Lege mich nach dem Frühstück nochmals hin, während Mine den Trauerbesuch bei der Familie der Tante macht. Über Tage kommen Menschen zu der trauernden Familie, aus dem Dorf selber, aber viele reisen auch an, um ihr Beileid auszudrücken. Über mindestens eine Wochen empfängt man als trauernde Familie Besuch, es ist ein Kommen und Gehen und die Familie ist tagsüber wahrscheinlich fast nie allein, eher im Pulk. Die Nachbarn kochen und bringen Essen für die Familie und die Gäste in dieser Zeit, damit sich die Familie um nichts kümmern muß und alle versorgt sind. Wer zu den Mahlzeiten da ist, ißt mit. Man erinnert sich gemeinsam an den oder die Tote, erzählt, singt auch mal ein Klagelieder oder weint. So war es auch als Mine da war. Am 7. Tag gibt es meist noch ein großes Essen und es wird nochmals gebetet für die Tote. Nach dem 7. Tag wird es in der Regel ruhiger.
Wir gehen um 13 Uhr in die Schule des Dorfes, da die Nachbarkinder Mehmet und Süreyya uns ihre Schule zeigen wollen. In diese Schule ist schon Mine gegangen und wir gucken alle Räume an und werden den Lehrern vorgestellt, die uns alle freundlich begrüßen. Sie haben Pause und plaudern gerne ein bißchen, unterbrechen ihr Tischtennisspiel. Sie erzählen von dem Lehrermangel und der Notwendigkeit hier sehr flexibel zu arbeiten, um den Betrieb zu ermöglichen. Wir machen noch ein Foto von den Kindern vor der Atatürkbüste, der türkischen Fahne und dem daneben hängenden Bild eines kürzlich umgekommenen jungen Soldaten aus dem Dorf.
Gehen danach ins Internetcafe, wollen unseren lieben Efkan begrüßen, der aber zur Zeit beim Militär ist und durch seinen Bruder Özkan vertreten wird. Senden unseren Blog, trinken Tee und erzählen ein bißchen mit Özkan, seiner Schwester, seinem Vater und die kleine Nichte kommt auch immer mal rein.
Gehen dann nach Hause und essen Linsensuppe. Danch kommt eine der alten Frauen, die wir besonders mögen, eine echte Tante von Emine, die wir immer besuchen, wenn wir im Dorf sind. Sie ist schon etwas über 90 Jahre alt, und noch sehr munter, betet noch im Stehen. Sie hat an diesem Tag schon fünf Häuser besucht. Ißt mit uns Suppe und danach noch Fladenbrot mit eingewickeltem Käse. Sie ist hager und bescheiden und strahlt Ruhe aus und Gutmütigkeit. Sie ist als junge Frau noch mit dem Pferd zum Melken der Ziegen und Schafe in die Berge geritten und hat danach die Milch im Eimer, ohne etwas von dem kostbaren Inhalt zu verschütten, nach unten ins Dorf geritten. War eine gute Reiterin. Hat Mine immer mal Milch gegeben als Kind. Sie hat sechs Kinder, was für ihre Zeit eher wenig war. Sie lebt alleine in einem alten Haus, hat dort zwei Zimmer, in einem wohnt sie, in dem anderen lagert sie Vorräte hinter einem Vorhang. Die Wände und der Boden sind noch aus Lehm und isolieren gut und machen auch ein gutes Klima. In dem Zimmer ist ein Ofen, ein Bett bzw. Sofa, eine Art Regal mit einem Vorhang davor (dahinter meist Bettzeug), Kissen auf dem Boden als Sitzgelegenheit und ein kleines Fach in einer Wandnische, das man mit einem Türchen verschließen kann. Darin liegt ein Guckkasten aus Plastik, durch das man, hält man es gegen das Licht, Dias sehen kann. Drückt man auf einen Knopf wechseln die Bilder, die sämtlich Aufnahmen aus Mekka sind. Die Tante ist nämlich schon in Mekka gewesen. Sonst können wir uns an wenig erinnern in diesem Schrank, ein paar Fotos vielleicht und einzelne Papiere. Wenn wir sie besuchen in ihrem Zimmer kriegen wir immer Tee und sitzen auf dem Sofa, auf dem sie auch schläft. Letztens hat sie von Verwandten, die in Deutschland waren, eine Tüte Haribo mit bunten Tieren bekommen. In ihrer ruhigen Art hat sie ihre ganze Ratlosigkeit und Verwunderung berichtet angesichts dieses Geschenks. Sie hat erzählt , daß da Mäuse und Frösche drin waren und das sie so was noch nicht gesehen hat und es eklig fand. Sie wußte nicht, was sie damit machen soll. Es könnte etwas Süßes sein, dachte sie, traute sicher aber nicht, es zu versuchen. Dann viel ihr ein, daß vielleicht Kinder etwas damit anfangen können und hat es einem ihrer Enkel gegeben. Sie verabschiedete sich dann, sagte, sie würde jetzt den Ofen zu Hause anmachen. Man würde dann sehen, daß sie zu hause ist und wenn keiner kommt, würde sie wieder jemanden besuchen gehen, damit sie nicht alleine ist. Danach kommen nach und nach bestimmt an die zehn Frauen zu uns, die sich alle in unserem Wohnzimmer knubbeln und den Raum ausfüllen und Orangen essen und erzählen, schimpfen, lachen. Es ist der einzige beheizte Raum im Haus und so spielt sich alles hier ab. Viele bauen Häuser im Dorf, meist auch noch sehr große, bis zu vier Stockwerke hoch, für die gesamte Familie. Die Häuser passen eigentlich nicht in ein Dorf diesen Zuschnitts und Charakters, sind viel zu groß und prozig und sind auch für die hohe Lage in den Bergen mit den langen schneereichen kalten Wintern irgendwie ungeeignet, nur aus Beton und Stahl, fragt man sich, wie sie beheizt werden sollen, den es gibt hier ja keinen Gasanschluß oder eine Versorgung mit großen Öltanks oder Fernwärme und alles läuft über Kohlen und Holz. Man wird also im Winter auch nur ein oder zwei Räume heizen können und in denen wird sich alles abspielen. Die schönen alten Häuser aus Bruchstein und Lehm, die nur eine Etage hatten, paßten wunderbar in die Landschaft und waren im Winter leicht zu heizen und im Sommer in der großen Hitze gut isoliert. Sie werden bedenkenlos niedergerissen. Man sieht nur noch einzelne alte Häuser, von Jahr zu Jahr verschwinden sie oder werden zu Ställen umfunktioniert. Die Frauen bei uns schimpfen an diesem Abend über Pfusch am Bau, Unzuverlässigkeiten und mangelndes Vorankommen auf ihren Baustellen. Richtig gelernte Handwerker gibt es hier kaum, jeder wurschtelt so rum, alles hält daher nicht lange, ist ein bißchen schief, tropft seit eh und je, schließt nicht ganz, steht ein bißchen über, abenteuerliche Konstruktionen kommen dabei raus, die anfällig sind für den normalen Alltag und Quelle sind für weiteren Behelf. Wir sind froh, daß wir so was nicht am Hals haben. Mine erinnert sich, daß sie vielleicht irgendwann für ihre Mutter solche Angelegenheiten regeln muß. Wegen des Regens kommen die Frauen dann nicht richtig weg, zögern lange und einige wollen hier übernachten. Mal sehen wer morgen früh noch da ist.
Samstag, 18. April 2009
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