespräch. Wir wurschteln mit ein paar Mails und dem Blog bis wir durchgefroren sind und gehen dann Heim. Noch beim Abendessen klingelt der erste Besuch für den Abend.

1 Kommentar:

  1. Hallo Ihr Lieben,
    wir waren am Wochenende wieder in Dresden - es war wunderbar. Das ist nicht so weit weg wie die Türkei, aber auch wunderbar.
    Wir wünschen Euch noch eine gute Reise und freuen uns auf weitere Nachrichten.

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